Austria im Orient

Das österreichische Hospiz: ein Stück Österreich, ein Flecken Heimat mitten in der Altstadt von Jerusalem. Erkennbar an der rot-weiß-roten Fahne auf dem Dach, dem Duft von Wiener Kaffee und warmen Apfelstrudel.

Es ist ein besonderes Haus an einem besonderen Ort in dieser besonderen Stadt: das österreichische Hospiz an der Kreuzung von Via Dolorosa und Damaskus-Straße, mitten in der Altstadt von Jerusalem. Ein Stück Heimat, weithin erkennbar an der rot-weiß-roten Fahne auf dem Dach. Es ist ein geistliches Haus mit durchaus weltlichen Verlockungen wie dem Duft von Meinl-Kaffee, frisch-zimtigem Apfelstrudel und von herzhaftem Wiener Schnitzel. Das Altwiener Kaffeehaus-Ambiente wurde zusätzlich mit einer Brise Donaumonarchie abgeschmeckt: Von purpurnen Wänden prangen Doppeladler und Kupferstiche von Kaiser Franz Joseph und seiner rebellischen Sisi. Aber der eigentliche Grund, warum das Hospiz als touristischer Hotspot gilt, liegt zwei Etagen höher – oben auf dem Dach.

In der Via Dolorosa

Zum Greifen nah der Tempelberg und die goldene Kuppel des Felsendoms, dahinter Al Aqsa, eine der heiligsten Moscheen; und oben auf dem Hügel: zwei Kuppeln und drei Kreuze – die Grabeskirche. Und alle Pilgerwege, die der Juden, der Christen und der Moslems, kreuzen sich vor dem österreichischen Hospiz mitten im arabischen Viertel: ein dicht gedrängter Häuserhaufen aus Sandstein, gespickt mit Minaretten und Satelliten-Schüsseln.

Gegenüber, direkt am Leidensweg, der holprigen Via Dolorosa, die armenische Kirche; die Stelle, an der einst ein zum Tode verurteilter Nazarener unter der Last seines Kreuzes zusammenbrach. 

Nirgendwo sonst haben Reisende so einen Wahnsinns-Ausblick. Auf das gleichermaßen heilige, hektische und völlig verrückte Jerusalem – weiß Gott keine einfache Destination.


Hier hat ein Engel die Hand des Vaters aufgehalten, der seinen Sohn Gott opfern wollte. 
Hier ist Allahs Prophet auf einem geflügelten Pferd himmelwärts geritten.
Hier wurde Gottes Sohn ans Kreuz genagelt und ist von den Toten auferstanden. 
Und hier wurde zu allen Zeiten gebetet und gemordet.


So steht es geschrieben, so wird es geglaubt. 

Geschrieben ist nun auch die 150-jährige Historie des österreichischen Pilgerhauses. "Im Orient zu Hause" heißt der 320-seitige Bildband, herausgegeben und verfasst vom Hospiz-Rektor Markus Stephan Bugnyár und Helmut Wohnout, Professor für österreichische Geschichte. 

Geschichte, die im 19. Jahrhundert damit beginnt, dass die österreichisch-ungarische Monarchie als machtpolitischer "Big Player" verstärktes Interesse am Heiligen Land zeigt. 

Jerusalem damals

Die Errichtung eines Hospizes wird angedacht, als spiritueller Außenposten im Einflussbereich des Sultans von Konstantinopel. Außerdem sollen die immer zahlreicher werdenden Pilger aus den Kronländern nicht länger der Betreuung fremder Gästehäuser überlassen werden. Der erste Schritt erfolgt 1848 – mit der Gründung eines Konsulats in Jerusalem. 

Der erste Konsul Josef Graf Pizzamano will unbedingt ein Hospital errichten, denn die medizinische Versorgung der Wallfahrer im Heiligen Land ist katastrophal. Doch nach langem Hin und Her fällt die Entscheidung in Wien: für den Bau eines Pilgerhauses; plus, quasi als Kompromiss, einige Krankenzimmer. Nach dieser Einigung zwischen dem Wiener Erzbischof Joseph Othmar von Rauscher und dem Außenministerium wird Graf Pizzamano mit dem Ankauf eines geeigneten Grundstückes beauftragt. Im September 1855 wird der Kaufvertrag abgeschlossen, das heutige Areal für 262.275 Piaster erworben. 

"Der Tag der Eröffnungsfeier, der 19. März 1863, muss unbeschreiblich gewesen sein", sinniert Rektor Bugnyár. "Ein Tag grenzenloser Freude, nach all den bürokratischen und politischen Hindernissen." Das Hospiz wird, wie könnte es in Jerusalem auch anders sein, der heiligen Familie geweiht. 

Doch die Schwierigkeiten finden kein Ende: Der erste Rektor unterschlägt Geld, wird schnellstens abgelöst. Danach erlebt das Haus einen Boom, während die Schutzmacht, die österreichisch-ungarische Monarchie, mehr und mehr an Stabilität verliert. Für die Pilger ist das Hospiz bis heute ein Ort des Rückzugs, der Erholung – Erholung von Reisestress und der Hektik, die heilige Städte eben so an sich haben.

Beschaulich-meditativ der mit Kakteen und Palmen bestandene Garten. Eine Oase, ein orientalischer Schanigarten. Während die Besucher besagten Apfelstrudel bei Melange oder großem Braunen genießen, dringt aus dem arabischen Viertel der Duft von stark gewürztem Hammel-Schaschlik herauf. Die hohe Gartenmauer wirkt wie eine Lärmschutzwand: Stimmengewirr der Händler und Gesänge der Pilger aus der Via Dolorosa werden ausgeblendet. Bis zu dieser besonderen Stunde, wenn sich der Himmel rötlich färbt und auf den Minaretten grüne Lichter aufleuchten. Grün, die Farbe des Propheten. Und wenn der alles durchdringende Ruf des Muezzin wie eine Klangwolke über der Stadt schwebt.

Im Orient zu Hause

Der Garten ist auch das Lieblingsplatzerl des kleinen Benni, Hospiz-Hunderl und heimlicher Star des Hauses. Die herzige Promenadenmischung hat versteckt an der Gartenmauer ihr sandiges Eckerl. Denn Hunde gelten unter der arabischen Bevölkerung als unrein, Gassi-gehen ist ein "No go". Sein Frauerl, Vizerektorin Schwester Bernadette Schwarz, hat Benni aufgelesen: "Mehr tot als lebendig." Aufgepeppelt und seiner Rolle durchaus bewusst, wuselt Benni unter den milden Blicken von Schwester Bernadette durch die ehrwürdigen Gänge des Hauses. Auf steter Suche nach Aufmerksamkeit, Streicheleinheiten und vor allem Leckerlis.

Kaum jemand kennt Jerusalem besser als Schwester Bernadette, seit zwanzig Jahren wirkt sie nun schon im Heiligen Land, spricht perfekt Hebräisch. In der nach Osten ausgerichteten Kapelle erklärt sie uns das große Mosaikbild: "Sechs Jahre nach der Eröffnung, 1869, kam der Schutzherr Kaiser Franz Joseph höchstpersönlich zu Besuch. Der Kaiser kam aus Ägypten, direkt von der Eröffnung des Suezkanals. Die Reise ins heilige Land bot sich an, immerhin trug er auch den Titel König von Jerusalem." Seit Kreuzfahrer-Zeiten war Franz Joseph der erste katholische Royal in Palästina. Schwester Bernadette lächelt: "Der Kaiser betrat die Stadt ohne Kopfbedeckung, als Geste des Respekts an den wahren König von Jerusalem – an Jesus Christus."

In den Folgejahren wird Wallfahren zunehmend moderner. Waren es in den ersten 25 Jahren nach der Errichtung des Hospizes noch überwiegend Adelige und wohlhabende Bürger, die in Kleingruppen ins Heilige Land reisten – auf den seit 1853 zwischen Triest und Jaffa regelmäßig verkehrenden Dampfschiffen der Österreichischen Lloyd –, so werden in den 1890er-Jahren sogenannte Volkswallfahrten zur Massenbewegung.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs verebbt der Besucherstrom allerdings wieder. Jerusalem wird zum Hinterland der von den Türken eröffneten Front entlang des Suezkanals. Im Jahr 1916 wird es – unter Beibehaltung seines kirchlichen Charakters – zum Erholungsheim für Soldaten aus dem Habsburger Reich.

An einem Vormittag im Mai 1935 herrscht plötzlich große Aufregung in der Via Dolorosa: Ein blechernes Ungetüm erschreckt Kamele und Händler. Ein Auto, ein Steyr 100, parkt direkt am Leidensweg an der Außenmauer des Hospizes: Max Reisch und Helmut Hahmann, auf ihrem Weg zur Weltumrundung, beziehen Quartier. Max Reisch genießt die Tage seines Aufenthalts zwischen Ostern und Christi Himmelfahrt, obwohl ihn Sorgen plagen. Die Karosserie des Expeditionswagens ist zu schwer, er wird sie später in Bagdad umbauen. Das Hospiz wird Max Reisch auch in späteren Jahren immer wieder besuchen: als Reiseleiter, als Wallfahrer und auch als Expeditionsleiter der vom ÖAMTC unterstützten ersten Wohnwagen-Expedition nach Palästina. Das Bild des Tiroler Abenteurers hängt bis heute in der Besuchergalerie: in illustrer Gesellschaft Prominenter aus Kunst und Politik.

Autolärm am Leidensweg

Am 3. September 1939, als Großbritannien dem "Dritten Reich" den Krieg erklärt, wird das Hospiz von englischen Truppen beschlagnahmt. Wird von 1947 bis 1985 als arabisches Spital genutzt und im Juli 1951 zum Schauplatz eines Dramas: Der jordanische König Abdallah wird von Extremisten in der Al Aqsa-Moschee angeschossen. Eingehüllt in einen Gebetsteppich, wird Abdallah in das österreichsiche Hospiz gebracht. Doch jede Hilfe kommt zu spät. Der König stirbt in den Armen der Franziskaner Ordensschwester Liliosa Fasching. Zehn Jahre später kommt Enkel Hussein zu Besuch, Augenzeuge des Attentats und nun neuer König von Jordanien. Er will sich persönlich bei Schwester Liliosa für die aufopfernde Versorgung des sterbenden Großvaters bedanken.

Erst Jahrzehnte später, im März des Jahres 1988, nach langwierigen Verhandlungen mit Israel, fällt das renovierungsbedürftige Hospiz wieder in österreichischen Besitz. Immer wieder konfrontiert mit gar unheiligen Konflikten: Noch in der ersten Euphorie der Wiedereröffnung die Erste Intifada, der Aufstand der Palästinenser. In den 1990er-Jahren der Irak-Krieg und schließlich im September 2000 die zweite Intifada, nach einem provokanten Besuch des Tempelbergs durch Ariel Sharon, damals noch Oppositionspolitiker. Konflikte, die Besucherströme und Nächtigungszahlen in Jerusalem immer wieder versiegen lassen.

"Trotz allem, die Geschichte unseres Hauses ist auch eine Erfolgsstory", weiß Rektor Markus Bugnyár. Spätestens als 2006 die Reisebeilage der New York Times das österreichische Hospiz als Top-Adresse Jerusalems erwähnt, in einem Atemzug mit den besten Hotels der Stadt: dem King David und dem American Colony. Die 26 Gästezimmer und vier Schlafsäle sind von da an bis zu 16 Monate im Voraus ausgebucht. Ein Zubau ist geplant, längst überfällig, Barrierefreiheit ist großes Thema. Die Gästeschar kommt in erster Linie immer noch aus Österreich, gefolgt von Reisenden aus Deutschland, Frankreich und zunehmend aus asiatischen Ländern. 

Begegnungen im Hospiz

Markus Stephan Bugnyár hat das Haus im Orient, an der konfliktgeladenen Schnittstelle des jüdischen West- und des arabischen Ost-Jerusalem, als Bildungs- und Begegnungsstätte der Kulturen etabliert. Sein Verhältnis zu den Volksgruppen bezeichnet er als sehr gut: "Unsere Angestellten sind Palästinenser, Muslime und Christen." Auch musizieren jüdische und palästinensische Jugendliche gemeinsam im Hospiz, geben Konzerte im prunkvollen Empfangssalon. Und seit einigen Jahren ist es für junge Österreicher sogar möglich, den Zivildienst als Auslandseinsatz im Haus an der Via Dolorosa abzuleisten.

Doch manchmal, in stillen Momenten, fragt sich der Rektor, wozu er eigentlich Theologie studiert hat, wenn er doch weitgehend ein Leben als Hotelmanager führt. Aber Markus Bugnyár weiß genau: "Nirgendwo auf der Welt ist theologische Arbeit sinnvoller als hier in der Sakrallandschaft von Jerusalem." Wo er in jeder Gasse, in jedem Winkel der Stadt seinen Gott spürt – Jesus. Und wo er sich an Feiertagen einfach nur privilegiert fühlt: direkt an den heiligen Stätten zu feiern, Weihnachten nach Bethlehem zu pilgern oder an der Gründonnerstag-Prozession vom Ölberg in die Altstadt teilzunehmen. Und an diesen Tagen soll die Aura einfach unglaublich sein: in dem besonderen Haus in dieser besonderen Stadt.

Das Buch: Im Orient zu Hause

Das Österreichische Hospiz in Jerusalem

Farbbildband, 320 Seiten, zahlreiche Farbfotos und zeitgenössische SW-Fotos, Leinen gebunden mit Schutzumschlag, Großformat: 29,5 x 26 cm

Herausgeber:
Markus St. Bugnyar
Helmut Wohnout

ISBN: 978-3-903076-00-6

Preis: 39,90 €

Bestellungen unter: www.geschichte-kunst.at

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