Starke Raucher

Vom Ätna zum Stromboli: Entlang der Feuerlinie Siziliens zu den rauchenden Vulkanen und auf die Äolischen Inseln, dem vielleicht letzten Geheimtipp im Mittelmeer.

Er bricht aus!" Aus dem schemenhaften Kegel im blauen Dunst schießt eine weiße Rauchsäule himmelwärts. Wahnsinn! Fasziniert, nein, andächtig starre ich über das azurblaue Tyrrhenische Meer. Das ist er also: der Stromboli. Und als hätte dem Dauerbrenner unter Europas Vulkanen meine Bewunderung geschmeichelt, schießt er – molto spettacolare – noch eine Ladung ab.


Spektakulär, das war schon der Flug zu den Feuerbergen im tiefen Süden Italiens. Über dem Golf von Neapel ein grandioser Blick in den Krater des Vesuv. Und im Lande­anflug auf Catania stand er da: mächtig, schicksalsträchtig, der Ätna, ein 3.000er-Brocken aus Lava mit obligater Rauchfahne.

Mediterran, morbid, vibrierend – das ist Catania. Nur der tagtägliche Stau ist er­müdend. Also raus aus der Stadt. Schon nach wenigen Kilometern: gelber Ginster, schwarze Lava, wilder Wein. Und die kleine weiße Kirche von Nicolosi. Alles ist ruhig: kein Läuten der Glocken, keine gemurmelten Gebete. ­Nicolosi ist immer dann Sammelpunkt der Einsatzkräfte, wenn der Ätna wieder purpurne Flüsse talwärts schickt.

Auf dem Ätna

Völlig vulkanisiert die Stimmung weiter oben auf 2.000 Metern vor der Schutzhütte Refugio Sapienza: Reisebusse entladen Tou­risten in knallig-bunten Outdoor-Outfits, die Souvenirläden prall gefüllt mit Ätna-Devotionalien, Gedränge im rostroten Silvestri-Krater direkt an der Straße. Wer weiter rauf will, braucht entweder gute Kondition oder die neue Seilbahn. Die alte hat der Ätna irgendwann zerstört. Noch immer ragen angebrannte und geknickte Stützen aus dem mittlerweile erkalteten Lavastrom. Rauchschwaden in der urigen Bar unter dem Capannia-Krater, es riecht nach Holzkohle und fettigen Grill­würsteln. Nur oben auf dem Ätna ist ­weder Rauch noch Feuer zu sehen. Der Ketten­raucher hat im Moment ausgedämpft.

Vulkanland

Zwei Tage später. Über das mediterran-mondäne Taormina, wo sich der Ätna gekonnt als Kulisse des Theatro Grecco inszeniert, und das hübsche Milazzo mit Castello bin ich gestern spätabends mit der Fähre auf Lipari angekommen. Nun ist es Mittag. Ich nippe an einem Espresso unter der Markise der kleinen Trattoria an der hübschen Marina Corta. Das Aliscafo, das Ausflugsboot, sollte längst da sein. Ich will rüber nach Panarea und weiter nach Stromboli.

Bartolomeo, der Ha­fen­auf­seher mit dem wettergegerbten Gesicht, blickt sorgenvoll auf die weißen Wellen­kämme. Gierig an seiner Zigarette saugend, schüttelt er den Kopf: "Troppo vento!" Zu viel Wind. Äolos, der Windgott, hat wieder einmal die Herrschaft über die Liparischen Inseln übernommen. Also ist Äolische Inseln vielleicht doch der treffendere Name. "Domani!", sagt Bartolomeo. Also erst morgen. Che peccato, echt schade! Und auch der Espresso ist nun kalt.

Rund um Lipari

Ich treffe mich mit Ute Krohmer. Vor 40 Jahren ist sie aus Deutschland gekommen und geblieben. Sie rettet meinen Tag. Führt mich – quasi als Ersatzprogramm – um Lipari, ihre Heimat-Insel. Zu den weißen Bergen aus Bimsstein, der aber nicht mehr abgebaut werden darf, weil die Inseln zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt wurden. Und dann drückt mir Ute einen Stein in die Hand. Obsidian, das schwarze Gold von Lipari: ein vulkanisches Gesteinsglas, glatt, scharfkantig. Schon in der Jungsteinzeit wurden aus Obsidianen Klingen gefertigt, für Waffen, aber auch chirurgische Eingriffe.

Autofahren ist purer Stress in den engen winkeligen Gassen von Lipari. Ute schmunzelt: In der Hauptsaison von Juni bis September darf man erst ab einer zehntägigen Hotelreservierung mit dem Auto auf die Insel übersetzen. Parkplatz-Garantie gibt es keine. Auf Stromboli und Panarea findet Mobilität ohnehin nur mehr mit Elektro-Golfwagerln oder Pritschen-Ape statt.

Insel-Blick

Trotzdem ist Lipari-Stadt irgendwie heimelig, kuschelt sich um die trutzigen Festungsmauern und den Stadthügel. Seit Jahrtausenden ein strategisch-geschichtsträchtiger Platz. Hier standen einst eine Akropolis und eine Moschee. Heute die Normannen-Kirche und das archäologische Museum samt weltgrößter Sammlung an griechischen Theatermasken. Aber nicht nur Griechen, alle waren sie da: Römer, Araber, Karthager, Spanier, Piraten und mit Erzherzog Ludwig Salvator sogar ein Habsburger. Magisch angezogen vom Leuchtturm der Antike – dem Stromboli.

Ute führt mich an die Nordküste. Vor der kleinen Kirche Chiesa Vecchia eröffnet sich ein fantastischer Rundblick auf die äolische Inselwelt. Wie Pfeilspitzen ragen er­loschene und noch heiße Vulkane aus dem Meer. Im Westen Alicudi, die Insel der Treppenwege. Bis zum letzten Haus sind es über 1.300 Stufen. Die Insel für Aussteiger, ohne Straßen und Motorenlärm. Alicudi ist auch die Insel der Stille. Nur ab und zu ertönt ein Eselschrei.

Daneben Filicudi. Die alten Griechen nannten sie "Kleine Palmen-Insel". Obwohl es nur noch eine Handvoll davon gibt, ist Fili­cudi die Lieblings-Insel von "Dirty Grandpa" Robert De Niro.

Zum Greifen nah das grüne Salina mit Wolkenhaube. Hier gedeihen die besten Kapern und Malvasia-Trauben. Der goldgelbe Likörwein ist eine ­lokale Spezialität – nur mir schmeckt er nicht. Salina ist auch die Insel der Wanderer, mit herrlichen Saumpfaden hinauf zum Wallfahrtsort Valdichiesa und zu den Zwillingsbergen Monte Fossa delle Felci und Monte dei Porri. Und in der Ferne eruptiert grad wieder der Stromboli.

Stromboli, der Moviestar

Im Jahr 1949 kommen der neorealistische Regisseur Roberto Rossellini und die Hollywood-Diva Ingrid Bergman samt Filmteam und Entourage zu Dreharbeiten auf die Insel. "Stromboli – Terra di Dio" soll der Film heißen. Die Geschichte der jungen Litauerin Karin, die sich im Zweiten Weltkrieg in Gefangenschaft in den italienischen Fischer Antonio verliebt. Sie heiraten. Als beide freikommen, fährt Antonio mit Karin heim auf seine karge Heimat­insel Stromboli. Karin ist entsetzt über die Trostlosigkeit, die Armut und die Mattanza, die blutige Thunfischjagd. Während die Drehbuch-Liebe von Karin und Antonio unter der ständigen Bedrohung des Vulkans erkaltet, brodelt das Verlangen zwischen Hollywood-Actrice und Regisseur. Zudem sind beide noch verheiratet. Grande scandale!

Die ruppigen, aber streng gläubigen Bewohner von Stromboli wollten Rossellini und Bergman keine gemeinsame Bleibe vermieten. Und so schleicht der liebestolle Roberto nächtens heimlich ins Haus der spröden Schwedin an der Via Vittorio Emanuele. Was dort wirklich geschah, das wissen nur die ehrwürdigen Mauern – und der Stromboli.

Die Affäre wird zum Mythos. Ein touristi­scher Boost für Stromboli. Bis heute pilgern Cineasten zum rostroten Haus der Bergman in die schmale Gasse im Ortsteil San Vincenzo. Danach ist Kaffeepause in der Bar Ingrid angesagt. Bei herrlichem Mandelgebäck und tollem Ausblick auf die ver­wunschene Mini-Insel Strombolicchio. Über miese Toiletten und frostige Bedienung sehen Ingrids Fans galant hinweg.

Auf Stromboli

Die wirklich guten Restaurants auf Stromboli sperren erst spät auf. Zu spät für Tagestouristen. Absolut top: das Punta Labronzo beim alten Observatorium mit der besten Pizza des Archipels und freiem Blick auf den Vulkankrater. Immer wieder schießen glühende Lavabrocken die Sciara del Fuoco, die Feuer­straße, hinab, verschwinden zischend bei den Fischen. Ein Insider-Tipp für alle, die fangfrischen Fisch lieben: das kleine Lokal Da Zurro unten am Hafen.

Apropos Fisch. Wie eine schwarze Riesen-Flosse ragt die kleinste, älteste, aber auch teuerste Insel aus dem Meer: Panarea, das Eiland der Reichen und Superreichen. Der Äoli-Baustil wird rigoros eingehalten: weiß getünchte Würfelhäuser, eingebettet zwischen gewal­tigen Felsbrocken, Olivenbäumen, Oleandern und pink-blühenden Bouganvilleas. Und während es auf den anderen Inseln nur schwarze Lavastrände gibt, punktet das ­Promi-Eiland mit einem ockerfarbenen Sandstrand ganz in der Nähe der Ausgrabungen des bronzezeitlichen Dorfes Calajunco. Ob es damals schon eine Schickeria gab? Certo! Bis heute mischen sich Celebrities und Touristen allabendlich in den hippen Bars am Hafen. Wer es ruhiger mag, sitzt beim Panorama-Dinner im Cusiritati.

Der Stromboli ist im Grunde kein allzu gefährlicher Vulkan. Richtig gefährlich ist nur die Femme fatale unter den Inseln – Vulcano. Ein Explosionsvulkan, eine Mini-Version des ­Vesuv. Die Insel wirkt auch diabolisch mit ihren gelb-orangefarbenen Ablagerungen, dem beißenden Schwefelgeruch, den Dämpfen und Gasen, die aus Fumarolen, Rissen im Erdreich, dringen. Kaum jemand, der sich hier im heilenden Fango-Schlamm wälzt, denkt daran: Vulcano, zuletzt vor 100 Jahren ausgebrochen, schläft – aber wie lange noch?

Ute und ich beenden unsere Insel-Runde am gloriosen Aussichtspunkt Quattroocchi, dem Vier-Augen-Platz: Und ja, man bräuchte in der Tat vier Augen, um die Natur-Schönheit zu erfassen. Die windgeschützte Bucht, die weißen Segelboote, bizarre Felsnadeln, die wie riesige Gichtfinger aus dem Blau ragen, der Gran Cratere auf Vulcano und an klaren Tagen in der Ferne die Rauchfahne des Ätna.

Si Signora!

Sie eruptiert! Signora Da Pina, die resolute Feinkosthändlerin in der Haupt­straße von Lipari, faucht mich an. Dabei wollte ich auf der Suche nach authentischen Mitbringseln nur den Preis für Kapern und Oliven runterhandeln. Scusa! Bene! Ist ja gut, ich kaufe ja! Und als ich die schnaubende Signora bitte, mir zwei äolische Panini mit Oliven, Kapern, Grana und frischen Kräutern für die Weiterreise nach Cefalù und Palermo einzupacken, huscht der Anflug eines Lächelns über ihr hochrotes Gesicht. Dio mio! Hier sind nicht nur die Vulkane feurig.  

Geheimtipp Cefalù: Sandstrand, Normannen-Dom – und über allem trohnt der Rocca, der Stadtfelsen.

Cefalù: Die schönste Stadt Siziliens

Che bella! Die Uferpromenade mit den kleinen Palmen, der feine, flach abfallende Sandstrand und abends der Duft von Mare e Pesce, Meer und gegrilltem Fisch. Aus dem pittoresken Häuser-Wirrwarr der Altstadt ragen zwei Türme empor – der Normannen-Dom. Und alles überragend der schroffe Rocca, der Stadtfelsen.

Cefalù ist noch ein Geheimtipp und in dem blitzsauberen Städtchen ist das Gefühl des Bleiben-Wollens weit stärker zu spüren als anderswo auf Sizilien: Die Atmosphäre, die Weltoffenheit der Menschen, die Geschichte von Griechen, Römern und Normannen, das gänzliche Fehlen von Mafia-Bad-Boys und ein Anflug von Dolce Vita, in kleinen Lokalen wie dem Kentia unten am Meer oder der Bar Duomo am Domplatz, das ist der Zauber von Cefalù. Ein idealer Platz zum Durchatmen, zum Runterkommen.

Trotz aller Beschaulichkeit war Cefalù zu keiner Zeit ein Ort der Stille. Von 1906 bis 1977 wurde es einmal im Jahr sogar ziemlich laut: Dröhnende Motoren, die schnellsten Sportwagen und die weltbesten Rennfahrer – von Tazio Nuvolari über Vic Elford und Helmut Marko bis zum Local Hero Nino Vaccarella – kamen alle zur Targa Floria, dem ältesten Langstreckenrennen auf öffentliche Straßen. Was kaum jemand weiß: In dem kleinen Geschäft unter der blauen Markise am Lungo Mare verbirgt sich ein Stück Motorsport-Geschichte. In personam Francesco Liberto, vulgo Ciccio.

Ciccio, der Schuhmacher

Er ist Calzolaio, Schuster, und nebenbei auch Erfinder der begehrtesten Rennfahrer-Schuhe der 1960er- und 70er-Jahre. Auch die schwarzen Weltmeister-Schuhe von Niki "Nazionale" Lauda kamen aus Ciccios Werkstatt. Obwohl über 80 Jahre alt, produziert Ciccio noch immer maßgefertigte Scarpe.

Lächelnd, aber auch ein wenig stolz, erzählt er, dass der prächtige Normannen-Dom mit byzantinischen Mosaiken und Gold-Apsis seit 2015 UNESCO-Welt­kulturerbe ist. Aber ihm, dem Schuhmacher aus ärmlichen Verhältnissen, wurde der Status des immateriellen humanen Welterbes schon zwei Jahre zuvor verliehen.

Einfach weg: Sizilien und die Äolischen Inseln

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