Magie des Nordens

Jenseits von Kilt, Dudelsack und Whisky: Eine Reise nach Schottland ist vor allem Balsam für Herz und Seele.
 

Jenseits von Balmoral Castle, wo die Königin den schottischen Spätsommer genießt, windet sich die Straße hinauf ins Hochland. Hochland, das sagt sich so einfach. Jetzt, am späteren Nachmittag, türmen sich Wolken rundum zu drohenden Gebirgszügen auf. Einzelne Sonnenstrahlen zeichnen Landkarten auf lilafarbenes Erikakraut, das ganze Berghänge erobert hat. Die Straße ist zu einem schmalen Band geworden, auf dem man plötzlich völlig alleine ist. Halt an! Steig aus! Gute Geister haben Parkplätze geschaffen. Wenn der Motor des Mietwagens erstorben ist, spricht nur noch der Wind. Das Meer, das Schottland an drei Seiten umarmt, ist von diesem Hochsitz im Hochland nicht zu sehen. Aber man glaubt, es zu riechen. 

Die neue Sehnsucht, die Reisende in Europas Norden und damit auch nach Schottland treibt, hat viele Ursachen. Die heißen Sommer in Österreich lassen „Sonne tanken“ als Urlaubsmotiv in den Hintergrund treten. Der Norden wird intuitiv als sicherer eingeschätzt als der Süden. Man will sich unterwegs geborgen fühlen, nicht bei jedem Schritt nachdenken müssen. Die Anziehungskraft, die eine gut erhaltene, geschützte Umwelt auf Reisende ausübt, wird immer stärker. Schottland kommt das entgegen: Es ist – in großen Teilen – Natur pur. Aber vor allem: Das Königreich, das mit seiner englischen Entsprechung nun schon seit Jahrhunderten verschränkt ist, kann mit einzigartiger Kultur auftrumpfen, die nicht Marketing-Masche ist, sondern im Alltag zwischen Edinburgh und den Äußeren Hebriden gelebt wird.

Vier Jahreszeiten an einem einzigen Tag

Wir fahren vom Hochland an die Westküste zu den Oban Highland Games, einem farbenprächtigen Spektakel für Einheimische und Touristen, das nach dem Einmarsch der "Highschool-Dudelsack-Band" stilgerecht von His Graceness, The Duke of Argyll eröffnet wird. Der junge, fesche Herr trägt selbstverständlich Kilt mit Tartan-Muster, eine Tasche aus Leder um den Gürtel (Sporran, der historische Geldbeutel), kariertes, offenes Tweed-Sakko mit Krawatte und eine Mütze mit rotem Bömmel (Belmoral), aus der eine lange Feder ragt. Es herrscht Volksfest-Stimmung. Bei strahlendem Sonnenschein werden dem Publikum klassische Hochland-Disziplinen wie Baumstamm- und Steinewerfen, Seilziehen, Dudelsack-Spielen und Strohballen-Hochwurf mit Heugabel geboten. Letzteres wird in einem spannenden Finale von einem Herren im Kilt gewonnen, der doch tatsächlich aussieht wie Sean Connerys jüngerer Bruder. 

Baumstammwerfen und Dudelsack-Mädchen-Band

Das Ungeheuer

Zurück auf die Straße: Wir wollen nach Nordosten, zum Loch Ness. Den von Legenden umwobenen See spricht man aus wie das Loch im Boden. "Lock", erklärt uns der junge Schotte an der Hotel-Rezeption mit hämischem Unterton, "sagen nur die Engländer." Die Engländer. Bei einer Rundreise durch Schottland geht es immer auch um den Erzfeind im Süden. Finstere Burgen wurden belagert, unzählige Schlachten geschlagen, viele ihrer Schauplätze sind hervorragend dokumentierte Museumsgelände. "Sie mögen uns das Leben nehmen, aber niemals unsere Freiheit": Das (angebliche) Motto des Nationalhelden William Wallace wirft seinen Schatten aus dem 13. Jahrhundert bis in unsere Tage, in denen viele Schotten nicht zuletzt nach der "Brexit"-Abstimmung ihren englischen Nachbarn die gemeinsame Staatlichkeit aufkündigen wollen.

Nur wenn man ihn in diesem düsteren Licht betrachtet, ist auch der Loch Ness sozusagen "schön". Bei Sonnenschein sieht er aus wie ein langweiliger Badesee. Schieben sich aber drohende Wolken über das Gewässer und säuselt ein launenhafter Wind über seine Oberfläche, dann ist "Monster-Time". Nessie, das sagenhafte Ungeheuer, lockt Jahr für Jahr Hunderttausende an den See – und erfüllt perfekt damit seinen einzigen Daseinszweck. 

Das Monster wurde in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts von einem Londoner Marketing-Profi erfunden, um den aufgrund der Wirtschaftskrise darniederliegenden Tourismus im Hochland anzukurbeln. Das simple Rezept funktioniert bis in unsere Tage. In dem schmucken Ort Drumnadrochit widmet sich ein eigenes Museum der höchst populären Monster-Theorie. Haupt-Anziehungspunkt ist die vielbesuchte Ruine von Urquhart Castle, von wo aus man einen herrlichen Ausblick auf den See hat. Hauptbeschäftigung der Besucher ist, ein Nessie-Foto zu faken. Auch wir können dieser Versuchung nicht widerstehen.

Das Ungeheuer von Loch Ness lebt: eine vom Autor höchstpersönlich vorgenommene Beweisaufnahme vom 29.8.2016, 15.08 Uhr. 

Von Höhepunkt zu Höhepunkt

Eine Woche Reisezeit reicht nicht aus, um alle Höhepunkte einzufangen. Man muss Kompromisse machen. Während der Sommermonate gibt es praktische Non-Stop-Charterflüge etwa von Wien direkt nach Glasgow. Darauf aufbauend bietet sich eine Route über Stirling nach Edinburgh, dann weiter zu den Höhepunkten des Hochlandes und an die Westküste an. Hier sollte auch noch genug Zeit für die berühmte Isle of Skye bleiben. 

Schon die Anreise zu diesem Schmuckstück der Inneren Hebriden ist spektakulär genug. Übers Hochland führt die Straße zum Eilean Donan Castle, ein Fotomotiv ähnlich populär wie der Eiffelturm in Paris oder die Große Mauer in China: Vor bedrohlich in den Wolkenhimmel ragenden Bergen liegt die mit hohen Mauern abweisende Burg am Schnittpunkt von gleich drei Lochs. Christopher Lambert zog im Film "Highlander" über die aus der Burg führende Brücke in den Krieg. Das machte den Ort auf der ganzen Welt berühmt.

Die Insel selbst erreichen wir über eine 1995 fertiggestellte Brücke (die kleine Fähre ab Glenelg ist nur außerhalb der Hochsaison eine Alternative). Jeder hat so seinen Lieblingsort in Schottland, unserer ist eindeutig hier. Steil in ein tosendes Meer abfallende Klippen. Sattgrüne Wiesen. Unermüdlich zeichnen Wind und Wolken neue Schattenformationen auf die Landschaft. Der Tourismus sorgt dafür, dass es den Insulanern mittlerweile recht gut geht. In der sommerlichen Hochsaison kann es freilich in den kleinen Orten wie Portree schon recht voll werden. Ein Gedanke lässt sich nicht mehr verdrängen: wieder kommen, für lange, vielleicht sehr lange Zeit. Die Welt Welt sein lassen und sich auf die Isle of Skye von ihr zurückziehen. Vielleicht beim nächsten Mal.

Und die Städte?

Nach so viel Natur und Freiheit sind die großen schottischen Städte Glasgow und Edinburgh nicht leicht zu verdauen. Erstere versprüht einen etwas spröden Charme, punktet vor allem mit Design und Lokalszene. Edinburgh hingegen ist ein Ort, an dem man sich sofort wohl fühlt. Zur Festivalzeit im August vibriert die Stadt geradezu unter dem Eindruck einer unüberschaubaren Zahl von Kunst- und Kulturevents. Vom Calton Hill am östlichen Ende der prachtvollen Princes Street genießt man am frühen Abend eine phantastische Aussicht auf diese junge Stadt.

Die Magie des Nordens – in Edinburgh offenbart sie sich in einem anderen Aspekt als in der Einsamkeit des Hochlandes. Es ist der Optimismus der Hauptstadt Schottlands, einer jungen Stadt voller Zukunftshoffnung, die mit kritischer Kunst und sehr viel Lebensenergie ein anderes,  besseres Europa schaffen will. Und das ist doch gar nicht so wenig.  

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