Schlaraffenland Neusiedler See

Keine hohen Berge, aber genügend Gipfel der Genüsse: Hier versteht man sich aufs Kochen, Weinmachen und Feiern. Willkommen in einer Landschaft voll Lebensfreude.

Es ist ein Schlaraffenland, das Land um den Neusiedler See. Kaum anderswo versteht man sich so gut aufs Genießen.

Es muss ja nicht gleich der Taubenkobel sein, eines der allerbesten Restaurants im ganzen Land – obwohl… Ja, seit die Eselböcks quasi als Zweitlokal ihre legere Greißlerei eröffnet haben, kommen auch jene, für die Geld doch eine Rolle spielt, in Schützen auf ihre Kosten. Etwas weiter nördlich am Westufer, in Purbach, gilt Max Stiegl mit seinem Gut Purbach als einer, der die Latte sehr hoch gelegt hat: Er verwendet fast ausschließlich die Produkte der Region, die er traditionell und zugleich avantgardistisch zu Gerichten zum Niederknien veredelt.

Ob Eselböck oder Stiegl, oder Fritz Tösch mit seinem Restaurant Nyikospark in Neusiedl: Sie waren und sind Wegbereiter für den Aufstieg des Neusiedler Sees in die kulinarische Oberliga. Der hat nicht nur stylishe Hotspots wie die Mole West erfasst, sondern auch alteingesessene Landgasthäuser wie die "Dankbarkeit" von Josef Lentsch in Podersdorf oder das "Wirtshaus Zum fröhlichen Arbeiter" der Familie Tschida in Apetlon – 1923 gegründet und seither in Familienbesitz.

"Der Name kam erst später", erzählt Wirt Friedl Tschida, während er geräucherte Entenbrust mit schwarzen Nüssen und eingelegten roten Rüben serviert. "Der Großvater war zur Zeit der Weltwirtschaftskrise sehr großzügig. Selbst dann, wenn die Landarbeiter Schwierigkeiten mit dem Bezahlen hatten, servierte er ihnen ein Essen." Wahrscheinlich war es ein etwas einfacheres Essen als es der Enkelsohn heute anbietet:

Heute hingegen sind die Gäste vor allem deshalb fröhlich, weil sie perfekte Zutaten auf die Teller bekommen. Produkte, die aus dem Land rund um den Neusiedler See kommen und deretwegen viele die einschlägigen Spezialitätenläden ansteuern, um sich ein Stück aus diesem Schlaraffenland in die eigene Küche zu holen. Etwa Mangalitzaspeck, Quittenmarmelade oder Dirndlkompott von Richard und Beate Triebaumer in Rust oder köstliches Walnuss-Chili-Pesto, deftige Wurst vom Steppenrind oder den hauseigenen Muskat Ottonel von Casa Peiso in Mörbisch. Der "Otto" erinnert viele genauso an ihre Jugend wie der Laden selber, man müsste ihn fast unter Denkmalschutz stellen.

Das Stichwort ist bereits beim Muskat Ottonel gefallen: Wein. Der Neusiedler See ist vor allem das Land des Heidebodens. Heideboden? Was auf vielen Etiketten steht, ist die Bezeichnung für die ebenen Lagen zum See hin, für deren warme, mineralische und kalkhaltige Böden, die den nach ihnen benannten Weinen ihre besondere Fülle verleihen. Die Winzer am West- wie am Ostufer freuen sich gemeinsam mit ihren Rebstöcken über 2.400 Sonnenstunden pro Jahr, das ist Österreich-Rekord! Und ein perfektes Klima für den Weinbau. Ganz gleich ob sie ihn großteils traditionell betreiben wie Feiler-Artinger in Rust oder Wein in Amphoren reifen lassen wie Birgit Braunstein in Purbach.

Birgit Braunstein ist eine Winzerin aus Leidenschaft, die klare Ziele vor Augen hat: Ihre Weine müssen das Terroir spiegeln und über ausgeprägte Reife, Struktur und Mineralik verfügen. Die stolze Mutter von Zwillingen arbeitet biodynamisch und setzt auf die Kraft der Natur. Auch was den Reifeprozess betrifft, geht sie neue – und in Wahrheit aber alte, ja fast archaische – Wege. Blaufränkisch- und Chardonnaytrauben werden das Jahr über nicht geschnitten und reifen in keltischer Tradition in Tonkrügen eineinhalb Meter unter der Erde. Die Trauben kommen mit Kernen, Fruchtfleisch und Haut in die 300-Liter-Amphoren, lagern in der Maische acht Monate und werden nach einem Jahr Lagerung im Holzfass ungeschwefelt und ungefiltert abgefüllt.

Aber auch überall anderswo lassen sich die Leidenschaft der Winzerinnen und Winzer und das Terroir rund um den Neusiedler See herausschmecken. Auch bei der Andauer Quereinsteigerin Jacqueline Klein, die sich nicht damit zufriedengeben wollte, dass ihre Eltern auf zehn Hektar Trauben anbauten, nur um sie großen Produzenten zu verkaufen. Die junge Winzerin kelterte 2010 ihren ersten Jahrgang und wird seit damals gefeiert für ihre rassigen Roten und finessenreichen Weißen.

Die selbstbewusste Winzerin erzeugt rund 50.000 Flaschen der Sorten Merlot, Cabernet Sauvignon, Chardonnay und Zweigelt, ihrer absoluten Lieblingssorte. In Andau, einem der heißesten Orte Österreichs, spielt er die Hauptrolle, und hier finden sich auch die besten Qualitäten dieser fruchtigen Rebsorte. 

Weiter zu Hannes Reeh, dem Unkonventionellen: "Ich verzichte auf Schnickschnack", sagt er, "verwende keine Schönungsmittel, Enzyme oder Reinhefen." In guten Jahren verzichtet er sogar auf Filtration. Darum nennt er einige seiner Weine auch "Unplugged". Damit, dass er einige seiner Weine auch einer großen Handelskette verkauft, hat er kein Problem. Im Gegenteil: Das erschließe ihm neue Zielgruppen, die ihn gerne besuchen, wenn ihnen sein Wein schmeckt – wovon auszugehen ist.

Reeh bewirtschaftet 40 Hektar, er ist das Mastermind, klar, dass er sich deshalb auch die Feinarbeit der Vinifizierung selber vorbehält. Sein Weinstil, sagt er, spiegle seine Persönlichkeit: "Familientradition, Neue-Welt-Erfahrung, Seewinkler Authentizität und ungehemmter Zukunftsglaube."

Der kulinarische Aufstieg des Neusiedler Sees spiegelt sich auch in den Lebensgeschichten seiner Winzer. "Ich hab als Jugendlicher, wenn wir ausgegangen sind, meistens Cola-Weiß getrunken", gibt Erich Scheiblhofer unumwunden zu. Heute braust er auf einem kleinen Roller durch die ausgedehnten Hallen des Familienbetriebes, in dem die Eltern sowie die Geschwister und deren Familien die Schlüsselpositionen einnehmen.

Es ist ein für heimische Verhältnisse großes Weingut. Erich Scheiblhofer ist der alleinige Kellermeister des Betriebs, in dem Trauben aus 70 Hektar eigenen Weingärten und gut noch einmal so viel von – ausschließlich burgenländischen – Partnern verarbeitet und jährlich in rund zwei Millionen Flaschen gefüllt werden.

Auch Josef Salzl hat – ähnlich seinem Kollegen Scheiblhofer – mit einem Wein-Mischgetränk angefangen: "Bei mir war's das obligate Cola-Rot." Aber eigentlich hätte er ja gar nichts mit Wein zu tun haben sollen. "Ich hab die Aufnahmeprüfung in die HTL-Mödling für Elektrotechnik bestanden, bin aber dann angesichts tausender Schüler zurückgeschreckt und lieber in die so genannte Bauernschule (Anm.: Landwirtschaftliche Fachschule) in Eisenstadt gegangen." 1984/85 hat Salzl dann gegen den Willen seines Vaters einen Teil von dessen damals recht überschaubaren Wein-Anbauflächen gerodet und Rotwein gepflanzt. "Wir hatten bis dahin nur weiße Trauben."

Die Rechnung ist aufgegangen, heute verarbeitet das Weingut Salzl den Ertrag von 70 Hektar Anbaufläche im erst unlängst wieder erweiterten Betrieb. 

Josef Salzl macht sich auch seine Gedanken zum Thema Klimaveränderung: "Die ist hier deutlich spürbar – manche Sorten gedeihen zunehmend besser, bei anderen muss man heute mehr aufpassen und viel öfter schützend eingreifen als früher." Aber Klimaveränderungen gab es auch schon früher, führt er aus, lange vor dem Autoverkehr. "1856 war der Neusiedler See komplett ausgetrocknet, elf Jahre später war Illmitz komplett überschwemmt."

Man könnte den Menschen, die direkt oder indirekt vom See und vom Land um den See leben, die das Land kultivieren, hegen und pflegen und Produkte schaffen, die Feinschmecker erfreuen, noch stundenlang zuhören. Doch es wird Abend. Die Graurinder genießen so wie wie die Menschen in den Gastgärten die letzten Sonnenstrahlen, und die Vögel fliegen in Formation am Firmament. Schön, heute noch so etwas beobachten zu können.