Träum vom Süden!

Wo genau liegt eigentlich dieses Okzitanien? Ein Report von einer außergewöhnlichen Reise in besonderen Zeiten. 

Wenn es Abend wird in den schmalen Gassen von Carcassonne, tauchen unzählige Lampen und Leuchten die berühmten Mauern der mittelalterlichen Stadt in ein sanftes magisches Licht. Erst jetzt entfaltet die berühmte Festung mit ihrem doppelten Mauerring und den 52 Türmen und Türmchen ihren ganzen Zauber.

Aus fast allen Ländern der Welt kommen – zu normalen Zeiten – rund drei Millionen Touristen jährlich, um das Ensemble zu bestaunen, das ähnlich Neuschwanstein in Bayern als Archetyp einer Märchenburg dient. Zu dieser Stunde aber verlangt Weltliches sein Recht. Und so versammeln sich die Besucherinnen und Besucher aus allen Kontinenten auch an diesem Tag im Spätsommer 2020 gegen acht Uhr abends, um auf den Terrassen des Restaurant La Table du Château de Pennautier unter dem südlichen Sternenhimmel Frankreichs zu tafeln. Wir haben es schon fast vergessen: Aber so schön kann das Leben unterwegs sein!

Okzitanien: Südfrankreich von Marseille bis Toulouse

Als die Coronavirus-Pandemie im Spätsommer des vergangenen Jahres europaweit eine kleine Kunstpause einlegt, nütze ich die Gelegenheit, um in den Süden Frankreichs zu reisen. Genauer gesagt geht es mit Maske und Flugzeug nach Okzitanien – diesen neuen, auf den ersten Blick etwas sperrigen Begriff muss ich mir erst ausführlicher erklären lassen: 2016 wurden die Regionen Languedoc-Roussillon und Midi-Pyrénées zu einer neuen "Superregion" Occitanie (deutsch eben Okzitanien) zusammengelegt. Der Name nimmt Bezug auf eine historische Kulturlandschaft sowie eine dem Katalanischen ähnliche Sprache, die im Südwesten Europas gesprochen wurde – und teilweise auch wieder wird.

Ich fliege also nach Marseille, reise nach Westen, überquerte bei Arles die Rhône – und habe damit Okztanien schon erreicht. Hier bewege ich mich von Anfang an auf geschichtsträchtigem Boden, das zeigt auch gleich mein erstes Ziel. Unter einem Bauwerk zum Transport von Wasser stellt man sich ja zunächst nichts Besonderes vor. Aber dieses Ding, das seit fast genau 2.000 Jahren nördlich der Stadt Nîmes den Fluss Gardon überspannt, kennt nichts Vergleichbares.

Der Pont du Gard ist der Überrest eines 52 Kilometer langen Aquädukts, in dem Wasser aus einer Quelle beim Städtchen Uzès in die ständig wachsende römische Kolonialstadt floss – dank natürlichem Gefälle von selbst. Im Zuge einer Führung durch die Anlage kann man den Steinbau auch im obersten Stockwerk überqueren, also dort, wo einst Wasser geflossen ist.

Ich möchte den Ort aber auch auf meine Art genießen, setze mich einfach auf die Felsen am Ufer des Gardon in die Sonne und schaue den Kanus zu, die unter dem Aquädukt hindurch schaukeln.

Die kleine Bischofsstadt Uzès gleich in der Nähe erreiche ich an einem Freitagabend. Das ist ein Glück, denn am Samstagvormittag ist Markttag. Auf der Place aux Herbes werden im Schatten der Platanen Oliven, Käse, ­Würste, Gemüse und Obst in allen Variationen angeboten, sozusagen die Basis-Ausstattung für den Genuss als Mittelpunkt des Daseins, dem das ländliche Leben im Süden Frankreichs seinen legendären Ruf verdankt.

Von Uzès nach Nîmes ist es nur eine halbe Stunde, aber der Kontrast könnte nicht größer sein. Aus einem Ort, der dem Quellgott Nemausus geweiht war, entwickelte sich einst eine blühende römische Kolonie, deren imposante Zeugnisse noch heute das Stadtbild prägen.

Zunächst aber interessiert mich das Bild eines an eine Palme angeleinten Krokodils, das überall auf den Metallknöpfen zu sehen ist, die auf dem Trottoir die besten Wege durch die Stadt markieren. Es handelt sich, so ist zu erfahren, um das Symbol des römischen Sieges über Ägyptens Kleopatra, das Veteranen nach Nîmes gebracht hatten, die hier nach dem Krieg angesiedelt worden waren.

Zweites Rätsel: Was hat es mit der Geschichte auf sich, dass die "Blue Jeans" eigentlich aus Nîmes kommen? Nach langen Jahrhunderten des Niedergangs hatte die Textilindustrie der Stadt im 18. Jahrhundert einen Aufschwung erlebt. Ein robuster blauer Baumwollstoff ("de Nîmes", daher Denim) ent­wickelte sich zum Exportschlager, der aus Genua (franz. Gênes, gesprochen "schen") über den Atlantik verschifft wurde, wo englischsprachige Siedler daraus "Jeans" machten.


Vergangenheit & Gegenwart

Mein Lieblingsort in Nîmes ist nicht das gigantische Amphitheater, das nach dem Vorbild des Kolosseums in Rom errichtet wurde, sondern das Maison Carrée, ein vollständig erhaltener römischer Tempel, der zu Ehren des Enkels und Adoptivsohns des Kaiser ­Augustus errichtet wurde. Das Zusammenspiel mit der modernen Konstruktion des gegenüberliegenden Museums für Moderne Kunst macht den Platz zu einem für mich magischen Ort, an dem sich Vergangenheit und Gegenwart verbinden.

Da ich an diesem Tag von den Römern nicht genug bekommen kann, besuche ich auch noch das neue Geschichtsmuseum, in dem die zahlreichen Fundstücke aus der Stadt jetzt endlich einen modernen würdigen Platz erhalten haben. Zusätzlich belohnt werde ich auf der Dachterrasse des angeschlossenen Bistros mit dem besten Blick auf die Arena, den Nîmes zu bieten hat.

Am nächsten Tag reise ich noch weiter nach Süden, durch das große Feuchtgebiet der Camargue. Wie in vielen anderen Naturreservaten der Welt auch erschließt sich ihr Zauber für den schnellen Besucher nur selten.

Von Aigues Mortes brach einst Frankreichs König Ludwig, "der Heilige", zum Kreuzzug gegen die Ungläubigen auf. Heute kann man sich hier maximal zu Rundfahrten durch die Kanäle der Camargue einschiffen, denn der einst bedeutende Ort liegt aufgrund der Verlandung der Rhône-Mündung schon lange nicht mehr am Meer. Der Tour Constance der Festung diente einst auch als Gefängnis, in dem auch schuldlose Menschen eingesperrt waren. Sein Besuch ist ein entsprechend bedrückendes Erlebnis.


In der Stadt der Jugend 

Wieder ein Szenenwechsel. Mont­pellier ist eine in jeder Hinsicht aufstrebende Stadt. Die im fernen Paris getroffene Entscheidung, nicht ihre Stadt, sondern Toulouse zur Hauptstadt der neuen Region Okzitanien zu machen, können Montpelliers Einwohnerinnen und Einwohner leicht verschmerzen. Denn seit den 1980er-Jahren sorgt eine fortschrittliche Stadtpolitik dafür, dass das historische Zentrum saniert wurde und Montpellier mit den neuen Stadtvierteln Antigone bzw. Port Marianne dem Meer entgegen wächst.

Das sorgt für enormen Zuzug aus anderen Städten Frankreichs, wo das Leben teurer, die Temperaturen niedriger und die Strände weit entfernt sind. Ein jugendliches kulturhungriges Publikum bevölkert in Normalzeiten nahezu zu jeder Tages- und Nachtzeit Montpelliers autofreien Place de la Comédie, der von der Oper, zahlreichen Cafés und pompösen Bürgerhäusern gesäumt ist und dessen Mittelpunkt der "Brunnen der drei Grazien" bildet.

Durch die Stadt bewegt man sich mit ultramodernen Straßenbahnen, Autoverkehr gibt es im Zentrum kaum. Für einen Stadtrundgang bietet sich ein Weg vom Triumphbogen an der Rue Foch über die Place des Trois Grâces bis zum neuen Stadtviertel am Fluss Lez an, von wo man wieder mit der Tram-Linie 1 bequem und rasch ins Zentrum zurückfahren kann.

Mir fällt der Abschied von Montpellier schwer. Man überlegt ja immer wieder, in welchen Städten man außerhalb Österreichs leben könnte, auch wenn es dann letztendlich beim Traum vom Süden bleibt. Während ­diese Zeilen geschrieben werden, steigen die Infektionszahlen wieder an. Montpellier scheint so fern wie eine Stadt auf dem Mond.


Canal du Midi & Carcassonne

Was ­wäre der Süden Frankreichs ohne den Canal du Midi, den "Kanal des Südens", der Toulouse mit dem Küstenort Sete bei Montpellier verbindet? Beim Städtchen Béziers befindet sich ein besonders spektakulärer Abschnitt des Bauwerks. Die Écluses de Fonseranes sind ­eine siebenstufige Schleusentreppe, mit der die Boote insgesamt 21 Höhenmeter überwinden. Den besten Blick auf das Spektakel hat man von einer Brücke am Fuß der Anlage.

Von Béziers führt mich mein Weg nach Narbonne und Carcassonne sowie schließlich in die Hauptstadt Toulouse, von deren Flughafen ich die Heimreise antreten muss.


 

Blickrichtung Sommer

Kommentar. Nach einem Jahr Coronavirus-Pandemie steigt der Wunsch nach Abwechslung, wächst die Sehnsucht nach Reisen. Als es im vergangenen Spätsommer kurz möglich und erlaubt war, bin ich in den Süden Frankreichs gereist, um die neue Großregion Okzitanien zu erkunden. Jetzt erscheint mein Bericht im auto touring zu einem Zeitpunkt, zu dem es für Frankreich wie auch für fast alle anderen Länder der Welt eine Reisewarnung gibt (April 2021). Zwar sind Infektionszahlen weiterhin hoch und Impfungen laufen nicht so rasch und gut wie zunächst gedacht. Dennoch gibt es Hoffnung, dass das Reisen im Sommer und Herbst unter Einhaltung von Regeln und Vorschriften wieder möglich sein wird. Davon wollen wir hier träumen.

Roland Fibich, Redakteur

Klicken Sie hier zu den Angeboten des ÖAMTC-Reisebüros für Okiztanien. Tagesaktuelle Informationen zum Reisen während der Covid-19-Pandemie hat das ÖAMTC-Urlaubsservice. Allgemeine Informationen zu Frankreich gibt es bei den ÖAMTC-Länderinformationen sowie bei Atout France. Weitere nützliche Informationen gibt es auf den Seiten der Departements Gard, Hérault und Aude.