Ganz schön wild!

Eine Woche draußen im Südwesten der Insel Irland, wo Himmel, Meer und Erde einander so nahe sind wie sonst nur selten und der Mensch eine Nebenrolle einnehmen muss. 
 

Ostwind ist eine Seltenheit in der Bucht vor Glengarriff ganz im Südwesten Irlands. Mein Pech, dass er ausgerechnet in diesen Stunden lebhaft auffrischt. Denn heute bin ich nicht zu Lande, sondern zu Wasser unterwegs: Gut eingepackt in Schwimmweste und Neoprenanzug stecke ich in einem Paddelboot und versuche, Kurs auf eine bewaldete Insel zu halten. 

Voraus zieht Nathan von "Outdoors Ireland" mit kräftigen Zügen durch Wind und Wellen. Beim Treffen vor gut zwei Stunden an der Pier von Glengarriff hatte Nathan das Paddelboot so selbstverständlich alleine vom Anhänger gehoben, als wäre es ein federleichtes Modell aus Papier.

"Was machst du so, wenn du nicht gerade mit Touristen durch die Bucht paddelst?", hatte ich ihn gefragt. "Ich trainiere Überlebenstrainer, auch fürs Militär." Na servas. 

Aber ich will die Anstrengungen dieser Stunden im Paddelboot nicht im Nachhinein unmäßig übertreiben. Wirklich heftig waren ja nur die letzten 30 Minuten, genauer gesagt eben der blöde Ostwind. Vorher waren wir gemütlich über spiegelglattes Wasser hinüber zu einer verwunschenen Insel gepaddelt, hatten frische Austern gekostet, die Nathan fachmännisch von den Felsen schnitt, und uns von Robben bestaunen lassen, die uns umkreisten, da und dort wie Bojen auftauchten, als wollten sie unseren Weg durch ihr Revier markieren.

Ganz nahe an der Natur

Bewegung in der Natur: Das ist hier, in Irlands Region West Cork, geradezu Programm. Im Südwesten greift die Landmasse der Grünen Insel gleich mit mehreren lang gezogenen Halbinseln wie mit Fingern hinaus in den ­Atlantischen Ozean. Die größte und bekannteste davon ist Iveragh mit dem Ring of ­Kerry und dem Killarney National Park. Jene südlich davon – Beara, Sheep's Head und Mizen Head sowie die anschließende Südküste in Richtung Kinsale – sind (außerhalb Irlands) weit weniger bekannt.

Gleichwohl bietet sich Neugierigen auch hier der gesammelte irische Augenschmaus, der Ferien am nordwestlichen Außenposten Europas so einzigartig macht: wilde Küstenlandschaften mit eingetupften Schafherden, darüber phantastische Wolken-Lichtspiele. Verträumte Dörfer mit bunten Häusern, die nur außerhalb der unzähligen Pubs einen verschlafenen Eindruck machen. Herrschaftliche Häuser, ja mancherorts fast Paläste, die man nicht nur bestaunen, sondern oft auch bewohnen kann. Und lebenslustige Menschen, die auch Ausländern gegenüber immer für ein freundliches Wort oder auch nur eine nette Geste Zeit haben.  

Im Südwesten Irlands – Video

Zu Fuß. Oder auch per Fahrrad.

Bleiben wir noch einen Moment bei der Fortbewegung durch dieses Naturparadies. Schon seit einigen Jahren erschließt der Wild Atlantic Way die schönsten Routen entlang der irischen Küsten nicht nur für Autofahrer, sondern auch für Radler. Die besten Plätze erreicht man freilich nur zu Fuß.

Einen dieser gut ausgeschilderten Wege probiere ich am Tag nach meinem Paddel-Abenteuer aus. Wieder ist der gute Nathan mein Begleiter, aber an diesem Tag ist alles halb so wild. Ganz draußen auf der Halbinsel Sheep's Head spazieren wir dem Schaf sozu­sagen auf der Nase herum, genießen die magi­sche Szenerie aus Himmel, Meer und Erde, wandern hinüber zum Leuchtturm, der ganz draußen auf dem letzten Felsen zu kleben scheint.

Ein Mann mit seiner kleinen Tochter sind die einzigen Menschen, denen wir in den gut drei Stunden begegnen. "Wir haben einen Wal gesehen, da draußen", berichtet die Kleine aufgeregt, zeigt in gleißende Fernen. 

Ich sehe freilich keinen Wal. Und das sollte auch am folgenden Tag so bleiben, denn mein geplantes Date mit Nic von "Whale Watch West Cork" fällt – in typisch irischer Manier? – dem schlechten Wetter zum Opfer.

Ersatzweise erkunde ich gleich den nächsten "Atlantik-Finger" und fahre schmale einsame Straßen hinaus auf die Halbinsel Mizen Head, zunächst durch den lebhaften Ort Schull, dann bis zur Barley Cove, einer schönen Sandbucht. Der Reiseführer belehrt mich, dass die Dünen von einem Tsunami in Folge des Erdbebens von Lissabon 1755 aufgeworfen wurden.

Mizen Head erwartet mich mit schönem, aber windigem Wetter und spektakulären Aussichten auf eine gigantomanische Felsküste. Eine Brücke überspannt eine tiefe Meeresschlucht, wahrscheinlich deshalb ist hier auch Eintritt zu bezahlen, die 7,50 Euro sind es aber wert. Angestrengt spähe ich hinaus in des Ozeans Fernen, ob ich nicht vielleicht doch einen Wal sichte, doch – man möchte sagen: zum Glück! – folgt die Natur keinem Reiseprogramm. 

Zu Gast in edlen Landhäusern

Radfahren fehlt noch in der Liste der Fortbewegungs-Arten, die ich auf der Insel ausprobieren möchte. Und so habe ich am folgenden Tag eine Verabredung mit Ruth Herman von "Wild Atlantic Sports". Wir treffen einander am Old Head of Kinsale, ­einem weiteren Kap. Eine steife Brise lässt mich zunächst an der Sinnhaftigkeit des Vorhabens zweifeln. Doch kaum haben wir das Plateau verlassen, lässt der Wind nach und der Antrieb des E-Bikes verschafft mir zwei wunderbare Stunden auf zwei Rädern. 

Die Stadt Kinsale ist ein Schmuckstück mit bunten Häusern, schönem Hafenrund und einem guten Pub neben dem anderen. Ich steige im traditionellen Old Bank Townhouse ab, in dessen Café eine ganze Schar irischer Omas gerade den Afternoon Tea genießt.

Später lockt mich das Charles Fort an der Bucht vor der Stadt, aber nicht so sehr der Militärbau selbst, sondern der Spazierweg, der gleich dahinter beginnt. Er führt durch blühenden Stechginster, Schlehdorn und Brombeer-Sträucher immer am Wasser entlang hinaus auf eine weitere Halbinsel.

Womit wir schon bei den Gärten sind. Größte Attraktion in dieser Beziehung ist Garinish Island in der Bantry Bay. Die kleine Fähre von Glengarriff bringt mich in wenigen Minuten hinüber in diesen Zaubergarten, der eine bewegte Geschichte hatte, bis er letztendlich in staatliches Eigentum gelangte und nun der Öffentlichkeit zugänglich ist.

Noch immer in Privatbesitz ist Bantry House im gleichnamigen Städtchen einige Kilometer weiter. An dem imposanten Schloss faszinieren mich nicht nur die phantastische Aussicht über die Bucht, sondern vor allem auch Innenräume und Bibliothek: Gibbons "Decline and Fall of the Roman Empire" hat einen ­Ehrenplatz, oben im Schlafgemach liegt am Nachtkästchen die Geschichte von Harold und William während der Eroberung Englands durch die Normannen 1066 aufgeschlagen – Landadel "at it's best". 

Kleine Einblicke in diesen Lebensstil kann man auch erhaschen, wenn man in historischen Landhotels eincheckt, etwa ins Seaview House in Ballylickey nahe Bantry: helle Zimmer mit Gardinen und Deckchen verziert, persönlicher Kontakt zu den Gastgebern und Gastgeberinnen im gemütlichen Salon und ein mehrgängiges Dinner warten, nachdem man ermattet in die Federn des überdimensionierten Bettes sinken kann.

Geführte Rundreise oder invididuelle Tour?

Wer schon mehrmals in Irland war, wird also vielleicht meine Anregungen aufnehmen und den Südwesten der Insel bei ­einer Rundreise mit dem Mietwagen ausführlich erkunden und auch die eine oder andere Unternehmung mit dem Rad, zu Fuß oder auch im Paddelboot unternehmen. Freilich setzt dies eine Auseinandersetzung mit dem Linksverkehr auf der Insel und dem manchmal recht flotten Fahrstil der Einheimischen voraus.

Wer darauf keine Lust hat und zum ersten Mal auf die Insel reist, könnte auf eine organisierte Pauschalreise zurückgreifen, bei der man sich in einer Woche einen guten Überblick verschaffen kann.

Das "Erlebnis Irland" wartet freilich da und dort: Es ist der Wind, der dir auf der einsamen Landspitze um die Ohren pfeift, unterbrochen nur vom aufgeregten Gekreische der Seevögel. Die vom Meer übers Land getriebenen Wolken lassen immer wieder Sonnenstrahlen durchblitzen, zeichnen ständig neue Schattenformationen auf das sattgrüne Gras, während ganz unten die Brandung – wie seit Jahrmillionen – unermüdlich gegen die Felsen tost. Stundenlang könnte ich diesem Naturschauspiel auf Mizen Head zu­sehen, bis mich dann doch Hunger und Durst zurücktreiben in unsere Zivilisation.  

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