Mit der Queen Mary 2 über den Atlantik

Eine Woche an Bord von Southampton nach New York: das Reisetagebuch.

Ist nun der Weg das Ziel (eine abgedroschene Phrase!) oder ist es doch nur das Ziel selbst? Eine Kreuzfahrt verbindet beides – und bietet noch dazu viele Zwischenziele. Bei dieser Reise war allerdings klar, dass es sich um keine Kreuzfahrt handelt. Es ist eine Reise in der Tradition der Fernreisen jener Zeit, in der Flugzeuge noch keine Ozeane überqueren konnten. Als der Atlantik als "die" Rennstrecke der Ocean Liner galt, auf der Linienschiffe mit zahlenden Passagieren von Auswanderern über Geschäfts- bis hin zu Vergnügungsreisenden an Bord noch um das Blaue Band kämpften, das jenes Schiff erhielt, dass die Transatlantik-Passage am raschesten bewältigte.

Heute machen Flugzeuge den Himmel zwischen Europa und New York zur Rennstrecke, auf Seehöhe null verkehren fast nur noch Frachtschiffe. Bis auf wenige Ausnahmen. Eine davon ist die Queen Mary 2 der Reederei Cunard. Das Ticket für die Atlantik-Überquerung bekam ich schon Wochen vor der Abreise zugeschickt.

Tag 1, Freitag 27. 7. 2018:

Um 13:10 Uhr Western European Time bin ich in Southampton am Pier, am Ocean Transfer Terminal. Und da liegt auch schon die Queen Mary 2. Überwältigend, wie ein überdimensioniertes Hochhaus. Wikipedia am Smartphone sagt: 345 Meter lang, 72 Meter hoch (ein 380er-Airbus ist gerade einmal 80 Meter lang und 24 Meter hoch). Ich hieve die Koffer aufs Förderband (die Badges mit meiner Kabinennummer habe ich ja schon erhalten), betrete mit dem Handgepäck das Terminal – und warte erst einmal.

Ich habe einen grünen Zettel mit dem Buchstaben "G" enthalten. Um 13:30 Uhr ist aber gerade Rot mit "L" dran. Später erfahre ich: Wer eine teurere Kabine gebucht hat, darf früher aufs Schiff. Erst zwei Stunden später bin ich an der Reihe. Ich erhalte meinen Bord-Ausweis, eine Plastikkarte, deren ID mit der Kreditkarte verknüpft ist, und werde fotografiert. Erst danach darf ich die Sicherheitskontrolle (nicht anders als am Flughafen) passieren.

16:00 Uhr: Ich bin auf dem Schiff. Endlich. Werde begrüßt – und bin überwältigt. Stehe etwas verloren in der riesigen Halle mit ihren Stiegenhäusern, Liften und breiten Gängen. Frage mich zu meiner Kabine Nr. 4166 durch. Sie ist eine 23 m2 große, helle Außenkabine der Klasse Britannia Club mit einem kleinen Balkon, liegt auf Deck 4, also quasi drei Stockwerke unter der Gürtellinie des Schiffes, auf der Backbord-Seite (der linken in Fahrtrichtung) im hinteren Teil – also Mittschiffs achtern, wie es in der Seemannssprache heißt.

Lovell, ein Steward, stellt sich vor und öffnet mir die Tür. Links Bad und WC, rechts der Kasten, dann auf der linken Seite das Bett und eine Couch, rechts ein kleiner Schreibtisch mit einem Strauß frischer Blumen und einem Wasserkocher. Und am Couchtisch vor der Balkontür ein Eiskübel mit einer Flasche Begrüßungs-Schaumwein. Kommt von Pol Acker aus Frankreich, dürfte exklusiv für die Cunard-Reederei produziert werden und schmeckt gut, wie ich vor dem Schlafengehen feststellen sollte. 

16:45 Uhr: Die obligate Notfall-Übung. Kleineres allgemeines Chaos, bis alle Passagiere den für sie dafür vorgesehenen Treffpunkt gefunden haben. Ich erfahre: Sieben Mal ein kurzer Ton des Schiffshorns und darauf ein langer – so wird der Alarmplan in Kraft gesetzt. Wenn das passiert, müssen alle Passagiere die Schwimmwesten aus dem Kasten nehmen, sie so anlegen, wie es jetzt gezeigt wird, und sich an den für sie vorgegebenen Stellen versammeln.

Ein kleiner Rundgang und eine kurze Dusche danach gehen sich gerade noch aus, ehe um 18 Uhr im Britannia-Restaurant das Abendessen serviert wird. Alternative wäre der zweite Durchgang um 20:30 Uhr gewesen – für jene Gäste, die das lieber haben, gibt es auch eine zweite Session fürs Abendprogramm. Früher halt.

Das Britannia-Restaurant also. Ein riesiger Saal mit einer großen Balustrade, im Art-déco-Stil eingerichtet, mit Platz für über 1.300 Gäste. Während es untertags keinen Dresscode gibt (außer den Verboten von Jogginganzügen für Nicht-Jogger und zerrissenen Jeans für alle), ist abends zumindest Smart Casual Pflicht: Für Männer heißt das ein Sakko – selbst wenn es beim Essen nur an der Lehne hängen bleibt.

Es gibt fix eingeteilte Plätze: Ich sitze an einem Tisch mit einem pensionierten englischen Offizier, der 13 Jahre im noch geteilten Berlin verbrachte, und seiner aus Mexiko stammenden Frau sowie einem Ärzte-Ehepaar aus den USA. Sehe, dass ich, was den Altersschnitt betrifft, noch zur jüngeren Hälfte gehöre. Angenehme Plaudereien auf Englisch. Philippinische Kellner mit perfekten Umgangsformen rücken die Sessel zurecht und servieren wie aus dem Lehrbuch. Füllen stets Wasser nach und umrunden den Tisch mit einer riesigen Pfeffermühle.

Während uns der tschechische Sommelier glasweise ausgeschenkte Weine zu 8,80 und 11 Dollar empfiehlt (gute Empfehlung!), merken wir alle gar nicht, dass sich die Queen Mary 2 bereits in Bewegung gesetzt hat.

Tag 2, Samstag 28. 7. 2018:

Die Betten sind wirklich gut. Ich habe sehr gut geschlafen, aber jetzt spüre ich zum ersten Mal Anzeichen von rauerer See. Der Infokanal weist noch Windstärke 3 bis 4 aus; als ich zum Frühstück ins Britannia-Restaurant aufbreche, bereits 7 bis 8, das spürt man schon ein wenig. Je weiter oben, desto stärker. 

Im großen Restaurant wird das Frühstück serviert. Es gibt übrigens die gleichen Sachen wie im Selbstbedienungs-Buffetrestaurant Kings Court am Promenadendeck, wie ich kurz darauf feststellen kann.

Apropos Promenadendeck: Die Ausgänge zu ihm sind wegen des Windes und der Wellen geschlossen. Dafür ist die Bibliotheksehr gut besucht. Mit ihren über 10.000Bänden – auch deutschsprachige sind dabei –ist sie die weltweit größte schwimmende Bibliothek. Kein einziger der Lederfauteuils mit dem Traum-Blick auf den Bug des Schiffs ist frei.

Auch im Fitnessraum sind alle Geräte und Laufbänder belegt. Wohin also jetzt? In die Carinthia Lounge, eine Mischung aus Hotellobby, Kaffeehaus und Bar, in der es, gegen Extra-Aufzahlung, versteht sich, sogar original Illy-Kaffee gibt. Und der ist, im Gegensatz zum kostenlosen, den die Wasser-, Tee- und Kaffee-Automaten bieten, auch für unsere verwöhnten Gaumen ein Genuss. Wie die Lounge zu ihrem Namen (tatsächlich "Kärnten"!) kam: Ein 1925 gebautes Schiff der Reederei hieß so.

Wer in der Carinthia Lounge einen Imbiss nimmt (das ist vom Frühstück weg bis in die Nacht möglich), hat übrigens – aufpreisfrei – eine kleine, aber sehr feine Auswahl an einem stündlich wechselndem Snackangebot, das zwei Köche vor Ort zubereiten. Ich wähle einen Salat mit Krabben.



Punkt 12 Uhr dann die tägliche Durchsage von der Brücke, angekündigt von einem langen Stoß aus dem Schiffshorn. Wir haben um 7 Uhr den Bishop-Rock-Leuchtturm passiert, derauf einer Klippe, dem südwestlichen Ende des Ärmelkanals vorgelagert, den Beginn unserer Transatlantik-Passage markiert. Deren Ende sollen wir fast eine Woche später mit dem West-Bank-Leuchtturm am Ambrose Channel zwischen New York und New Jersey erreichen.

Ich erfahre, dass wir mit 20 Knoten, also etwas unter der errechneten Durchschnittsgeschwindigkeit von 21 Knoten (rund 39 km/h)unterwegs sind und der Atlantik unter uns jetzt 100 Meter tief ist. Der Wind hat sich ein wenig beruhigt, als ich kurz nach fünf und im feinen Dress hinunter zum kleinen Ballsaal schreite: Der Kapitäns-Empfang, Pflichtpunkt jeder Reise mit der Queen Mary 2, steht auf dem Programm.

Wer will, kann sich bei diesem Spätnachmittags-Cocktail (ausgeschenkt werden Champagner und Gin Tonic) mit Captain Peter Philpott fotografieren lassen – ich wollte nicht, lauschte bloß, wie er sein Führungsteam vorstellte. Den meisten Applaus nach ihm bekam – eh klar – der Küchenchef, Klaus Kremer heißt er und aus Deutschland kommt er.

2.694 Passagiere aus 42 Ländern befinden sich auf dem Schiff, berichtet Philpott, und 1.265 Mann Personal aus 62 Ländern. Die Stimmung erreicht ihren Höhepunkt, als der Captain die Gäste fragt: "Wollt Ihr weiterhin solche formellen Schiffsreisen?" und das Publikum begeistert applaudiert.

Nach dem Abendessen (sehr gut heute, Chateaubriand begleitet von australischem Cabernet Sauvignon aus Malbeq) geht es um 20:45 Uhr ins Theater zu einer Broadway Show: Perfekte Sänger/Tänzer fegen mit 1A-Choreographie und begleitet von einem großen Orchester 45 Minuten lang zu den Gassenhauern aus Leonard Bernsteins "West Side Story" und anderen Broadway-Hits über die Bühne. Eine tolle Show, die selbst Musical-skeptisches Publikum begeistert.

Vor dem Schlafengehen ist dann wieder Uhr-Zurückstellen angesagt.

Tag 3, Sonntag 29. 7. 2018:

Nach einer ruhigen Nacht mit Windstärke 3 Frühstück im Kings Court, dem großen Selbstbedienungs-Restaurant am Deck 7, dem Promenadendeck. Hier gibt es quasi das gleiche Angebot, das im Britannia-Restaurant serviert wird. Der Vorteil: Man bestellt sich nicht einfach einen "Käseteller", sondern holt sich vom Buffet exakt jene Sorten, die man mag. Detto bei Schinken und Wurstwaren, Eier werden vor dem Gast zubereitet. Die Nachteile: Man isst mehr als nötig (speziell die vielen tollen süßen Sachen, wenn man sie alle vor Augen hat), muss sich den Kaffee selber holen und möglicherweise an einigen Stationen anstellen. Leere Teller werden zwar sehr rasch abserviert, es herrscht aber stets ein Kommen und Gehen, denn auch jene, die bloß eine Runde an Deck spazieren möchten, schlendern an den Tischen vorbei.

Viel Zeit habe ich nicht, denn um 11 Uhr bin ich mit Klaus Kremer verabredet, dem Küchenchef der Queen Mary 2. Er ist seit 30 Jahren bei der Reederei Cunard und seit 14 Jahren auf diesem Schiff.


Kremer, ein Deutscher, hat 220 Mitarbeiter unter sich, 150 davon Köche. Diese bereiten täglich 16.000 Gerichte zu. Die Transatlantik-Passage stelle für ihn eine besondere Herausforderung dar, weil unterwegs nichts eingekauft oder nachgeliefert werden kann. Für die 7-Tage-Reise hat er diesmal 50 Tonnen Frischobst und Gemüse, 10 Tonnen Rindfleisch, 9 Tonnen Frischfisch, Meeresfrüchte und Schalentiere, 9 Tonnen Huhn, je 2 Tonnen Reis, Zucker, Käse- und Milchprodukte, 20.000 Liter Milch und 32.000 Eier an Bord. 

Tag 4, Montag 30. 7. 2018:

Aufgewacht um vier Uhr früh: Windstärke 8, die See ist rau. Muss das sein? Muss nicht, kann aber öfters so sein am Atlantik. Dabei soll es, wie ich morgens erfahre, eine Stunde zuvor die größte Schaukelei gegeben haben. Habe ich glatt verschlafen...

Frühstücken um 10 Uhr bei Windstärke 6 und Sonnenschein in der Carinthia Lounge, wunderbare kleine, frisch zubereitete Snacks wie Toast Benedictine, Lachs-Bagel oder Fruchtsalat zum italienischen Espresso – und ohne Gedränge. Die Notfall-Übung fürs Personal, die nebenher sehr routiniert abläuft, stört kaum.

Um 11 Uhr lausche ich im großen Theatersaal einer Ikone meiner Kindheit: Jackie Stewart, dreimaliger Formel-1-Weltmeister und mittlerweile 79 Jahre alt und topfit, wie ich später im Fitness Center mitbekommen werde. Der Racer von einst ist jetzt, da seine Frau Helen gegen Demenz ankämpft, zum "Race against Dementia" angetreten, widmet seine Aufmerksamkeit und viel Geld der von ihm gegründeten Stiftung gegen die heimtückische Gehirnerkrankung.

Das große Bord-Theater ist voll, als er die Bühne betritt. Dunkelgrüner Anzug, mittelgrüne Krawatte, hellgrünes Hemd, unter der Manschette eine Rolex mit grünem Zifferblatt, die Haare hellgrau, weniger füllig und nicht mehr so lang wie einst.

"Ich werde nicht viel über Motorsport sprechen", meint er. Und deutet auf das Blatt Papier, das vor ihm auf dem Pult liegt. "Ich habe mir nur eine Seite Notizen gemacht, denn Ihnen etwas vorlesen kann ich nicht. Ich bin Legastheniker."

Jackie erzählt, dass mindestens fünf Prozent aller Menschen von Legasthenie betroffen sind, dass früher in den Schulen nicht darauf eingegangen wurde und viele Betroffene deswegen zu Alkoholikern oder Drogenabhängigen wurden. Oder aber im Sport aufgingen, so wie er als 15-jähriger Schulabgänger. Sein Sport damals: Tontaubenschießen. "Legastheniker können hervorragend fokussieren", erklärt er, und dass es bei diesem Sport nur einen einzigen, unwiederbringlichen Moment gibt, um abzudrücken. Die Erkenntnis, dass sich dieses Fokussieren auch beim Autofahren anwenden lässt, sollte Stewarts weiteres Leben bestimmen.

Nach dem Stewart-Vortrag wieder raus an Deck. Ein Wetter wie bei uns im April ­– mitten am Atlantik im Juli. Es regnet wieder – ab in die Kabine. Da kommt die Sonne heraus. Ich verbringe zwei Stunden auf dem Balkon, im Sweater bei 15 Grad und Windstärke 6. Naja. Aber bald ist es eh halb vier – High Tea im Queens Room, dem Ballsaal. Gibt es täglich, einmal muss ich mir das auch geben.

Ein kleines Klassik-Orchester spielt Vivaldi und Strauß, serviert wird, eh klar, Tee, dazu gibt es Scones, kleine, feine Patisserie und Sandwiches. Für mich persönlich eher eine langweilige Angelegenheit – aber das meist ältere Publikum (hier älter als der Altersschnitt am Schiff) zelebriert diese Jause.

Danach finde ich ein freies Ledersofa in der Bibliothek, blättere in den hier aufliegenden US-Reisemagazinen und britischen Oldtimer-Fachzeitschriften, bis die Zeit zum Herausputzen für den Abend knapp wird: Galaabend ist angesagt. Zumindest Anzug mit Krawatte ist für Herren Pflicht (extra mitgenommen, Smoking besitze ich keinen), für Damen ist ein Cocktailkleid obligat. Alles sehr elegant; auch was auf den Teller kommt: Es beginnt mit einem perfekten Roastbeef und steigert sich.

Tag 5, Dienstag 31. 7. 2018:

Aufwachen kurz vor 6 Uhr Schiffszeit, noch vor acht bin ich im Fitness Center am Crosstrainer. Kleines Frühstück im Britannia, zum Drüberstreuen noch ein French Toast im Kings Court Restaurant. Essen kann man (bis auf drei Stunden in der Nacht) quasi rund um die Uhr.

Das Wetter ist – naja. Die See passt halbwegs. Im 12. Stock gibt es einen Pool mit einer Art Glas-Schiebedach darüber, das bei passenden Temperaturen aufgemacht wird. Bloß hat’s die heute nicht. Eine Liege ist noch frei. Ich döse ein wenig, werde durch die Mittags-Durchsage geweckt.

500 Seemeilen sind wir von der östlichsten Küste Kanadas entfernt, und in der kommenden Nacht werden wir um 2 Uhr 30 die Untergangs-Stelle der Titanic (eigentlich gleiche Reederei, denn White Star fusionierte mit Cunard) passieren – 155 Meilen weiter nördlich allerdings. Eisberge sind hier keine in Sicht, die Sonne scheint wieder, 16 Grad Außentemperatur.

Ich schwimme ein paar Längen und liege danach wie im Glashaus an der Sonne. Dass Europa zu diesem Zeitpunkt unter einer Hitzewelle stöhnt, erfahre ich aus den deutschsprachigen TV-Programmen. Sechs sind rund um die Uhr zu empfangen, österreichisches ist keines dabei. Das Smartphone habe ich bewusst offline geschaltet, verwende es nur zum Fotografieren, denn Internet funktioniert nur über Satellit, kostet einiges und soll langsamer als gewohnt funktionieren. Auch Telefonieren hat einen Preis, der nur für wichtige Gespräche gerechtfertigt ist. Ich genieße meine Zeit im Off ganz bewusst.

Dann beschließe ich, die Sonne zu genießen. Sweaterjacke an und ab zu Deck 7. Ich drehe ein paar Runden, hart am Wind beim Pool am Heck. Ob sich ein paar Stunden hier (in der Badehose!) noch auf dieser Reise ausgehen werden?

Den Sechsertisch zum Abendessen schwänze ich heute, gehe lieber ins Theater. Zwei Sängerinnen und zwei Sänger geben, begleitet vom großen Bord-Orchester, eine schwungvolle bis Gänsehaut-produzierende Performance. Geboten werden Songs, die alle kennen, von einem Medley aus James-Bond-Filmen über Songs von Dusty Springfield bis hin zu Musicals.

Als ich vor dem Schlafengehen noch aufs Bord-TV schalte, gibt es eine Überraschung: Wir sind irgendwann vor ein paar Stunden von der gewohnten geraden Route über den Atlantik um 90 Grad nach Norden abgebogen und bewegen uns im Moment wieder nach Westen, parallel zur bisherigen Route, nur halt weiter nördlich. Weichen wir vielleicht gar der Unglücksstelle der Titanic aus?

Tag 6, Mittwoch 1. 8. 2018:

Heute gab es keine Zeitumstellung. Dafür herrscht von der Morgendämmerung an Pracht-Wetter, es hat bereits 19 Grad. Der Blick auf die Live-Routenkarte scheint die Vermutung zu bestätigen, dass der Kapitän die Unglücksstelle umfuhr. Denn nach dem Ausreißer nach Norden sind wir jetzt wieder  auf der ursprünglichen Linie. (Eine Anfrage bei Cunard nach der Reise bestritt dies allerdings.)

Zwei Stunden später dann der Besuch im Allerheiligsten des Schiffs, das den übrigen Gästen verwehrt bleibt: auf der Brücke. Captain Philpott nimmt sich 15 Minuten Zeit für mich, hieß es. Es sollten 30 werden. 


Captain Philpott erklärt mir die Unterschiede zwischen einem Kreuzfahrtschiff (nein, dies ist keines) und einem Ocean Liner (das ist die Queen Mary 2): Letzterer ist viel stabiler, schlanker, tiefer gehend und stärker, gebaut für tagelange Reisen auch bei stürmischer See, wie man sie halt speziell im Atlantik antrifft. Im Winter viel öfter als jetzt im Sommer, wie er meint. Einen tollen Ausblick hat er hier, und viiiiel Platz. Sechs Leute sind zur Zeit auf der Brücke, das Schiff fährt mit Autopilot und muss bloß überwacht werden.

Philpott begann seine Karriere auf Tankern und Frachtschiffen, ehe er 1989 auf Passagierschiffe wechselte. 2007 wurde er erstmals Kapitän eines Kreuzfahrtschiffs, 2012 wechselte er zu Cunard – auf die Queen Victoria. Und fünf Jahre später wurde er Kapitän auf der Queen Mary 2.

Nach dem Interview hinunter mit dem Panorama-Lift. Alexander Benton, der Umwelt-Manager, bittet tief unten im Schiff zum Interview. Erstaunlich, aber vorausgeahnt: der totale Gegensatz zur luxuriösen übrigen Ausstattung des Ocean Liners.

Der junge Mann zeigt mir, wie alles nicht mehr benötigte Glas geschreddert und Metall zu Würfeln zusammengepresst wird, erklärt, wie vorbildlich die Abfälle entsorgt werden und woher die riesigen Mengen Trink- und Duschwasser kommen, die täglich am Schiff benötigt werden: Es ist Seewasser, das in zwei Aufbereitungsanlagen trink- und koch- und verwendbar gemacht wird – fast zwei Millionen Liter pro Tag. Eine Kläranlage soll das Abwasser umweltgerecht entsorgbar machen.

Kurz darauf erwartet mich schon der Technik-Chef in einem tief unten liegenden Hochsicherheits-Bereich. Hier wird dafür gesorgt, dass alle Steuerbefehle von der Brücke auch ausgeführt werden können, sprich dass alle Aggregate (vier Diesel- und zwei Gasturbinen mit insgesamt 116.927 PS) immer funktionieren. Stets im Bild hat er hier per Video-Überwachung alle Triebwerke und den großen Schlot.


Abends ist im Britannia wieder einmal Gala angesagt. Höhepunkt ist die große Koch-Parade: 150 weiß behaubte Meister ihres Fachs paradieren zum Radetzkymarsch  die große Showtreppe im Restaurant rauf und runter, kommentiert vom Entertainment-Direktor, den ich von einem anderen Bord-TV-Kanal kenne, wo er ab 6 Uhr früh eine Morgenshow in Dauerschleife moderiert, das Tagesprogramm erklärt und dabei Köche, Restaurantchefs, Barkeeper, Fitnesstrainer und andere Menschen mit Publikumskontakt sowie die mitreisenden Stargäste zu sich auf die Couch bittet und vorstellt.

Nach dem Essen geht sich noch ein Sundowner im Commodore Club aus. Und eine letzte Runde an Deck – es hat immerhin 22 Grad. Das ist mir lieber als der "Venezianische Maskenball", der jetzt anderswo beginnt. Die Uhr wird heute übrigens nicht zurückgestellt.

Tag 7, Donnerstag, 2. 8. 2018:

Schlecht geschlafen heute – warum? Es ist stark bewölkt, warm und feucht. Doch die Wolken verziehen sich rasch. Zum Frühstück habe ich schon die Badehose unter der Hose an, eine Stunde später liege ich Heck-Pool auf Deck 8 in der herunterknallenden Sonne, bevor ich in den Schatten übersiedle – ganz nach oben zu den Außenplätzen des Innenpools. Ja, der mit dem Schiebedach. Es bleibt aber auch heute zu.

Der Tag vergeht schnell, fast zu schnell. Der Abend beginnt mit einem Aperitif im Commodore Club. Der Barmann schüttelt filmreif Cocktails.

Nach dem Abendessen im Verandah-Restaurant (quasi der Gourmettempel der Queen Mary 2, kostet 36 Dollar Aufpreis) rasch ins Bett – morgen muss ich ganz früh aufstehen. Zum letzten Mal wird die Uhr zurückgestellt – und zum ersten Mal der Wecker gestellt. Auf 4:15 Uhr.

Die Einfahrt in New York gilt ja als eigentlicher Höhepunkt der Atlantik-Überquerung.

Tag 8, Freitag 3. 8. 2018:

Nicht genug, dass mich die Wecker-App um viertel fünf aus dem Bett jagt, dann auch noch dieser Stress! Eigentlich hätte sich ja noch eine Dusche ausgehen sollen. Doch dann, als ich auf dem Balkon meiner Kabine noch kurz klare Nachtluft schnappe, der Schock: Da ist sie ja schon, die Verrazzano-Narrows Bridge, für Seefahrer das Tor zu New York. Ungeduscht schnell ins Gewand und zum Lift: Ich will ganz nach oben. Nur leider viele andere auch. Also über die Stiege hinauf hetzen von Deck 4 zu Deck 12.

Viele der knapp 2.700 Passagiere sind bereits da, um den Moment zu erleben, für den es selbst bei Ebbe nur ein ganz knappes Zeitfenster gibt, in dem das Schiff unter der Brücke durchpasst. Vor mir der weiße Mast, hinter mir der Schornstein, um mich die leuchtenden Displays hunderter darauf ausgerichteter Kameras und Smartphones. Die Brücke kommt immer näher, alle schauen jetzt gespannt nach oben, ein Raunen geht durch die Menge: Der Moment ist da.


Instinktiv ziehe ich die Schultern hoch und den Kopf ein. Das kann sich nicht ausgehen.





Es geht sich aus. Das Aufatmen der Zuschauer ist fast spürbar. Gerade einmal zwei Meter trennen das Schiff von der Brücke.

Was jetzt folgt, ist großes Kino, aber in echt: Wie die ersten Lichter Manhattans ins Blickfeld kommen, wie smooth die Nacht zum Tag wird und die schemenhaften Umrisse der Wolkenkratzer zu schroffen Glasgebirgen emporwachsen. Wie plötzlich backbord auf Augenhöhe die Freiheitsstatue auftaucht. Wie wir wenden und rückwärts den Pier in Brooklyn ansteuern, die Skyline vor Augen. Das alles muss man erlebt haben.

Wie auf Schienen und völlig leise gleitet das Schiff dahin, die Wolkenkratzer werden immer größer und höher, hell erstrahlt erscheint die Freiheitsstatue backbord im Blickfeld (also auf der linken Seite). Alle sehen zu ihr hinüber, die Kameras klicken ohne Ende.

Dann stoppt das Schiff plötzlich, dreht und fährt im Rückwärtsgang dem Pier in Brooklyn entgegen. Alle wechseln auf die Steuerbord-Seite, um die Skyline Manhattans im Blickfeld zu haben. Vor uns Governors Island – gleich legen wir an. Pünktlich um 6:30 Uhr.

Jetzt habe ich erst einmal Zeit. Viel Zeit. Zum Packen, zum Frühstücken, zum Fotografieren. Mein Auscheck-Slot ist um 10:30 Uhr. Gleich nachdem ich von Deck gehe, finde ich meinen Koffer dank perfekter Logistik auf Anhieb in der riesigen Halle. Die Sonne strahlt, als ich die Immigration hinter mir habe.

Der Weg ist das Ziel

Eine Phrase, abgedroschen bis zum Geht-nicht-mehr. Aber auf diese Atlantik-Überquerung passt sie. Für viele so sehr, dass sie noch am gleichen Tag wieder zurückfahren. Ich nicht. Ich bleibe in New York. Ich bin angekommen.

Noch ein Nachwort zum Nachdenken:

Es ist schon klar, dass Kreuzfahrtschiffe vom Umweltgedanken her bedenklich sind, ebenso wie Langstreckenflüge. Tatsache ist, dass Menschen Urlaub machen und Kreuzfahrten in der Tourismusbranche zu den boomenden Segmenten zählen. In der Schiffsbranche hat in den letzten Jahren, nicht zuletzt durch Einflüsse von außen, ein Umdenken eingesetzt. So ist mittlerweile ein erstes Kreuzfahrtschiff mit Erdgasantrieb auf den Meeren unterwegs und in viele Regionen dürfen nur Schiffe einfahren, die bestimmte ökologische Voraussetzungen erfüllen. Neue Kreuzfahrtschiffe werden so gebaut und ältere entsprechend umgerüstet, dass an einem Liegeplatz die Stromversorgung von außen möglich ist und somit die Schiffsmotoren abgestellt werden können. 

Es gehört zu den Prinzipien des ÖAMTC, niemanden zu bevormunden, und es ist uns ein Anliegen, dass Menschen über die Wahl ihres Fortbewegungsmittels frei entscheiden können sollen. Viele Menschen, die eher nur sehr wenig Geld zur Verfügung haben, sparen lange, um sich eine Kreuzfahrt als Lebenstraum leisten zu können. 

Das ÖAMTC-Reisebüro bietet viele Kreuzfahrten an, auch diese Transatlantik-Passage. Alle Infos und Buchungen bei den Reisebüros des ÖAMTC und unter Tel. 0810 120 120.