Kreuzfahrten: "Sicherheit zählt mehr denn je"

Warum begeistern sich plötzlich so viele Menschen für Kreuzfahrten? Eine Suche nach Antworten mit dem Hamburger Zukunftsforscher Ulrich Reinhardt.

Mehr als 24 Millionen Menschen haben im vergangenen Jahr eine Reise mit einem von 35 Kreuzfahrtschiffen weltweit unternommen. Was noch vor einiger Zeit eine eher belächelte Reiseform für ergrautes Publikum war, ist zum trendigen, coolen Urlaubsstil geworden. Immer mehr neue Luxusliner mit immer spektakuläreren Attraktionen an Bord laufen vom Stapel. 50 zusätzliche Ozeanriesen werden es voraussichtlich bis 2023 sein. Über die Hintergründe dieser Entwicklung sprach auto touring mit Prof. Dr. Ulrich Reinhardt, Zukunftsforscher aus Hamburg.  

— Wir erleben einen Kreuzfahrt-Boom. Welche gesellschaftlichen Veränderungen sind die Auslöser?Ulrich Reinhardt: Einerseits nehmen die Anforderungen und Belastungen sowohl in der Arbeits- als auch der Allltagswelt zu. Immer mehr Menschen sehnen sich nach Erholung und Entschleunigung und setzen große Hoffnungen in ihren Urlaub. Entsprechend zahlreich sind dann natürlich die Anforderungen, die gestellt werden. Das Spektrum der Erwartungen reicht von Atmosphäre, Freundlichkeit des Personals, Angebotsvielfalt, Kontrast zum Alltag, Zeit zur Regeneration, Zeit für sich und andere über Sonne, Strand und Meer bis hin zu Kontakt zu anderen, Natur, Komfort, Spaß, Sicherheit oder grenzenloser Freiheit. Nahezu alle diese Ansprüche und Erwartungen lassen sich bei einer Kreuzfahrt erfüllen. Andererseits ist da die demografische Entwicklung, die zunehmend auch den Tourismussektor beeinflusst: Weniger Kinder und Familien, dafür mehr Singles, kinderlose Paare und Senioren prägen das Touristenbild. Die älter werdende Bevölkerung hat dabei den stärksten Einfluss auf die Branche und begeistert sich innerhalb der Bevölkerung am meisten für Kreuzfahrten.

— Was bringt Menschen dazu, eine wertvolle Ferienwoche gemeinsam mit Tausenden Fremden auf engstem Raum zu verbringen?

Ulrich Reinhardt: Der Kreuzfahrtreisemarkt fasziniert aufgrund der Kombination vieler Faktoren: Es ist die Freiheit auf dem Wasser und die Geborgenheit in einer geschlossenen Gemeinschaft. Es ist die Kontaktmöglichkeit zu fremden Kulturen und das bekannte Umfeld an Bord. Es ist die Möglichkeit der Ruhe und Entspannung in Kombination mit einem Angebot an Erlebnis und Action. Es sind die Sicherheit, das kulinarische Angebot und die kalkulierbaren Kosten durch das All-inclusive-Angebot und gewiss noch vieles mehr, was die Reisenden fasziniert.
— Wie nachhaltig ist es, wenn mehrere Riesenschiffe gleichzeitig in kleinen Häfen anlegen – zum Beispiel in der Karibik – und welche Auswirkungen hat das auf diese Destinationen?

Ulrich Reinhardt: Kreuzfahrtschiffe werden sauberer, doch immer noch gibt es zu wenig Schiffe mit umweltfreundlicher Abgastechnik. Dementsprechend ist die Branche nicht noch wirklich nachhaltig. Problematisch ist außerdem, dass die Motoren während der Liegezeit in den Häfen zur Energieversorgung an Bord weiterlaufen. Die Umgebung wird dann durch Abgase belastet. In Hamburg ist deshalb die Nutzung von Stromanschlüssen an Land vorgeschrieben.

— 2017 kommen wieder mindestens elf neue Riesenschiffe, 2018 werden es 14 weitere sein. Venedig etwa hat schon genug von den Schiffen. Werden Hafenstädte sagen: Wir wollen das nicht mehr?

Ulrich Reinhardt: Die Betreiber würden keine neuen Schiffe bauen lassen, wenn sich das betriebswirtschaftlich nicht rechnet. Und solange die Liegegebühren stimmen und die Touristen auf Landausflügen Geld in den Gemeinden lassen, wird Venedigs Ansatz eher eine Ausnahme bleiben. Zweifellos ist es aber wichtig, dass die Routen und Liegezeiten besser abgestimmt werden, um eine bessere Verteilung auf das ganze Jahr hinzubekommen. Dieses wäre sowohl für Einheimische, als auch Reisende wünschenswert.

— Wie ist es überhaupt um die Öko-Bilanz der Kreuzfahrt-Schiffe bestellt? Richtig transparent ist ja nicht, was da so auf Hoher See im Maschinenraum verbrannt wird.

Ulrich Reinhardt: Das ist sehr schwer zu beantworten, da sich nicht alle Anbieter und Schiffe über einen Kamm scheren lassen. Wichtig ist es daher, zukünftig klare Richtlinien und auch Kontrollen zu erlassen. Ein Ansatz hierfür könnte es sein, die neueste Umwelttechnik der jeweiligen Gegenwart zum Mindeststandard in zehn Jahren zu machen, so wäre eine permanente Weiterentwicklung garantiert.

Es ist nicht nur die Angst vor Terroranschlägen. Man will auch Kriminalität und Krankheiten möglichst ausweichen. 

Ulrich Reinhardt, Zukunftsforscher

— Erleben wir eine Entwicklung zum Urlaub in abgeschotteten, vermeintlich sicheren Bereichen wie hinter Clubmauern oder Hoher See?

Ulrich Reinhardt: Sicherheit wird in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen, das ist ein Faktum. Der Wunsch nach Sicherheit auf Reisen beruht dabei nicht nur auf der Angst vor Terroranschlägen, sondern auch vor jeglicher anderer Art von Kriminalität. Zusätzlich spielt auch der Schutz vor Krankheiten wie etwa Malaria und vor Belästigungen zum Beispiel durch Bettler eine Rolle. All dieses ist auf einem Kreuzfahrtschiff grundsätzlich gegeben. Dennoch glaube ich nicht, dass sich zukünftig alle Kreuzfahrtreisenden komplett abschotten und die Schiffe nicht verlassen werden. Im Gegenteil, diese Urlauber suchen ja gerade fremde Kulturen, wollen Menschen kennenlernen, Neues sehen und entdecken und gleichzeitig am Abend wieder die Sicherheit ihrer Bordkabine vorfinden.

— Angeblich steigt das Interesse der Menschen, in den Ferien Authentisches zu erleben. Wie passt das zum Kreuzfahrt-Trend?

Ulrich Reinhardt: Das Interesse an Authentizität auf Reisen steigt tatsächlich und wird auch zukünftig ein Schlüsselwort sein. Dabei stellt sich natürlich die Frage, was – nicht nur auf einer Kreuzfahrtreise – noch authentisch ist. Inwieweit sind sowohl Erlebnisse wie Feste oder Ausflüge zu verlassenen Badebuchten als auch renovierte traditionelle Fischerhäuser oder Marktplätze in kleinen Hafenstädtchen authentisch? Die Sichtweise der allermeisten Touristen ist eindeutig: Solange die Inszenierung dem Original nahekommt, sind sie begeistert. Dieses mag kulturkritisch schwer nachzuvollziehen sein, jedoch wollen die Reisenden nicht alles hinterfragen, sondern sind bereit, sich ein Stück weit angenehm täuschen zu lassen. Der Urlaub soll schließlich angenehm, unkompliziert und perfekt sein.

— Das Kreuzfahrt-Geschäft hat sich in zahlreiche Segmente aufgespaltet. Man kann in die Antarktis fahren oder mit einem kleinen Segelschiff in der Adria kreuzen. In welche Richtung wird die Reise der Branche gehen?

Ulrich Reinhardt: Betrachtet man die aktuellen Angebote, so gibt es in der Tat für jedes Segment zahlreiche Angebote, aber eben auch umgekehrt für jedes Angebot zahlende Interessenten. Die Ausdifferenzierung des Kreuzfahrtmarktes wird daher weiter anhalten. Bei der Schiffgröße sehe ich jedoch langsam eine Obergrenze erreicht. Noch längere Schiffe können nur die wenigsten Häfen abfertigen und immer nur mit kleinen Tenderbooten an Land zu fahren ist zu zeitintensiv und aufwendig. Unterm Strich sehe ich daher die meisten Kreuzfahrtschiffe bei rund 3000 Passieren, einige wenige mit deutlich mehr Gästen und ergänzend zahlreiche kleinere Schiffe, die Spezialsegmente abdecken.

— Man hört ja sogar von künstlichen Inseln auf Hoher See, auf denen Menschen in Zukunft mehrere Monate oder Ihren gesamten Ruhestand weitab von der Realität verbringen werden. Sieht so die Zukunft aus?

Ulrich Reinhardt: Für einige – insbesondere Wohlhabende – gewiss. Auch der Reisemarkt spaltet sich immer weiter auf, das Angebot wird stetig größer, so dass jede Nachfrage bedient werden kann. Der Klimawandel wird zweifellos auch zu Veränderungen innerhalb der Branche führen, wenn heutige Traumziele zu heiß und zu trocken sein oder ganz verschwinden werden. Bezogen auf Kreuzfahrtschiffe ist es heute schon finanziell interessant, seinen Ruhestand auf einem Schiff zu verbringen statt in einem Altersheim. Auf dem Schiff sind zudem Standard, ärztliche Versorgung und Freizeitangebote deutlich attraktiver.

"Einige Wohlhabende werden es sich wohl leisten, auf künstlichen Inseln weitab von der Realität zu leben"

Zur Person

Professor Dr. Ulrich Reinhardt


Jahrgang 1970, ist Zukunftswissenschaftler und Wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen. Er hält zudem eine Professur für Empirische Zukunftsforschung am Fachbereich Wirtschaft der FH Westküste in Heide.
Seine Forschungsschwerpunkte umfassen unter anderem den gesellschaftlichen Wandel, das Freizeit-, Konsum- und Tourismusverhalten sowie die Europaforschung.
Herausgeber des Innovationsmagazins "i-future“ und Mitherausgeber des "European Journal of Futures Research“.
Autor zahlreicher Publikationen, seine letzten Buchveröffentlichungen waren zum Beispiel "32. Tourismusanalyse“ (2016), "Zukunft! – Deutschland im Wandel, der Mensch im Mittelpunkt“ (2015), "Freizeit-Monitor“ (2015), "Blickpunkt Zukunft“ (2014), "Generationenvertrag statt Generationenverrat“ (2013) und „United Dreams of Europe“ (2011).