Irlands Wilder Westen

Von der Leichtigkeit des Reisens: unterwegs am "Wild Atlantic Way", der spektakulären Küstenstraße von Galway bis zum nördlichsten Punkt Irlands. 

Der angemessene Auftakt für eine Reise durch die einsamen Hochebenen Connemaras ist ein Pint Guinness im Pub "The Skeff" am Eyre Square von Galway. Es ist Ostermontag, später Nachmittag, und eine milde Feiertagssonne wärmt die Studenten, die in Gruppen die Wiesen bevölkern. Breda, meine Vermieterin im Bed & Breakfast Ardawn House, hat mich mit Tipps für diese lebenslustige und gemütliche Stadt überversorgt.

Aber ich möchte mir Zeit lassen, mich nach Flug und Autofahrt von Dublin langsam ins Leben im äußersten Westen Irlands einfügen. Später gehe ich hinunter zur Wolf Tone Bridge, lasse die Pubs in Quay und High Street links und rechts liegen, gönne mir moderne irische Fusion-Küche, Mezze und Steak mit Bohnen und Kräutern im schicken Restaurant Ardbia am Long Walk. Es ist schon nach zehn Uhr am Abend, aber noch immer bringt eine tief im Nordwesten stehende Sonne den Atlantik zum Glitzern.

Dieser große Atlantik wird auf der linken Seite mein Beifahrer sein während der nächsten sechs Tage auf der Nordroute des "Wild Atlantic Way", dieser grandiosen, neu beschilderten Straße entlang der Westküste Irlands. Nach einer leichten Nacht und von Breda mit Toast, Räucherlachs, Rührei und vielen guten Ratschlägen eingedeckt, nehme ich die Straße Richtung Clifden. Rasch dünnt der Verkehr aus, bald gleite ich fast unerträglich leicht auf der von gelb blühendem Ginster gesäumten N59 zwischen abgeschliffenen Hügeln und Seen mit tiefblauem Wasser dahin. Rasch gewöhne ich mich an den Linksverkehr. Gleichwohl: So ausgeglichen die Iren im persönlichen Gespräch sind, hinter dem Steuer mutieren sie zu aggressiven Monstern. Doch ich lasse mich nicht hetzen, mein Weg ist eines meiner vielen Ziele.

Ganz draußen, hinter den schönen Sandstränden von Ballyconneely, stoppe ich beim Connemara Smokehouse, wo Graham Roberts Wildlachs räuchert: eine Spezialität, die in die halbe Welt exportiert wird. Später nehme ich die Straße hinunter nach Leenane, wo im Killary Harbour um Punkt halb drei Uhr ein Ausflugsschiff, die Connemara Lady, zu einer gemütlichen Runde aufbricht.

Die Reise auf dem Wild Atlantic Way ist für mich auch so eine Art Wiederversöhnung mit der grünen Insel. 1999, also vor fast ewigen Zeiten, verbrachte ich hier zehn Tage, während derer es praktisch ohne Unterbrechung schüttete. Dieses Mal habe ich mehr Glück: Killary Harbour, verkündet ein Prospekt doch mit etwas Stolz, sei der Platz in Irland mit dem meisten Regen. Heute blinzelt jedoch die Sonne etwas durch die Wolken. Das heißt für irische Verhältnisse, dass das Wetter geradezu perfekt ist.

Der Kapitän der Connemara Lady ist während der Fahrt durch den von einsamen Hügeln begrenzten Fjord dementsprechend gut gelaunt. Der berühmte Philosoph Ludwig Wittgenstein habe hier 1948 ein wichtiges Werk geschrieben, erklärt er dem an Deck ausharrenden Touristengrüppchen: "Und ich weiß zwar nicht, worüber er hier nachgedacht hat, aber er hat sich einen verdammt guten Platz ausgesucht, es zu tun.“

Die einsamen Landschaften Irlands spielen mit der Herzenswärme ihrer Bewohner wunderbare Doppelpässe. Eben noch kurvte ich über die Küstenstraße nach Westport, schon empfängt mich meine neue Vermieterin Margaret im Adare House mit Kaffee und Kuchen, auch das mittlerweile scheinbar unentbehrliche Gratis-Internet gibt es, die Glücksdroge des Reise-Junkies im beginnenden 21. Jahrhundert. 

Margaret hat ein schönes Zimmer mit Blick hinten hinaus für mich. Für 17 Uhr hat der Mann im Radio Regen angesagt, auf die Minute genau beginnt es zu schütten. Ich gehe natürlich trotzdem die 15 Minuten hinunter ins Zentrum der kleinen Stadt mit ihren vielen Pubs, in denen Live-Musik geboten wird. Das Guinness fließt bald in Strömen, zu den immer fröhlicher und heftiger werdenden Diskussionen über irische Paradethemen wie Pferde, Fischen, Jagd, Verfehlungen von Bischöfen und Gaelic Football kann ich nicht viel beitragen, aber bei Fußball kann ich ganz gut mithalten. 

Als ich am nächsten Morgen mit etwas Kopfweh in Margaret’s Bed & Breakfast aufwache, fällt mit der große kegelförmige Berg vor meinem Fenster erst so richtig auf. Es ist der Croagh Patrick, eines der größten Heiligtümer Irlands – und das bereits seit keltischen und vielleicht sogar prähistorischen Zeiten. Die alljährlichen Pilgerfahrten auf den Gipfel finden in christlichem Glauben statt, jedoch am keltischen Festtag Lughnasa, dem letzten Sonntag im Juli. Für diese Tage ist das Adare House immer schon Jahre voraus ausgebucht. Der schönen Legende nach soll im Jahr 441 der Nationalheilige Patrick auf dem Berg 40 Tage und Nächte lang durch fasten und beten mit sich und der keltischen Gottheit gerungen haben und schließlich von seiner Mission, ganz Irland zum Christentum zu bekehren, überzeugt gewesen sein.

Auch ich ringe mit mir selbst, ob ich den Berg erklimmen soll. Dieser Kampf jedoch endet im Gegensatz zu den Anstrengungen des Heiligen mit einer klaren Niederlage. Ich steige ins Auto und steuere Achill Island mit seinen Stränden, Klippen und kleinen Dörfern an. Es ist Dauerregen vorhergesagt, doch nun überrascht fantastisch schönes, trockenes Wetter, ein Hochsommertag im April. Schon vom Armada Point habe ich eine großartige Aussicht auf Achill Island. In Dugort hatte Heinrich Böll sein Ferienhaus. Am Ende der Straße gibt es einen kleinen Parkplatz direkt neben dem Sandstraße. Ich krame die Decke aus dem Kofferraum, schmeiße mich in die warme Sonne. Die Schafe blöken, das Meer rauscht, das Gras raschelt im Wind. Ich will hier bleiben! 

Doch auf mich warten auch die einsamen Straßen von Mayo. Und nach einer ruhigen Nacht im Suncroft Bed & Breakfast von Ballina die Show der fliegenden Adler in Portinch. Regina und Lothar Muschketat sind das, was man einmal als "Aussteiger“ bezeichnet hat. Das deutsche Paar suchte sich einen besonders entlegenen Platz im County Sligo im Nordwesten Irlands aus, um eine großartige Vogelschau aufzuziehen. 

Bergriesen wie Monolithen rücken Richtung Sligo ins Blickfeld. Der Ben Bulben ist so einer, aber auch der Knocknarea. Er wird als Grab der Königin Medbh bezeichnet, der mythischen Kriegerkönigin von Connacht, deren Gestalt einer Muttergöttin geglichen haben soll. Wie sie wirklich ausgesehen hat, werden wir freilich nie wissen. Wenn wir forschen wollen, was in der Vorgeschichte passiert ist, müssen wir uns auf das Wenige konzentrieren, was übrig geblieben ist. 

Unterhalb des Knocknarea sind das die Megalithgräber von Carrowmore, die bedeutendste derartige Fundstätte nach der im bretonischen Carnac. Ich streife durch das Gelände mit den Dolmen, Steinkreisen und Menhiren und versuche mir vorzustellen, wie hier das Volk der Fir Bolg vor 4000 Jahren begraben wurde, nachdem es vom Volk der Tuatha de Danaan vernichtend geschlagen worden war. Vielleicht hat ja Regisseur Peter Jackson recht und es war ein ähnliches Gemetzel wie bei der "Schlacht der fünf Heere“ im letzten Teil der Hobbit-Trilogie. Nur: Alles Grübeln hilft nichts, wir wissen eben nicht, was wirklich geschah. 

Also folge ich den Spuren einer anderen irischen Legende, fahre zum Grab des Dichters William Butler Yeats neben der Kirche von Drumcliff. 1999 war ich hier völlig alleine, zitterte vor Kälte inmitten eines Regensturms. Jetzt gibt es neben der Kirche einen großen Busparkplatz, ein Café und einen Souvenirshop. Kinder kreischen, Pensionisten verschlingen Riesentorten. Ich kaufe einen schön gebundenen Gedichtband. Yeats ist heute weniger geschätzt als James Joyce, doch sein idealisierendes Bild des mythischen Irland hat unsere Vorstellungen geprägt. 

"Immer eine Überraschung, wenn es doch ein schöner Tag ist!“ Das ist natürlich nicht von Yeats, sondern von Noreen McGinty, die mich eine Nacht in ihrem wunderschönen B&B am Lough Eske aufnimmt. Ihr irisches Frühstück mit Spiegeleiern, Schinken, Toast, Paradeisern, Kartoffeln, Blut- und Grillwurst macht den Magen schwer und das Herz leicht. Ich bin gestärkt für eine Wanderung mit Guide Paddy entlang der Abgründe von Slieve League, der höchsten Seeklippen in Europa. Dann fahre ich nach Glenveagh Castle im gleichnamigen Nationalpark, lasse mich durch das prachtvolle Schloss führen.

Küstenstraßen gibt es ja viele auf der Welt. Hier einmal ein bisschen Abgrund, dort einmal ein Café mit Aussicht. Aber bei diesem Exemplar, meine sehr geehrten Damen und Herren, handelt es sich um insgesamt zweitausend Kilometer Küstenstraße. Das ist mehr als in den Kopf und in eine einzige Geschichte hineingeht. Je weiter man nach Norden kommt, desto einsamer und wilder wird es. Am Malin Head ganz im Norden der Halbinsel Inishowen habe ich das Ende meines Weges erreicht. Hier geht es nicht mehr weiter. Oder doch? Da ist doch ein kleines Hinweisschild? Farren’s Pub, der nördlichste Pub Irlands!

Die Autofahrt ist zu Ende. Und jetzt rein in ein anderes Vergnügen.  

Irland-Infos über den Wild Atlantic Way gibt es hier oder unter Tel. 01 501 59 6000. Kostenloses, individuell zusammengestelltes Reiseinfo-Set für Clubmitglieder am Stützpunkt des ÖAMTC. Sehr viele nützliche Tipps auch bei den ÖAMTC-Länderinfos. Aktuelle Irland-Angebot für Bus-Rundreisen und Mietwagen-Touren hat das ÖAMTC-Reisebüro.