Gestatten, Maya

Wo Maya-Kultur und Marienverehrung aufeinander prallen, stehen Göttertempel und Wallfahrtskirchen. Das vielfältige Mexiko ist weit mehr als ein Badeurlaubsziel.

Stiegensteigen ist gesund, denke ich und bleibe kurz stehen, um wieder Luft zu kriegen. Kurzer Blick zurück: Steil geht es hinunter zum Fuß der Sonnenpyramide von Teotihuacán. Was, so hoch bin ich schon? Blick nach vorn, nein, hinauf: Was, so weit ist es noch bis ganz oben? 
Weiter geht’s. Keuchend oben angekommen, sehe ich von der Plattform der Sonnenpyramide hinüber zur etwas niedrigeren Mondpyramide. Teotihuacán ist die beeindruckendste Kultstätte Alt-Mexikos. Fast eine Viertelmillion Einwohner soll die Stadt in ihrer Hochblüte, rund 300 bis 700 nach Christus, gezählt haben. Heute verteilen sich ein paar Hundert Touristen über das riesige Gelände. Als die Azteken im 12. Jahrhundert ihre blutige Herrschaft etablierten, war Teotihuacán längst verlassen, teilweise verschüttet. Erst vergangenen Herbst wurde ein neuer unterirdischer Gang zwischen der Sonnenpyramide und dem dahinter liegenden Tempel entdeckt. Erstaunlich, wie wenig wir heute über diese Hochkultur wissen. 
Der Abstieg von der Sonnenpyramide ist nicht weniger Kampf gegen die Schwerkraft als der Aufstieg. Bloß kein falscher Tritt jetzt.

Zwei Tage vorher erst bin ich in Mexico City gelandet. Groß, brodelnd, voller Stau, Smog und Stress, so habe ich mir die Stadt vorgestellt. Stattdessen wirkt sie überraschend gemütlich, fast kleinstädtisch. Nach dem langen Flug erst eine Sopa Azteca („Aztekensuppe“) mit Mais-Frittaten, Tomaten, Avocado und Chilli, dann ins Bett. 
Kleinstädtisch? Von wegen. „Mexico City hat 30 Millionen Einwohner. Wenn nur zwei Millionen davon zur Demo kommen, ist die kleine Altstadt dicht“, erklärt Jaime Hernandez, der uns durch die Stadt führt. Für diesen Tag ist eine Demonstration gegen die Studentenmorde im Süden des Landes angekündigt, deshalb sind wir früh aufgebrochen. Bei der gewaltigen Anlage der Wallfahrtskirche Guadalupe ist alles ruhig. Die ehemalige Kapelle aus dem 16. Jahrhundert ist heute das wichtigste Marienheiligtum des amerikanischen Kontinents. 1530 soll dem getauften Indio Juan Diego hier viermal die Jungfrau Maria erschienen sein. Der Bischof glaubte ihm erst, als Diego ihm von seiner vierten Begegnung einen Mantel voll frisch gepflückter Blumen mitbrachte – im Dezember. Als wär’ das nicht Wunder genug, war auf dem Mantel auch noch das Bildnis Mariae zu sehen. Die heutige Kirche ist nicht schön, aber im Untergeschoß ist der Mantel ausgestellt; damit kein Stau entsteht, werden die Gläubigen auf Rollbändern daran vorbeitransportiert.

Die Azteken, bekannt für ihre grausamen religiösen Rituale, gründeten ihre Hauptstadt ausgerechnet in der Mitte eines Sees. Einer ihrer Götter namens Huitzilopochtli soll ihnen nämlich aufgetragen haben, dort sesshaft zu werden, wo sie einen Adler finden würden, der auf einem Kaktus sitzend eine Schlange frisst. Blöderweise erspähte ein Azteke diese Szenerie just auf einer kleinen Insel im Texcoco-See. So die Überlieferung. Ausgehend von der Insel wurde nach und nach der ganze See trockengelegt, doch das Grundwasser steigt bis heute und die Stadt versinkt allmählich im Schlamm. Das Zentrum von Mexico City lag im Jahr 2000 rund acht Meter tiefer als 1900. Doch damals hatte die Hauptstadt eine halbe Million Einwohner, heute sind es sechzig Mal so viele.

Im schönsten Viertel der Stadt, Coyoacán, liegt die Casa Azul, das Blaue Haus der berühmtesten Tochter Mexikos: Frida Kahlo. Das Elternhaus der Malerin, in dem sie und ihr Mann Diego Rivera das Leben revolutionärer Bohémiens führten und unter anderem Leo Trotzki aufnahmen, ist heute eines der sehenswertesten Museen der Stadt. Fridas Rollstuhl steht vor der Staffelei, ihr Bett ist gemacht, als würde sie noch am selben Abend darin schlafen gehen. Daneben Ohrringe, ihre Haarbürste. Ein Gänsehautmoment.

Jetzt müssen wir noch die mächtige Kathedrale von Mexico City und den Nationalpalast sehen. Sie stehen beide am Zócalo, dem größten freien Platz des Landes. Und auch die Kathedrale selbst beansprucht einen Superlativ: Sie ist die älteste und größte des amerikanischen Kontinents. Den besten Blick auf den gesamten Zócalo (auf Deutsch: Sockel, von den Denkmälern, die auf diesen Plätzen stehen) hat man von der Terrasse des Hotel Majestic nebenan, Eintritt: Dos cafés, por favor.

Mexico City

Zwei Tage vorher erst bin ich in Mexico City gelandet. Groß, brodelnd, voller Stau, Smog und Stress, so habe ich mir die Stadt vorgestellt. Stattdessen wirkt sie überraschend gemütlich, fast kleinstädtisch. Nach dem langen Flug erst eine Sopa Azteca („Aztekensuppe“) mit Mais-Frittaten, Tomaten, Avocado und Chilli, dann ins Bett. 

Kleinstädtisch? Von wegen. „Mexico City hat 30 Millionen Einwohner. Wenn nur zwei Millionen davon zur Demo kommen, ist die kleine Altstadt dicht“, erklärt Jaime Hernandez, der uns durch die Stadt führt. Für diesen Tag ist eine Demonstration gegen die Studentenmorde im Süden des Landes angekündigt, deshalb sind wir früh aufgebrochen. Bei der gewaltigen Anlage der Wallfahrtskirche Guadalupe ist alles ruhig. Die ehemalige Kapelle aus dem 16. Jahrhundert ist heute das wichtigste Marienheiligtum des amerikanischen Kontinents. 1530 soll dem getauften Indio Juan Diego hier viermal die Jungfrau Maria erschienen sein. Der Bischof glaubte ihm erst, als Diego ihm von seiner vierten Begegnung einen Mantel voll frisch gepflückter Blumen mitbrachte – im Dezember. Als wär’ das nicht Wunder genug, war auf dem Mantel auch noch das Bildnis Mariae zu sehen. Die heutige Kirche ist nicht schön, aber im Untergeschoß ist der Mantel ausgestellt; damit kein Stau entsteht, werden die Gläubigen auf Rollbändern daran vorbeitransportiert.

 

Die größte Pyramide der Welt ist unsichtbar

Ehe wir in eine ganz andere Welt aufbrechen, zur Halbinsel Yucatán zweitausend Kilometer weiter östlich, noch schnell ein Abstecher nach Puebla, Universitäts- und Millionenstadt, beherrscht vom Volkswagen-Werk. Ihre koloniale Altstadt ist UNESCO-Weltkulturerbe. Aber noch spannender ist Cholula, 15 Kilometer außerhalb von Puebla. 
Hier steht die größte Pyramide der Welt, sagt unser Begleiter Jaime.
Wir können sie bloß nicht sehen.
Inmitten der Stadt erhebt sich ein Berg, auf dessen Kuppe eine Wallfahrtskirche aus der Zeit der spanischen Eroberung steht. Während wir hinaufsteigen, zeigt Jaime uns die wenigen Stellen in der Böschung, an denen zu erkennen ist, dass der Berg gar kein Berg ist, sondern ein von Menschenhand errichtetes Bauwerk: die Pyramide von Cholula. Überwachsen, teilweise eingestürzt oder abgebaut. Unsichtbar. Einige ihrer Trümmer dienten zum Bau der Kirche, vor deren Eingang eine junge Frau Süßigkeiten und Knabberzeug anbietet. Geröstete Heuschrecken, mmhh. In der Ferne grüßen die Vulkane Popocatépetl und sein Nachbar, der Iztaccíhuatl. Nicht grinsen, auch wenn mir der Name des Vulkans schon als Kind Vergnügen bereitet hat: „popoc“ heißt schlicht Rauch, „popoca“ ist der Raucher, und „tepec“ steht für Berg.

Flug nach Versteh-dich-nicht

Als die ersten Spanier kamen, hielten sie Yucatán für eine Insel vor dem asiatischen Festland. Die Indios antworteten auf die Frage nach dem Namen der Insel achselzuckend „Yuk ak katán“ – „Ich verstehe dich nicht.“ So erzählen’s Jaime und sein Freund Alfonso, ein eingeborener Fremdenführer. Wir sitzen auf einem Platz in Mérida, unterhalten uns bei einer Flasche Wein, der Wirt will schon schließen, doch Jaime und Alfonso tragen zur eigenen und unserer Erheiterung einen Zungenbrecher-Wettstreit aus – auf Spanisch, Französisch, Deutsch und in der Sprache der Maya.
Wir sind nun im Land jenes Kulturvolks, das die Geschichte Mexikos zweitausend Jahre lang geprägt hat. Als um 1520 die Spanier auftauchten, hielten die indigenen Einwohner des Landes sie erstens für Abkömmlinge des Sonnengottes, den sie seit Generationen hellhäutig und bärtig dargestellt hatten. 
Und zweitens unterstützten sie Hernando Cortéz nicht ungern dabei, die Azteken zu bekämpfen, die in ihrer nur 200-jährigen Herrschaft   alle anderen Völker brutal unterdrückt und teils ausgerottet hatten.
Zeugnis für diesen Clash of Cultures legen die Tempelanlagen von Uxmal und vor allem Chichén Itzá ab. Diese Prachtbauten der Maya-Kultur wurden von den Azteken übernommen und waren Stätten grausamer Rituale: In beiden Anlagen etwa sind gut erhaltene Ballspielplätze zu besichtigen, auf denen ein tödlicher Sport ausgeübt wurde. Von Mauern an den Längsseiten der rechteckigen Fläche ragen Steinringe ins Spielfeld. Ziel war es, einen kleinen Kautschukball nur mithilfe der Knie, Oberschenkel, Hüften oder Ellbogen durch den Ring zu schlagen. Das weiß man aus bildhaften Darstellungen; weitere Regeln sind nicht bekannt. Die Verlierermannschaft überlebte den Spieltag meist nicht, manchmal wurden aber überraschend auch die Sieger geopfert. Ungeachtet ihrer blutrünstigen Vergangenheit ist der Besuch dieser Götterburgen ein Höhepunkt jeder Mexikoreise.

Zu Gast bei den Mayas

Hernán und Azalea, sagt Jaime, seien bereit, uns bei sich zu Hause zu empfangen. In seinem Dorf lebt das Maya-Ehepaar, er 77, sie 71, von der Landwirtschaft und ihren Tortillas, die Azalea täglich im Akkord formt und bäckt. Hernán baut derweil im weitläufigen Garten Tabak, Mandarinen, Oregano, Erdnüsse und Papayas an und fabriziert Seile aus den Blättern von Sisal-Agaven, die er mit einem Stück Holz über einem schräg aufgestellten Baumstamm zu Fasern schabt. 
Ihr einfaches Leben führen sie gemeinsam in mehreren Hütten, verstreut im Garten, von denen eine als Küche, eine als Schlafgemach dient. Vier Töchter und zwei Söhne haben die beiden – „alle sechs in der Hängematte produziert und zur Welt gebracht“, lacht Hernán. Azalea lächelt leise.

Das ÖAMTC-Reisebüro bietet Reisen nach Mexiko an. Alle Infos und Buchungen bei den Reisebüros des ÖAMTC und unter Tel. 0810 120 120.