Das Resort der Belle Époque

Ein österreichischer Industrieller verwandelte die Adria-Insel Brioni zum Treffpunkt für Reich & Schön. Vor 120 Jahren trafen die ersten Gäste ein und waren begeistert von der künstlich geschaffenen Urlaubswelt. Vieles ist heute noch erhalten. 

Es war die Sehnsucht nach dem Süden, die einen erfolgreichen Industriellen zum – scheinbaren – Aussteiger machte.

Man schrieb den 3. April 1893. Paul Kupelwieser war gerade 50 Jahre alt geworden und stand als Generaldirektor des größten Eisen- und Stahlwerks der Monarchie auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Doch er hatte genug von den schmutzigen Kohlegruben, den rußigen Kesseln und den dampfenden Hochöfen der Witkowitzer Werke in Mähren. Er träumte vom Süden, hatte Visionen – und war es gewohnt, seine Visionen zu realisieren. Kupelwieser kündigte und ließ sich genaues Kartenmaterial über den österreichischen Süden kommen. Österreichs Süden – dazu gehörte damals auch Istrien mit seinen vorgelagerten Inseln. Dort, so sein Kalkül, liege eine schönere Welt. Irgendein Stückchen Land wollte er erwerben, "um etwas anderes, viel Besseres zu schaffen", wie er später in seinen Erinnerungen schreiben sollte. Er wollte etwas aufbauen und seinen Erben hinterlassen, das Rendite versprach.

Der Tourismus bot sich an. Er erlebte gerade seine allererste Hochblüte. Es war ein elitärer Tourismus, denn ausschließlich Adelige, Industrielle, Großgrundbesitzer und erfolgreiche Freiberufler wie Ärzte, Maler, Schriftsteller, Komponisten und Wissenschaftler konnten es sich leisten, Urlaub zu machen. Dementsprechend luxuriös war das Angebot, das dieser Klientel geboten wurde. Die Orte, die für den aufkommenden Tourismus entwickelt wurden, mussten allesamt leicht per Bahn – am besten per Nachtsprung im Schlafwagen – erreichbar sein. An der Ostküste Istriens war gerade Abbazia, das heutige Opatija, en vogue. Und an Istriens Westküste bot sich das ganz im Süden liegende Pula an der k&k Istrianischen Staatsbahn an. Die Stadt war zwar fest in der Hand der kaiserlich-österreichischen Kriegsmarine – aber gar nicht weit entfernt gab es eine einsame, malariaverseuchte Insel namens Brioni.

Kupelwieser  erwirbt die Insel für 75.000 Gulden – und verliert bei der ersten Besichtigung beinahe sein Leben: Er hatte sich mit Malaria infiziert. Trotzdem geht es bald los. Es werden Pläne entworfen und Bauarbeiter-Quartiere aufgestellt, es wird gerodet, ein Hafen angelegt, eine Landwirtschaft gegründet. Sechs Jahre später ist das erste kleine Hotel fertig – doch die Malaria ist immer noch nicht ausgerottet.

Die Gäste bleiben aus, niemand will sich der Gefahr einer Ansteckung aussetzen. Da liest Kupelwieser einen Zeitungsbericht über den Bakteriologen und späteren Nobelpreisträger Robert Koch und hat eine Idee. Er bietet ihm Brioni als Betätigungsfeld an. Eine Win-Win-Situation für beide: Koch entwickelt einen Masterplan zur Bekämpfung der Tropenkrankheit, Kupelwieser lässt die Sümpfe trockenlegen, das Buschwerk abfackeln und vom Festland her eine Wasserleitung bauen. Koch wird mit der Ausrottung der Malaria berühmt, Kupelwieser hat sein erstes kleines Ferienparadies. Und kann es zum eleganten Kurort ausgestalten.

Was nun folgte, war atemberaubend. Vier große Hotels mit insgesamt 200 Zimmern entstanden, die selbstverständlich mit Bädern, elektrischem Strom und Telefon ausgestattet waren. Dazu Villen für Europas Elite. Ein Winterschwimmbad, das mit Meerwasser befüllt wurde, Tennisplätze und 1911 sogar ein Tierpark mit Antilopen, Zebras, Straußen, Affen, Giraffen und sogar mit einem Tiger – Betreiber war der Hamburger Zoobesitzer und Tierzüchter Carl Hagenbeck. Die Insel-Landwirtschaft erzeugte Schafkäse (der Schriftsteller James Joyce war vom "echten Brioni-Käse" so begeistert, dass er einen großen Laib erwarb) und schweren (15% Alkohol!) Wein. Dieser wurde sogar in eigenen Verkaufs-Niederlassungen in Wien (die Firma existiert noch immer), Graz, Prag und Lemberg angeboten. Marketingtechnisch war Kupelwieser ein Genie: Er gab nicht nur Brioni-Kochbücher heraus, sondern auch eine eigene Inselzeitung, für die er die besten Journalisten und Autoren engagierte.

Doch die noble Urlaubsidylle währte nicht lange: Der erste Weltkrieg unterbrach den Touristenstrom, in die Hotels zog die k&k-Kriegsmarine ein und Brioni wurde U-Boot-Stützpunkt und Ausbildungszentrum. 1919, als der Krieg vorbei war und die Insel nicht mehr zu Österreich, sondern zu Italien gehörte, starb Paul Kupelwieser im Alter von 76 Jahren. Sein Sohn Karl übernahm die Direktion der Insel, mit der es bald wieder bergauf ging. Ein 18-Loch-Golfplatz entstand, der größte in Europa, ein Wasserflugzeug für schnellere Gästetransfers nach Triest wurde angeschafft, und es wurde Polo gespielt.

Doch der Einzug dieser elitären Sportart im Jahr 1930 markierte gleichzeitig einen Wendepunkt: Die aufwändige Haltung der Pferde brachte finanzielle Schwierigkeiten und Steuerschulden mit sich, in deren Folge sich Paul Kupelwiesers ältester Sohn Karl erschoss. Der italienische Staat übernahm Schulden und Insel, 1943 kamen die deutschen Truppen, 1945 wurde Brioni bombardiert. 

Nach Kriegsende war Brioni schließlich Teil Jugoslawiens. Staats- und Parteichef Tito nahm die Insel in Beschlag und erklärte sie zu einer seiner Residenzen. Die Öffentlichkeit musste draußen bleiben – nur Staatsgäste waren gerne gesehen. Und sie kamen in großer Anzahl, um des Westens liebsten Diktator – er hatte sich ja bekanntlich von den kommunistischen Machthabern in der Sowjetunion distanziert und Jugoslawien für "blockfrei" erklärt – in entspannter Atmosphäre zu besuchen. Unzählige Könige, Präsidenten, Minister waren Titos Gäste. Und Celebrities wie Gina Lollobrigida – sie kochte Pasta mit ihm – oder Elisabeth Taylor.

Brioni heute

Ein Sprung durch die Jahrzehnte. Wir schreiben das Jahr 2016, Tito ist seit 36 Jahren tot, Jugoslawien seit 25 Jahren Geschichte. Und Brioni empfängt seit 21 Jahren wieder Touristen. Die gesamte Inselgruppe wurde 1989 zum Naturschutzgebiet erklärt, Neubauten somit unmöglich gemacht. Die Hotels aus Kupelwiesers Zeiten stehen immer noch, so wie das Bootshaus am Anleger, das dem Begründer des einstigen Luxusresorts ab 1902 als Wohnung diente.

Vom gegenüberliegenden Festlandort Fazana aus starten Ausflugsschiffe hinüber zur Insel, in den Sommermonaten 12 Mal täglich. Erkunden lässt sich die Insel nur mit geführten Touren – außer man hat ein Zimmer in einem der Hotels gebucht. Bloß strahlen die noch – wenn man den Kritiken auf Plattformen wie Tripadvisor Glauben schenkt – spröden Jugo-Charme aus. Blumenarrangements am Zimmer lassen sich buchen, von Internet-Zugang ist im Hotelprospekt nichts zu lesen. Noch keine Bewertungen sind für das östlich des Hafens gelegene Hotel Carmen zu finden, das nach einer kompletten Modernisierung eben neu eröffnet wurde.

Ein Ausflug nach Brioni

Brioni ist sehr weitläufig. Hotelgäste können Fahrräder mieten, Tagesausflüglern steht ein nicht schienengebundener Bummelzug zur Verfügung. Vor dem Einsteigen werden die kleine Kirche und der Steinbruch mit dem Robert-Koch-Denkmal erkundet, danach beginnt die Rundfahrt. Nordwärts an der Küste entlang geht es vorbei an üppiger Vegetation wie wild wachsenden Feigenkakteen, Pinien und Ginster. Rechter Hand sind sie aufgefädelt, die einst so noblen Villen, ein paar davon lassen sich mieten. Die Strecke führt über den Golfplatz zum Tiergarten. Nach einem kurzen Aufenthalt geht es auf die gegenüberliegende Seite der Insel zu den römischen Ruinen. Und danach bleibt noch genügend Zeit, die Dokumentation zu erkunden.

Eine Ausstellung ist Paul Kupelwieser gewidmet, sie entstand 1993, genau 100 Jahre nachdem der Visionär zum ersten Mal die Insel betreten hatte. Für eine Besichtigung sollte mindestens eine Stunde eingeplant werden. 

Eine zweite Dokumentation ist Tito gewidmet. Nahezu lückenlos wird das Insel-Leben von Josip Broz und seiner Frau Jovanka dokumentiert – und seine Rolle als Gastgeber für Staatsgäste. Selbst Titos Auto, ein offener Cadillac Eldorado aus dem Jahr 1953, ist noch zu sehen. Der schwarze Zweitürer ist sogar noch im Einsatz: Wer seine Hochzeit auf der Insel ausrichtet, wird darin spazieren geführt.

Noch ein Kaffee auf der Terrasse des Neptun – und ein wenig Phantasie: Dann kann es schon vorkommen, dass einem die Touristen in ihren kurzen Hosen und T-Shirts wie die fein gewandeten Müßiggänger erscheinen, die einst hier promenierten.

Einen schönen Einblick in diese mondäne Urlaubswelt von gestern gibt das Buch "Aristokratischer Chic auf der Insel Brioni", das Heinz Waldhuber und Katrin Kruse im Böhlau Verlag herausgebracht haben.