Auf ABBA und ewig: Von Waterloo bis Visitors

Mehr als dreißig Jahre nach der Auflösung der Kultband sind ABBA-Hits angesagt wie eh und je. Ein Besuch im Museum der Pop-Ikonen in Stockholm ist immer auch eine Sentimental Journey, eine Suche nach der verlorenen Jugend.

I Don't Wanna Talk…" Aber es muss einmal gesagt werden: Die Siebziger waren nicht wild. Sie waren wunderbar! Obwohl: Als die wasserstoffblonde Susi in meinem 1300er-Hundeknochen-Escort entzückt zu "Waterloo" wippte, war ich noch genervt und drehte mein Blaupunkt-Radio einfach ab. "Kommerz!", zischte ich – damals der geißelnde Ausdruck für musikalische Geringschätzung. Nur die Single-Rückseite des Song-Contest-Siegerhits von 1974, das rockig-geplärrte "Watch Out" fand ich akzeptabel und weniger peinlich.

Doch die Dinge sollten sich bald ändern: Schon im Jahr darauf lief mir Regina über den Weg, wir knutschten – heftig angerempelt – im Autodrom zu "S.O.S". Später traf ich Sylvia, sie war meine "Dancing Queen". Und irgendwann mangelte es massiv an "Money, Money, Money". Ich wurde eingezogen zum Bundesheer: "Mama Mia!" Danach ein kurzer Stilbruch: Mit Gabi ging ich zu Smokie auf Tuchfühlung. Blieb bei ihr hängen, wir wurden "Honey, Honey" – und heirateten: "I Do, I Do, I Do, I Do!" Und schließlich kam unsere erste Tochter zur Welt: "One of Us". In all den Phasen meiner bewegten Adoleszenz waren vier Schweden akustisch immer dabei: Björn, Benny, Agnetha und Anni-Frid – vulgo ABBA.

Sonntag. Strahlender Sonnenschein in Stockholm. Straßenbahnen spülen Menschenmassen nach Djurgården: einst Jagdrevier der Könige, heute Parklandschaft und Kulturmeile. Die meisten Besucher strömen nach Gröna Lund, in die Spielhallen des Vergnügungsparks. Nur die chinesischen Reisegruppen eilen zur Vasa, dem nach Jahrhunderten aus dem Hafenbecken geborgenen Schlachtschiff, das auf der Jungfernfahrt noch während des Auslaufens sank.

Aber was interessiert mich das Automaten-Geknatter oder die martialisch-modrige Fehlkonstruktion eines Kahns. Ich will meine Jugend wieder spüren. Auch – oder gerade, weil ich sie nicht zurückholen kann. Und so steh ich in einer schier endlosen Warteschlange vor dem unscheinbaren gelben Haus in der Djurgårdsvägen 68, dem Museum der Pop-Ikonen ABBA. Und, kaum zu glauben, inmitten von uns Opas und Omas warten auch Teenies, die 1982, als die Band sich trennte, noch nicht einmal geboren waren.

Gimme, Gimme, Gimme! Der Eintritt ist geschmalzen, umgerechnet 26 Euro, aber was ist schon billig in Schweden. Blöd, aber auch typisch für Skandinavien, dass kein Bargeld akzeptiert wird, nur Plastic Money.

"People Everywhere, a Sense of Expectation Hangin' in the Air…" Niemand stellt sich heute hinter die Fotowand, niemand will sich als ABBA-Mitglied in Satin-Latzhosen oder im Katzen-Supermini ablichten lassen. Alle wollen so schnell wie möglich rein, runter in den Keller, vorbei am kitschigen Andenken-Shop. In der Hand ein phallisches weißes Ding. Ans Ohr gehalten, mutiert es zum interaktiven Führer. Die deutsche Stimme ist weiblich, dezent lasziv. "Voulez-vous ah ha…!"

Eintauchen in die Welt von ABBA




Aber dann, ein runder Raum, eine überdimensionale Leinwand: gehacktes Licht; dunkel, hell, dunkel; harter, schneller Filmschnitt; Beat-Stakkato überlaut. Das war die Einstiegsdroge: Geblendet, fast taub, bin ich bereit für die Rückführung, bereit fürs Eintauchen, bereit für die Reise in die ABBA-Matrix: "Knowing Me, Knowing You".

Ein Vorhang, dahinter Vogelgezwitscher, eine Parklandschaft, ABBA auf der grünen Bank. Das übergroße Coverfoto des Greatest-Hits-Albums symbolisiert den Anfang, das Zusammenfinden der Band: Benny und Frida schmusend, "People Need Love"! Die Körpersprache von Agnetha und Björn signalisiert Beziehungsstress, "When All is Said and Done"! Mir und all den anderen Besuchern ist das schnurz, wir stehen wieder Schlange, denn dieses Selfie ist ein Muss.

Oh Gott, die gibt es auch noch! Die kotzig-kultige Wohnzimmer-Tapete der Siebziger-Jahre: Die Kugeln in braun, orange und blassem Gelb. Vor einem lebensgroßen Bild der Band das rote Telefon, das jeder Besucher im Augenwinkel behält. Eine Idee von Frida. Wenn es läutet, gibt's wahrscheinlich eine Stampede unter den Besuchern, denn dann ist eines der vier Band-Mitglieder am Rohr. War ja klar! Während ich da bin, bleibt das Retro-Teil still. "Ring, Ring, Why Don't You Give Me A Call."

Alte Fotos, schwarz-weiß, von der reizenden Agnetha als Teenie, damals schon mit markantem Zahnspalt; gleich daneben ihr späterer Captain of the Heart und Ehemann, Björn Ulvaeus: als Bub mit Gitarre, dann wieder mit typischem Pagenschnitt und schottischem Schal als Jus-Student. Björn war auch die entscheidende treibende Kraft hinter der Idee des ABBA-Museums-Projekts. Die anderen Ex-Band-Mitglieder waren anfangs alles andere als "amused" über derartige Pläne. Benny Anderson, der ganz in der Nähe wohnt, meinte sogar: "Die sollen doch bitte warten, bis wir tot sind!"

Es waren die Enkel des Björn Ulvaeus, die den Ausschlag gaben, die den Großvater wieder und wieder voll Neugier ausfragten, nach Details und Geschichten aus seiner Zeit als Superstar bei ABBA.

"Von da an wollte ich Einfluss nehmen", sagt er heute. Björn wollte sicher sein, dass alles, was über die Gruppe gezeigt und erzählt wird, absolut der Wahrheit entspricht, mehr noch, zu hundert Prozent authentisch ist. Und so entrümpelte er seinen Keller und Fans aus aller Welt schickten ihre einst teuer und mühsam erworbenen ABBA-Devotionalien zurück nach Schweden. Am 3. Juli 2013 war es dann so weit: Das ABBA-Museum und die angeschlossene schwedische Music Hall of Fame wurden eröffnet. Und auch die in alle Winde verstreuten Band-Mitglieder waren begeistert.

Zwei alte Karossen wecken mein Interesse: Der rostige GMC-Camper von Benny Andersons erster Band, den damals in Schweden bekannt und beliebten Hep Stars, und der unverwüstliche Volvo von Björns Hootenanny Singers. Die Stimme aus dem Off, meinem phallisch-interaktiven Ding, erzählt, dass Björn und Benny sich auf einer Sommer-Tournee trafen. Als bei den Hep Stars der Gitarrist ausfiel, sprang Björn kurzerhand ein. Das war der Urknall, als dann auch noch die Freundinnen von Björn und Benny dazustießen, waren die zukünftigen "Fantastic Four" komplett: Die Mädchen waren weit mehr als nur optischer Aufputz. Sie waren zwar "mega-hot", aber auch hoch talentiert und doch wie Tag und Nacht: blond und braun, die Helle und die Dunkle, Sopran und Mezzo-Sopran: Agnetha Fältskog aus Jönköpping introvertiert und schüchtern, das norwegisch-deutschstämmige Temperament-Bündel Anni-Frid "Frida" Lyngstad ging auf der Bühne ab wie eine Rakete. Das Paket war geschnürt, die Band bereit, die Welt zu erobern: "Take a Chance on Me!"

Eurovisions-Ausschnitte nonstop, weite Blusen von Frida, Pluderhosen und Plateau-Stiefel von Björn, Bennys weißes Klavier und das königsblaue Kasperle-Kostüm von Agnetha, samt kessem Käppi. Die Outfits der Gruppe beim Song Contest 1974 in Brighton waren so eng, dass Björn und Benny im Shuttle-Bus zum Auftritt stehen blieben, sich nicht hinzusetzten wagten. Auch Björns 13-zackige silberne Sterngitarre, aus der Meisterhand von Goran Malmberg, ist zu sehen. Der Betreiber einer deutschen ABBA-Website brachte sie persönlich in Stockholm vorbei.

Von der Küche ins Tonstudio

Die Geschichte von Schwedens bedeutendstem Musikexport wird aber auch über die Atmosphäre von Räumen vermittelt. Wie etwa die Küche von Frida und Benny. Oder das Musikzimmer in der kleinen Hütte der Band auf der Schäreninsel Viggsö, wo Björn und Benny – ohne jegliche Kenntnis von Musiknoten – komponierten, stundenlang über Akkorde und Texte diskutierten. Und auch das berühmte Polar-Studio des charismatisch-cholerischen Managers der Band, Stig "Stikkan" Anderson, ist detailgenau nachgebaut. Das originale Mischpult wurde in einer deutschen Garage wiederentdeckt. Es war der Arbeitsplatz eines Magiers: Michael B. Tretow, der Mann, der dem ABBA-Sound den unverwechselbaren Touch verlieh.

Intime Einblicke vermittelt die Garderobe. Zusammengetragen von der Stylistin der Band: Ingmarie Halling. Sie hat den Girls die Föhnwellen verpasst, die Bademäntel zurechtgelegt, die Schminkkoffer aufgefüllt und den Champagner gegen das Lampenfieber kalt gestellt. Zum Einsingen gab es Tee. Inmitten von Watte-Pads, Lidschatten-Paletten, Nivea-Creme und Haarbürsten: Fridas Lieblingsparfum, der Kult-Duft der 1980er-Jahre, Rive Gauche von Yves Saint Laurent, während Agnetha nur Oil of Olaz an ihre helle Haut ließ. Mitten in der Garderobe ein alter Reisekoffer, vollgeklebt mit ABBA-Stickern. "Arrival" sticht ins Auge. Der kleine fischglasartige Glaskuppel-Hubschrauber, in den sich die Band fürs Coverfoto des gleichnamigen Albums zwängte, steht gleich ums Eck. Trotz Agnethas panischer Flugangst gehörte das Fliegen zum Geschäft – "That's the Name of the Game"!

Und auch wenn es wahrscheinlich niemals eine Reunion der Vier geben wird – warum sollten sie auch: Für Museumsbesucher gibt es seit kurzem eine besonders spannende Möglichkeit, ihre Idole zu treffen, mehr noch, mit Ihnen aufzutreten, quasi als fünftes Bandmitglied. Ein Mädchen namens Inga, gerade mal zwölf Jahre alt, nimmt allen Mut zusammen, wagt sich auf die Bühne: Als Titel wählt sie den Klassiker "Dancing Queen". Aus dem Dunkel tauchen Avatare auf. Nein, keine blauen Fabelwesen, sondern die virtuellen ABBA-Bandmitglieder: schön, schlank, stimmgewaltig. Ingas Stimme zittert vor Nervosität, aber sie ist textsicher, gibt alles. Während die virtuellen Björn und Benny virtuos aufspielen, performen Agnetha und Frida im Disco-Fox-Schritt der 1970er-Jahre.

"The Winner Takes It All": Und irgendwann nach dem Golden Room mit seinen unzähligen Gold- und Platinschallplatten – ABBA verkaufte sagenhafte 400 Millionen Tonträger – stehen meine Jugend-Idole unmittelbar vor mir. Die Protagonisten des Glamour-Pops, lebensgroß, fast schon lebensecht. Nicht aus Wachs, aus Silikon – quasi für immer jung. Die Mädels in hautengen weißen Leggins, Frida ganz typisch in erotischen Overknees. Und manch einer schaut beim Selfie ganz genau hin. Auf den Knack-Po von Superblondie Agnetha, der 1977 auf der Australien-Tournee Presse und Fans beinahe um den Verstand brachte.

Das Making-Of der ABBA-Avatare


"Breaking Up Is Never Easy, I Know…" Im chilligen Pop-House-Café bleibe ich noch eine Weile in der Sonne sitzen, lasse das Erlebte sacken – an einem Espresso nippend, bevor ich weiter muss. "… But I Have to Go…" Hab irgendwie das Gefühl, meiner Jugend und ABBA ganz nah zu sein. "Knowing Me, Knowing You…"

Doch fühle ich mich nicht unbedingt verjüngt, eher ein wenig sentimental. Und offenbar geht‘s nicht nur mir so. Denn rundherum bei den anderen Gästen sehe ich lachende, aber auch nachdenkliche Gesichter. Schwarmintelligenz oder Telepathie: Es kommt mir vor, als hätten wir alle in diesem Moment nur diesen einen Song im Ohr:

"So I Say: Thank You for the Music, the Songs I'm Singing
Thanks for all the Joy they're Bringing…"

Das ABBA-Museum in Stockholm

Nachschlag: Benny performt mit Museums-Besuchern