Webbers Welt

Er fährt und fährt und fährt: Mark Webbers Gedanken über seine Leidenschaft, den Motorsport. Über die Formel 1, die große Umstellung auf die Sportwagen-Weltmeisterschaft als Porsche-Werkspilot und über den Tag X – den Tag, an dem die Karriere endet.

Unrasiert, ein fester Händedruck und klare Worte: “I’ve had some great highs and some hard lows!“ So reflektiert Mark Webber seine Formel 1-Karriere. Die Höhen, das waren neun Siege. Den WM-Titel 2010 im letzten Rennen knapp verpasst zu haben, war der schmerzlichste Tiefpunkt.

Als Mark vor zwei Jahren, mit 37, die Formel 1 verließ, hatte er Probleme mit der Motivation, hatte die Freude an seiner Liebe, dem Rennsport, verloren. Er war einer der letzten Männer in der Formel 1, in einer Serie, in der die Piloten immer jünger werden. Er war einsam, fühlte sich oft unverstanden.

Aber der Australier ist heute mit sich im Reinen, ist fitter den je. Und er hat noch Träume: Er will mit Porsche die 24 Stunden von Le Mans gewinnen. Dort, wo er 1999 im Mercedes CLR auf der Mulsanne-Geraden die Bodenhaftung verlor, mit dem Auto durch die Luft flog und wie durch ein Wunder diesen Crash überlebte. Eigentlich wollte er nie mehr zurückkehren. Tat es aber doch. Aus einem ganz simplen Grund: Porsche, dieser große Name des Langstrecken-Motorsports, übt eine Faszination aus, ist Mark Webbers vielleicht letzte, ganz persönliche Challenge.

Eine Karriere voller Ups and Downs

— Mark, verfolgst du noch die Formel 1 und wie findest du die neuen Regeln?

Mark Webber: Ja, ich schaue sie mir schon noch an, aber sie ist nicht mehr auf meinem täglichen Radar. Ein paar Dinge gehören verändert, verbessert. Ich bin ja noch immer Fan und ich will, dass diese Serie die Spitze des Motorsports bleibt. Ich weiß auch, dass derzeit die Fahrer selbst Druck für mehr Attraktivität, für mehr Herausforderung machen.

— Wie schwer war es eigentlich, der Formel 1 adieu zu sagen, nach so langer Zeit?

Mark Webber: Ziemlich einfach. Ich war so glücklich, dass Porsche mich angerufen hat. Jeder Rennfahrer möchte einmal in seinem Leben für Porsche fahren. Außerdem war ich schon fast 38 Jahre, es war also an der Zeit, mit der Formel 1 aufzuhören. Das Timing hätte nicht besser sein können.

— Gab es so etwas wie einen Knackpunkt, der die Entscheidung leicht gemacht hat?

Mark Webber: In den letzten Jahren habe ich schon gemerkt, dass meine Motivation langsam schwindet. Das war keine Entscheidung über Nacht. Es war ein schleichender Prozess, ich wollte etwas anderes machen. Du musst dir vorstellen, seit 1993 reise ich elf Monate im Jahre durch die Welt. Bis 2013 hatte ich nur knapp fünf Wochen im Jahr, in denen ich kein Flugzeug bestiegen habe. Ich fragte mich: "Willst du das noch?" Die Antwort war nein. Also habe ich mich verändert. Der Stresslevel in der Langstrecken-WM ist mit nur acht Rennen deutlich niedriger.

— Wenn du auf deine Formel 1-Karriere zurückblickst, was waren die schönsten Momente?

Mark Webber: Monte Carlo einmal zu gewinnen war speziell, zweimal einzigartig. Ich erinnere mich auch gerne an den Britischen Grand Prix in Silverstone, vor den fanatischen britischen Fans…

— …wo du im Ziel gesagt hast: Nicht so schlecht für einen Nummer 2-Fahrer?

Mark Webber: Ganz genau. Seb (Anm.: Sebastian Vettel) bekam damals einen neuen Flügel und ich nicht. Ich war richtig sauer. Das hat mich zusätzlich motiviert. Aber ich erinnere mich auch gerne an mein allererstes Formel-1-Rennen im Minardi 2002 in Australien: Ein großartiger Tag, denn ich wurde sensationeller Fünfter.

— Bedauerst du, nicht Weltmeister geworden zu sein?

Mark Webber:Ich will es so sagen: Nicht viele Fahrer konnten die Weltmeisterschaft bis zum letzten Rennen offen halten, wie ich 2010. Damit war ich schon besser als viele vor mir. Aber ich habe unterm Strick null Titel eingefahren – so ist das Leben. Aber hätte mir damals, als ich Australien verlassen habe, um in Europa Rennen zu fahren, jemand gesagt: Du wirst neun Siege, über 40 Podiumplätze und 19 schnellste Runden haben, und du wirst zwölf Jahre in der Formel 1 sein, mit den besten Leuten, den besten Teams zusammenarbeiten und gegen die weltbesten Fahrer bestehen – ich wäre überglücklich gewesen. Aber es ist nur natürlich, mehr zu wollen. Schau Fernando Alonso an, der ist zweifacher Weltmeister, ist aber nicht glücklich, weil der den dritten Titel will. So läuft das. Ich habe mehr Siege als manche, die Weltmeister waren…

— …wie Keke Rosberg, der hatte nur fünf Siege.

Mark Webber: Wie auch immer. Trotzdem heißt das nicht, dass ich besser bin als er. Ich war nie Champion, er schon, aber mein Leben geht weiter.

Schau Fernando Alonso an, der ist zweifacher Weltmeister, ist aber nicht glücklich, weil der den dritten Titel will. Ich habe mehr Siege als manche, die Weltmeister waren…

Mark Webber, fährt Langstrecke für Porsche

— Die Formel 1 wird momentan von blutjungen Fahrern überschwemmt. Du bist mit 24 eingestiegen. Was ist heute anders?

Mark Webber: Ich denke in den 1980er-, 90er- und den frühen 2000er-Jahren gab es mehr Lehrjahre. Die Fahrer fuhren mehr Rennserien, bevor sie in die Formel 1 kamen. Nun gut, sie haben jetzt die Chance früher einzusteigen, weil es auch Simulatoren gibt. Sie haben dadurch weniger Stress als wir, auch die physische Belastung ist weniger geworden.




Anders als in der Formel 1 arbeitet in Le Mans jede Seite der Garage mit der anderen zusammen.






Mark Webber, fährt Langstrecke für Porsche
Geringere Power der Autos heißt auch weniger Belastung für Nacken und Schultern, es ist somit leichter für sie. Gut oder schlecht, ich weiß es nicht, aber es gibt heute mehr junge Typen, die ein Auto 90 Minuten im Renntempo bewegen können. In den 1990ern hätte das nicht funktioniert.

— Bist du noch genauso fit wie zu Formel 1-Zeiten?

Mark Webber: Okay! Wenn wir über Fitness in der Formel 1 reden wollen, dann sollten wir über 2003, 2004 oder 2005 reden. Über Typen wie David Coulthard und Michael Schumacher, das war Fitness. Die haben sich von Montag bis Freitag den Arsch abtrainiert, nur um 90 Minuten am Limit fahren zu können. Dagegen ist das, was heute in der Formel 1 abläuft, so soft wie Cappuccino (lacht).

— Wie kommst du bei Porsche in der WEC Langstrecken-Weltmeisterschaft zurecht?

Mark Webber: Der Wechsel zu Porsche war fordernd, aber faszinierend, weil es eine völlig andere Rennformel ist. Du hast längere Track-Zeiten, fährst auch bei Nacht, du musst also flexibel sein. Ein riesiger Unterschied ist die Atmosphäre. Anders als in der Formel 1 arbei­tet jede Seite der Garage mit der anderen zusammen. Die Philosophie dabei lautet, beide Autos so weit wie möglich nach vorn zu bringen. Und Porsche ist außerdem eine Marke mit großartiger Geschichte. Für mich ist es eine große Ehre, für dieses Team zu fahren.

— Hast du noch einen ultimativen Traum?

Mark Webber: Ja, ich will unbedingt einmal Le Mans und die Langstrecken-Weltmeisterschaft gewinnen. Ich bin doch noch ein junger Mann, und bin noch sehr hungrig (grinst).

— In Le Mans wart ihr letztes Jahr als Neueinsteiger sogar in Führung.

Mark Webber: Das war eine enorme Überraschung. Wir konnten nicht glauben, dass wir in Führung lagen, aber wir haben es nicht zu Ende gebracht. Du kannst in noch so großartiger Form sein und nach 23,5 Stunden auf Platz eins liegen: Die Flagge fällt erst nach 24 Stunden. 

 

— ​Bitte erklär uns, was den Unterschied in der Fahrweise zwischen einem Formel 1-Auto und einem Le Mans-Prototypen ausmacht.

MARK WEBBER: Das kommt darauf an, welche Formel 1-Kategorie du meinst. Da hat sich enorm viel verändert. Verglichen mit meiner letzten aktiven Saison, dem 2013er-Auto, kann ich sagen: Da ist kaum ein Unterschied, obwohl die Prototypen viel schwerer sind. 

— ​Fühlst du dich sicherer unter einem Dach?

MARK WEBBER:Es ist ein völlig anderes Empfinden. Aber obwohl ich den Fahrtwind nicht spüre, habe ich ein gutes Gefühl für die Geschwindigkeit. Mit unserer Allrad-Technolgie bekommen wir die unglaubliche Porsche-Power gut auf die Straße. Und dann diese Beschleunigung. Also ehrlich: Ich war anfangs geschockt, darauf war ich nicht vorbereitet. 

— ​Hast du eine Idee, wie Langstrecken-Rennen für das Publikum leichter konsumierbar sein könnten?

MARK WEBBER: Interessantes Thema. Weil heute jeder alles schnell haben will. Besonders die junge Generation. Ist es denn wirklich besser, wenn im Tennis Roger Federer und Rafael Nadal nur einen Satz spielen? Mir gefällt, wenn sie vier Stunden um einen Grand Slam-Titel kämpfen. Quantität oder Qualität. So ist es auch mit Langstrecken-Rennen. Aber sicher: Wer Le Mans verfolgt, schaut nicht die ganzen 24 Stunden zu. Niemand schaut bei der kompletten Tour de France zu. Sport wird immer mehr zum Showbiz. Ich finde es auch verrückt, dass man über zwei kurze Formel 1-Rennen an einem Wochenende nachdenkt.

— ​Also weniger Show?

MARK WEBBER:Es geht mir nur um die Balance. Brauche ich wirklich 20 Überholmanöver in der Formel 1? Wenn zwei wirklich gut und hart ausgeführt werden, dann ist das toll anzuschauen.

— ​Du hattest auch schwere Unfälle, zweimal bist du sogar mit dem Auto durch die Luft geflogen. Wie geht es dir damit, hattest du nie Angst?

MARK WEBBER:Ich bin sicher, dass wir, die wir diesen Beruf ausüben, ein weniger anders sind. David (Anm.: Coulthard) hat mir erzählt: Es fliegen mehr Menschen im Jahr ins All als es Formel 1-Piloten gibt. Vielleicht sind wir dadurch einzigartig. Wir mögen es, Risiken einzugehen, und unser Risiko ist anders als das anderer Sportler. Unfälle gehören bei uns dazu. Zwischen 18 und 25 Jahren bist du absolut furchtlos. Wenn wir älter werden, beginnen auch wir zu nachzudenken: über eventuelle Konsequenzen, Verletzungen…  

— ​Trotzdem die Frage: Wie und wann fühlt man den Punkt, an dem die Karriere zu Ende geht?

MARK WEBBER:Das sind wir wieder bei Leidenschaft und Motivation. Wenn die Kerze nicht mehr brennt, geht sie aus. Und mit Antrieb und Entschlossenheit ist es genau so. Schau, ich freue mich immer noch auf Le Mans, auf die Strecke, das Rennen. Du musst verstehen, dass wir Fahrer es lieben, uns immer wieder zu testen. Und du musst auch wissen, dass es Leute, die für uns in der Garage arbeiten, aufreibt, wenn jemand nicht mehr richtig will. Mir ist es in der Formel 1 so ergangen. Ich habe Leute gehasst, die während eines Meetings auf die Uhr schauten. Ich dachte immer: Warum zum Teufel schaut der auf die Uhr, wo wir doch soviel Arbeit haben! Und irgendwann war ich selbst so, verlor die Motivation. Das ist auch für das Team nicht gesund. Das ist der Punkt, sich nach etwas Neuem umzuschauen. 

— Etwa deine Charity Aktionen, die Adventure Races in Australien?

Mark Webber:Heute macht so etwas schon jeder. Aber damals 2003 waren die Extrem-Rennen neu. Wir holten gutes Geld für Bedürftige. Ich wusste immer, dass ich privilegiert war. Und ich wusste auch, dass Gesundheit und das Lebensnotwendigste nicht selbstverständlich sind. Mit meiner Familie vor dem Feuer zu sitzen, eine kleine Wurst und ein Stück Brot zu essen – das ist Glück. Ich brauche dazu kein Restaurant mit Michelin-Sternen. So bin ich aufgewachsen. Wenn ich hier in Österreich in der Früh laufe und rieche Pferdemist, dann erinnert mich das an meine Heimat Australien. Was immer ich erreicht habe, wieviel Geld ich auch verdient habe, es hat mich nicht verändert. Ich drehe mich nicht um 180 Grad, in die Gegenrichtung zu dem, was mich meine Eltern gelehrt haben. Das kann und will ich nicht. Ich bin als junger Mann nach Europa aufgebrochen, hier habe ich heute alle meine Prioritäten. Trotzdem bin ich Australier, auch wenn ich heute nur noch hinfahre, um Urlaub zu machen.