Vollgas aus der Krise

Mobilität und Motorsport im Zeichen von Corona: FIA-Präsident Jean Todt spricht über seine persönlichen Erfahrungen, den Ruf nach Veränderung und den Formel-1-Start in Österreich.

Endlich! Die Formel 1 kommt am 5. und 12. Juli nach Spielberg. Es ist der erste Saison-Start der Königsklasse in Österreich. Eine gute Nachricht für den Motorsport und für Jean Todt. Der FIA-Präsident sieht in der Covid-19-Pandemie nicht nur die größte Krise seiner Amtszeit, sondern auch eine Herausforderung für die Menschheit.

— Die ganze Welt ist momentan von der Covid-19-Pandemie betroffen. Wie haben Sie persönlich diese Zeit erlebt?

Jean Todt: Wie die meisten Menschen in Europa war auch ich für Wochen daheim eingesperrt, mit einigen Mitgliedern meiner Familie und meines Teams. Allerdings unter sehr privilegierten Bedingungen im Vergleich zu vielen anderen. Die Verlobte meines Sohnes war infiziert, aber ohne jemand anderen anzustecken. Mittlerweile geht es ihr wieder gut.

So wie die gesamte Führung der FIA musste auch ich anders arbeiten. Aber unsere virtuellen Meetings waren genauso zahlreich und intensiv wie die regulären Konferenzen davor. Während des gesamten Zeitraums war unsere Priorität, die Mobilitätsclubs, den Motorsport und Meisterschaften bestmöglich zu unterstützen. Wir haben uns der Krise gestellt und für die Zeit nach der Pandemie vorbereitet.

— Wie tief waren die Auswirkungen auf die FIA und insbesondere auf die Programme wie etwa die Verkehrssicherheit?

Jean Todt: Wir waren von der Krise stark betroffen, besonders der Motorsport. Die meisten Veranstaltungen des ersten Halbjahrs wurden abgesagt. Dank der Bemühungen aller Beteiligten gibt einen neuen Renn-Kalender bis September. Die Formel-1-Saison startet im Juli in Österreich. Und ich werde da sein!

Aber auch unsere Mobilitätsclubs haben sehr gelitten. Der Lockdown von mehr als der halben Weltbevölkerung widerspricht dem Wesen der Clubs: Autofahrern und Verkehrsteilnehmern Hilfe und Dienstleistungen anzubieten.

In Bezug auf die Verkehrssicherheit lernen wir aus der Krise. In vielen Ländern war der Straßenverkehr fast zur Gänze eingestellt. Aber einige Leute, die ihre Autos benutzten, hielten sich an keine Regeln, speziell die Geschwindigkeitsbeschränkungen. Es kam zu einem Anstieg der Unfallzahlen. Auf diesen Missstand müssen die Regierungen weltweit reagieren, insbesondere Entwicklungsländer.

Auf der globalen Ministerkonferenz für Straßenverkehrssicherheit im Februar in Stockholm haben wir erneut bekräftigt, dass wir mehr Sicherheit benötigen, um Verkehrstote und Verletzte zu reduzieren. Wir können das nicht einfach fatalistisch tolerieren. Wir brauchen Sicherheit, um Vorreiter für unsere Straßenverkehrssysteme zu werden. Es ist mehr denn je ein hochaktuelles Thema und ich freue mich auf Vorschläge und Initiativen unserer Mitgliedsclubs.

Todt im Talk

— Sie haben einen Neuanfang für den Motorsport gefordert. Was würde dieser von Ihnen zitierte "New Deal" konkret bedeuten?

Jean Todt: Noch während des Lockdowns habe ich diesen "New Deal" vorgeschlagen. Denn jetzt müssen wir den Grundstein für einen Ausweg aus der Krise und eine nachhaltige Zukunft legen. Wir haben für die Formel 1 neue Regeln eingeführt, wie die Kosten-Obergrenze für die Rennteams, aber auch für die Organisa­tion von Wettbewerben.

Momentan denken wir über eine völlige Neu-Positionierung unserer Meisterschaften nach. Und wir diskutieren, wie wir die Popularität des Motorsports steigern und gleichzeitig den fundamentalen gesellschaftlichen Zielen näher bringen können. Dabei steht die Umwelt an erster Stelle.

Aus diesem Grund haben wir in der Formel 1 ein Hybrid-Antriebssystem eingeführt, die Formel E geschaffen und eine eigene dafür FIA-Kommission gegründet. Weiters haben wir die UN-Initiative "Sports for Climate Action Framework" unterzeichnet.

Wir brauchen laut Reglement acht Rennen, um einen Formel-1-Weltmeister zu küren.

Jean Todt, FIA-Präsident

— Zurück zur Formel 1. Die Saison startet in Österreich mit zwei Rennen, jedoch ohne Zuschauer. Wie will die FIA Meisterschaften in einem Covid-19-Szenario durchführen?

Jean Todt: Gemeinsam mit Formel 1, nationalen Behörden und den Veranstaltern haben wir ein Sicherheitsprotokoll gemäß den WHO-Richtlinien veröffentlicht. Ich möchte die Gelegenheit hier nützen, um der österreichischen Regierung sowie der AMF (Austrian Motorsport Federation), Dietrich Mateschitz und dem gesamten Red-Bull-Team zu danken.

— Was passiert, wenn ein Team-Mitglied an Covid-19 erkrankt? Wird das Rennen dann wie in Australien abgesagt?

Jean Todt: Wir haben Richtlinien und einen Verhaltenskodex herausgegeben, ausgearbeitet von Professor Gérard Saillant, dem Präsident der FIA Medical Commission. Diese Maßnahmen sollen positive Fälle vermeiden und sicherstellen, dass die Rennen auch dann fortgesetzt werden, wenn ein Infektions-Fall vorliegt.

Hinzufügen möchte ich noch, dass wir deshalb auch unsere Partnerschaft mit der Internationalen Föderation des Roten Kreuz und dem Roten Halbmond verstärkt haben.

Maskenball bei Mateschitz

— Wie viele Rennen sind nötig, um einen würdigen Formel-1-Weltmeister zu haben?

Jean Todt: Wir brauchen laut Reglement mindestens acht Rennen. Diese acht Rennen sind fix eingeplant. Wir hoffen aber noch auf acht bis zehn weitere Rennen nach Monza.

— Durch die Krise beschleunigt, treten in fast allen Serien virtuelle Rennen in den Vordergrund. Was denken Sie darüber?

Jean Todt: Es ist eine gute Sache, die das Publikum für unseren Sport vergrößert, besonders unter den jungen Leuten. Ich habe mir in meiner Isolation eines dieser virtuellen Rennen angesehen und fand es sehr unterhaltsam. Darum haben wir zu diesem Thema für die sozialen Medien der FIA ein wöchentliches Videomagazin mit dem Titel #RaceAtHome herausgegeben.

— Welche Lektion müssen wir alle aus dieser Pandemie lernen?

Jean Todt: Unser Planet wurde von einem Virus überrascht. Niemand weiß, wie das ausgeht. Kommt eine zweite Welle? Verschwindet das Virus von selbst? Es wird Zeit brauchen, um einen Impfstoff zu finden. Ich hoffe sehr auf das Vermögen der Regierungen, die medizinische Forschung zu unterstützen. Wie auch immer, dieser globale Gesundheitsnotfall hat uns an eine Realität erinnert, die wir fast schon vergessen hatten: die Verwundbarkeit und Zerbrechlichkeit von uns Menschen.

FIA

Red-Bull-Ring in Spielberg