Vettel im Video-Chat

Der vierfache Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel meldet sich aus seiner Corona-Isolation zum Online-Talk mit der internationalen Presse. Auch auto touring war dazu eingeladen.

Kurz nach acht Uhr früh. Ich sitze am Computer, klicke auf den Webex-Link aus Maranello. Eine verzerrte Stimme empfängt mich: "Keep your microphone on mute! Prego!" Kaum eingeloggt, werde ich auch schon wieder abgestellt. Video-Konferenzen brauchen eben Regeln.

"Buongiorno! Guten Morgen!" Sebastian ist online, überpünktlich. Er lächelt, wirkt topfit, nur die Frisur ist ein wenig verwegen; kein Wunder in Zeiten wie diesen.

Die Reihenfolge der Fragesteller ist festgelegt, die Engländer fangen an. Sebastian eröffnet mit einem "Sorry!" In England ist es ja erst kurz nach sieben.

Während ein Brite die erste Frage stellt, unterbricht ein deutscher Kollege, quasselt laut in sein Handy. "Microphone on mute!", schrillt die Stimme der Moderatorin aus dem Off. Sebastian kichert schelmisch. Das Thema ist in allen Sprachen das gleiche: Sebastian und die Formel 1 im Zeichen von Corona.

— Ein Virus lähmt die Welt – wie gehst du mit dieser Situation um und wie verändert ist jetzt dein Alltag?

Sebastian Vettel: Das betrifft uns alle. Nachdem wir nun schon ein paar Wochen in Quarantäne und in dieser Situation stecken, hat sich unser aller Leben stark verändert. Die Umstände sind traurig, aber es ist vielleicht auch eine Chance für uns alle, gewissermaßen einen Neustart hinzulegen und herauszufinden, was wirklich zählt im Leben.

Aus meiner persönlichen Sicht tut sich im Moment wenig, es ist mir zu ruhig. Im Vergleich zur Winterpause – da kann ich andere Sportarten wie zum Beispiel Schifahren verfolgen. Aber im Moment passiert nichts, null. Das ist natürlich schade.

Und so versuche ich die Zeit zu nützen, um fit zu bleiben und an mir selbst dran zu bleiben. Ich verbringe jetzt mehr Zeit mit der Familie. Die Kinder halten mich auf Trab. Aber die Umstände sind halt so völlig anders als ich es gewohnt bin.

— Diese Pandemie ist ein historisches Ereignis, das uns alle trifft. Wie nimmst du es wahr?

Sebastian Vettel: Die Situation ist sehr ernst. Alles was bis jetzt unternommen wurde, war richtig. Die Schwierigkeit dabei ist aber, geduldig zu bleiben. Jeder möchte eine Antwort haben auf Fragen wie: Wie geht es weiter? Wann wird wieder Normalzustand herrschen? Wann darf ich wieder meine Freunde treffen? Aber im Moment gibt es keine konkreten Antworten. Zwar wurden die Maßnahmen gerade ein wenig gelockert, aber wir werden sicher noch viel Geduld brauchen und müssen uns weiter verantwortungsvoll verhalten. 

— Findest du jetzt Zeit für andere Dinge?

Sebastian Vettel: Lange im Bett liegen zu bleiben funktioniert mit drei Kids gar nicht. Daher bin ich immer früh auf. Kinder wollen unterhalten werden und so habe ich eigentlich den ganzen Tag Programm. Zum Glück ist das Wetter gut, das gibt mir auch Gelegenheit, wieder mehr auf das Haus zu schauen und die Dinge im Garten zu erledigen, die liegen geblieben sind.

Ich bleibe die ganze Zeit zu Hause, nur zum Einkaufen gehe ich vor die Tür. Ich mache aber sehr viel Sport. Zum Glück bin ich von keinem Fitness-Studio abhängig, denn mittlerweile habe ich die meisten Trainings-Geräte daheim. Wir als Familie genießen die gemeinsame Zeit, aber letzte Woche hat es bei mir schon angefangen zu kribbeln. Es fehlt mir einfach, das Rennfahren, das Gefühl, dass etwas passiert. Im Moment steht ja alles auf Null.

— Trotz der vielen Eingriffe in unsere Freiheit – hat diese Zeit auch Vorteile? Bekommt ein Telefongespräch auf einmal einen völlig neuen Wert?

Sebastian Vettel: Es ist in jedem Fall eine perfekte Möglichkeit, Dinge zurückzusetzen, einfach den Reset-Knopf zu drücken. Es ist eine besinnliche Zeit. Durch das intensive Zusammensein mit der Familie kommen aber auch Themen zu Sprache, für die sonst nie Zeit war. Das tut auch gut.

Wichtig wird sein, diese Wertschätzung für die kleinen Dinge des Lebens beizubehalten. Und wir sollten versuchen, das wir das, was wir aus dieser Zeit gelernt haben, auch noch danach fortzuführen, wenn alles wieder normal läuft.

Ich habe die Fernsehbilder aus Italien gesehen. Ich bin erschüttert. Natürlich leide ich auch mit betroffenen Teammitgliedern mit.

Sebastian Vettel, Formel-1-Weltmeister

— Du bist in einem Arbeitsverhältnis bei einem italienischen Autohersteller. In Italien herrschen ja teils schreckliche Zustände. Wie gehst du damit um?

Sebastian Vettel: Ich habe die Fernsehbilder gesehen. Ich bin erschüttert. Auch leide ich mit betroffenen Teammitgliedern mit. Für manche ist die Situation gerade sehr ernst, weil die Großeltern im Krankenhaus liegen. Es kommt immer darauf an, wie stark der persönliche Bezug zu den betroffenen Menschen ist. Und wenn es dann jemanden aus deinem engen Umfeld trifft, macht dich das natürlich nachdenklich.

Wenn ein Freund oder jemand aus der Familie gerade um sein Leben kämpft, dann rutscht der Ärger über Einschränkungen und darüber, dass man nicht mehr so oft hinausgehen kann, weit in den Hintergrund.

— Warst du gezwungen, dein Training zu verändern?

Sebastian Vettel: Gezwungen nicht, ich kann mir ja meinen Trainingsplan aussuchen. Normalerweise stehen zu dieser Zeit immer viele Termine an oder wir sind zu den Rennen unterwegs: Anreise, Akklimatisation, Meetings und so weiter. Aber weil das alles wegfällt, hab ich mir einen Acht-Wochen-Trainingsplan zusammen gestellt. Es ist zwar hart, aber aktuell bin ich schon in Woche vier.

— Das heißt, du wärst bereit, wenn es morgen wieder los ginge?

Sebastian Vettel: Morgen geht es sicher nicht los (lacht)! Aber körperlich bin ich jetzt sicher besser vorbereitet als ich es noch im März vor Australien war. Klar wäre ich sofort wieder bereit, Rennen zu fahren. Mir fehlt die Zeit im Auto. Das letzte Mal ist jetzt immerhin schon zwei Monate her.

— Hältst du Kontakt mit dem Team, mit den Mechanikern, vielleicht auch mit dem Team-Kollegen?

Sebastian Vettel: Kontakt, ja, aber nur über Video und Telefon. Es hat auch nach der Australien-Absage noch einige Wochen gedauert, bis alle wieder nach Hause durften. Manche mussten zusätzlich und zum Schutz ihrer Familien noch Extra-Zeit in Quarantäne verbringen.

Im Grunde sind wir alle in der gleichen Situation: Wir sitzen daheim und warten auf Neuigkeiten. Natürlich steht der Kopf nicht still, auch wenn unser Auto gerade nicht weiterentwickelt werden kann, weil die Fabrik geschlossen ist. Selbst Geistesblitze könnten im Moment nicht umgesetzt werden. Die Gesundheit hat oberste Priorität.

— Ist es denkbar, dass Ende Juni in Frankreich schon gefahren wird?

Sebastian Vettel: Wir hoffen alle darauf, wir wollen ja schnell wieder ins Auto und zu unserem früheren Leben zurück, aber ich glaube, es könnte sich auch noch weiter nach hinten verschieben.

— Es gibt jetzt auch eine virtuelle Formel 1. Dein Team-Kollege Charles Leclerc hat gerade ein Rennen gewonnen. Hast du das mitbekommen?

Sebastian Vettel: Nicht sofort. Aber ich glaube, das ist nichts für mich, obwohl ich ja mit Video-Spielen aufgewachsen bin. Mir ist schon klar, dass dieses Sim-Racing heute viel professioneller ist. Immer mehr Freunde üben auf mich Druck aus, meinen, dass ich das doch einmal probieren sollte. Auch Rennfahrer-Kollegen drängen mich: Hey, fahr doch einmal mit! Ich schau mir das erst einmal genau an. Bis vor ein paar Tagen hatte ich auch noch keinen Simulator.

— Du hast dir wirklich einen Simulator gekauft?

Sebastian Vettel: Ja! Jetzt hab ich einen, den muss ich aber erst installieren. Aber ich strebe sicher keine virtuelle Racing-Karriere an. Außerdem hab ich ja noch überhaupt keine Übung und blamieren will ich mich ganz sicher nicht (grinst).

Zurück ins Auto ist das Ziel

— Wie laufen deine Vertragsverhandlungen mit Ferrari, wenn ihr nicht an einem gemeinsamen Tisch sitzt?

Sebastian Vettel: Heutzutage läuft sehr viel auch ohne gemeinsamen Tisch. Wie alles andere sind auch meine Vertragsverhandlungen auf Stopp. Wir werden das im Juli weiter besprechen. Normalerweise hatte ich immer Dreijahres-Verträge. Aber ich weiß schon: Ich bin einer der erfahrensten Fahrer in der Formel 1, aber ich bin nicht der älteste.

Klar ist aber auch, dass diese Verhandlungen im Moment nicht die oberste Priorität haben. Jetzt gilt es ordentlich mit dieser Ausnahme-Situation umzugehen. Der Rest wird sich zeigen.

— Ist jetzt die Zeit, über Veränderungen in der Formel 1 nachzudenken? Was sollte man unbedingt ändern?

Sebastian Vettel: Ich glaube, aktuell machen wir uns alle darüber Gedanken, was man ändern muss. Die Inhaber der Formel 1 haben schon einige Änderungen vorgelegt, technischer und wirtschaftlicher Natur, was das Reglement ab 2022 betrifft. Mit dem Ziel, das Feld enger zusammen zu schnüren und somit den Sport attraktiver zu gestalten.

Es gibt auch Bemühungen zum Thema Klimaschutz. Aber als frei denkender Mensch mache ich mir auch eigene Gedanken. Was wir in der momentanen Schockstarre nicht vergessen dürfen: Die Welt dreht sich weiter und die Probleme, die es vorher gab, wird es auch in Zukunft geben, auch wenn sich alles wieder beruhigt hat. Daher sollten wir nicht ignorant vorgehen und alles andere ausblenden. Das gilt nicht nur für die Formel 1, sondern auch für uns selbst.

Mir fehlt die Zeit im Auto. Das letzte Mal ist jetzt immerhin schon zwei Monate her.

Sebastian Vettel, Formel-1-Weltmeister

— Die Saison ist gestoppt. Gibt es Rennen, die du besonders vermissen würdest, sollten sie nicht stattfinden?

Sebastian Vettel: Persönlich fehlt mir natürlich der Grand Prix in Hockenheim, aber der war ja gar nicht im Kalender. Ein paar meiner Lieblingsrennen sind schon weg: Australien ist immer großartig. Auch Monaco vermisse ich sehr und Kanada. Ganz hart wäre es, wenn es Suzuka treffen würde, aber das findet erst im Oktober statt, da bin ich noch optimistisch.

— Ferrari war bei den Tests nicht bei den Schnellsten. Ist die Situation um Corona vielleicht sogar von Vorteil, um am Auto weiter zu arbeiten?

Sebastian Vettel: Aktiv entwickeln können wir nicht, denn, wie gesagt, die Fabrik ist geschlossen und das ist auch meiner Meinung nach eine richtige Maßnahme. Aber unsere Köpfe stehen ja nicht still. Und jetzt haben wir die Gewissheit, dass auch nächstes Jahr noch mit den gleichen Regularien weitergefahren wird. Also schreiben wir unsere Ideen auf und hoffen sie umsetzen zu können, sobald es wieder los geht. Wir dürfen aber nicht erwarten, dass gleich nach dem Aufsperren der Fabrik jede Menge neue Teile aus den 3D-Druckern flutschen.

— Apropos, wenn es wieder los geht – für den Start der Formel 1 sind sogenannte Geisterrennen ohne Zuschauer angedacht. Wie fühlt sich das für dich als Fahrer an?

Sebastian Vettel: Ich glaube, bei euch in Österreich sagt man: Fad! Wir hatten zwar schon Rennen mit extrem wenigen Zuschauern – aber vor leeren Tribünen zu fahren, das wäre ein sehr komisches Gefühl. Ich bin definitiv kein Fan davon.

Man muss aber abwägen: zwischen dem wirtschaftlichen Aspekt der Formel 1, die Rennen braucht, damit die Teams überleben können, und dem Bild, das dieser Sport abgibt.

Meiner Meinung nach sollte man lieber zuwarten und keine Geisterrennen veranstalten. Ich denke, auch für die Fans vor dem Fernseher haben Rennen ohne Zuschauer nicht die Qualität, die eine Formel 1 haben sollte.

— Was wird das erste sein, das du tun wirst, wenn die Corona-Maßnahmen aufgehoben werden?

Sebastian Vettel: Hoffentlich Rennen fahren, da warte ich drauf. Ich bin nicht der Typ, der jeden Tag in ein Kaufhaus rennt, um zu shoppen. Okay, zum Friseur müsste ich mal wieder; ich glaube aber, es gibt Leute, die noch mehr den Drang dazu verspüren als ich (schmunzelt).

Richtig freuen werde ich mich auf jeden Fall, wenn ich den Rest meiner Familie wieder sehen und meine Freunde treffen darf, ganz so wie ich es vorher gewohnt war.