Safety first

Flaggen schwenken, Rennautos bergen, Leben retten – zu Besuch bei der Österreichring-Sicherheitsstaffel.

Wenn’s rot leuchtet – Obacht!" Ich stehe am Red Bull Ring zwischen Turn 6 und 7, zwei schnell durchfahrenen Kurven, getrennt von einer kurzen Gerade. In der Formel 1 gehen die beiden Ecken mit rund 200 km/h, besonders tricky ist aber Turn 6: In den niedrigen Formel-Boliden haben die Fahrer beim Einlenken nämlich keine Sicht auf den Scheitelpunkt.

Derweil auf der Strecke, kurz nach dieser trickreichen Kurve 6, liegt ein Motorrad im Kiesbett. Drumherum: eine Traube von Menschen.

Es ist Anfang März, der Himmel zeigt sich aufgelockert bewölkt, Spielberg-Wetter eben. Dort, wo sich die Sonne an den Wolken vorbei kämpft, kündigt sie das Ende des Winters an. Und den Beginn der Motorsport-Saison.

Das ist auch der Grund, warum sich Menschen um das Motorrad gesammelt haben. Und um einen Formel-4-Wagen nach Kurve 8. Und um einen Tourenwagen vor Kurve 4. Desweiteren bei einem Porsche Cayman in der neuen MotoGP-Schikane, auf der langen Gerade nach der Lauda-Kurve, und um ein zweites Motorrad, das am Eingang von Turn 6 im Kiesbett liegt.

"Dieses Training haben wir jedes Jahr", sagt der 32-jährige Kevin Kaltenegger. Der Steirer ist Geschäftsführer der RS-S Racing Safety-Services GmbH, die seit 2016 für die operativen Geschäfte der Österreichring-Sicherheitsstaffel zuständig ist.

Sei es bei der Formel 1, der größten Motorsport-Party Österreichs mit rund 300.000 Besucher:innen oder im Zuge eines Fahrtrainings mit nur 30 Teilnehmer:innen und fast ohne Zuschauer:innen: Sobald sich ein Auto oder Motorrad am Red Bull Ring bewegt, sind sie da, die Streckenposten der Österreichring-Sicherheitsstaffel.

Die Staffel wurde vor 50 Jahren gegründet. Schon im März 1974 hatte man 25 Mitglieder, die zunächst ihre Privatfahrzeuge zur Verfügung stellten. Zwei Jahre später, 1976, waren bereits 28 Veranstaltungen auf der damals noch Österreichring genannten Strecke geplant. Daraufhin folgte der Kauf erster Einsatzfahrzeuge.

Seitdem wird der Fuhrpark laufend erweitert. Mittlerweile stehen 11 Einsatzfahrzeuge bei den Formel-1-Rennen in Bereitschaft. Alle sind sie mit Handfeuerlöschern und Bergeequipment ausgestattet, je nach Rennserie variiert diese Ausrüstung freilich.

"Komplett andere Zeiten", fasst Kaltenegger die Anfangsphase der Österreichring-Sicherheitsstaffel zusammen, nachdem er uns ein Video präsentierte, das anlässlich des großen Jubiläums aus Archivmaterial zusammengeschnitten wurde. Darin zu sehen: Streckenposten etwa, die mit nacktem Oberkörper über den Track liefen, haarscharf an ihnen vorbei rasend: Boliden im Renntempo. Und statt Leitplanken waren Strohballen angesagt – wenn überhaupt.

Kein Vergleich zu heutigen Sicherheitsstandards, allerdings: Man lernt nie aus. Sicherheit im Motorsport ist ein sich stetig entwickelnder Prozess. Einer, der nie abgeschlossen ist. Das wurde zuletzt 2014 stark gemerkt, als Formel-1-Pilot Jules Bianchi in Suzuka mit seinem Rennwagen in ein Abschleppfahrzeug raste und Monate später an den Folgen starb.

Seitdem dürfen Streckenposten nur noch nach einer Freigabe zu den Fahrzeugen, um sie zu bergen. Das geschieht in Spielberg übrigens oft mit Traktoren, die von Bauern aus der Region zur Verfügung gestellt werden. Klingt nach Bio-Hendl-Werbung, ist aber so.

Traktoren von Bauern aus der Region.

Für den Motorrad-Rennsport gilt diese abzuwartende Freigabe übrigens nicht, da darf man sofort auf die Strecke. Besonders schwierig: Das Bergen einer MotoE-Maschine, einem vollelektrischen Renneisen.

"Wenn’s rot leuchtet – Obacht!" Ich stehe am Red Bull Ring immer noch zwischen Turn 6 und 7. Und im Kiesbett liegt ein Motorrad, ein Elektromotorrad. Wenn die Lampe an diesem rot leuchte, erzählt man mir, herrsche akute Stromschlag-Gefahr. Das Berge-Prozedere: dementsprechend aufwendig.

"Zuerst wird ein ganzer Feuerlöscher auf das Bike gesprüht, dann eine Löschdecke darübergelegt." Letzten Endes wird das Motorrad dann geflutet – oder landet im Sarkophag. Hinzu kommt: Die MotoE-Maschinen sind nicht nur schwer handhabbar, sie sind auch tatsächlich recht schwer. Aber dafür trainiere man ja.

Zwei, die schon viele Jahrzehnte trainiert haben, sind Wolfgang Pichler und Siegfried Kaltenegger. Seit 32 Jahren ist Pichler Teil der Österreichring-Sicherheitsstaffel, bei Kaltenegger sind es noch ein paar mehr.

Pichler erklärt den Kolleg:innen das Einsatzfahrzeug, Kaltenegger die Bergung eines Formel-Fahrzeuges. Und uns nebenbei geben die beiden ihre Highlights nach vielen Jahrzehnten als Marshals zum Besten – sehr unterhaltsam und beeindruckend.

Wolfgang Pichler (links im orangenen Overall) erklärt die Ausrüstung eines Einsatzfahrzeugs.

Bei Wolfgang Pichler etwa: Der Einsatz bei einem GT-Rennen in Baku. Bei Kaltenegger: Als er Ende der 90er das Medical Car in der Formel 1 pilotierte – mit im Auto: der 2012 verstorbenen Rennarzt Dr. Sid Watkins.

Mittlerweile stellt die FIA ihr eigenes Medical Car – und aus den einst 25 Mitgliedern des Vereins wurden mittlerweile 400 Mitarbeiter, manche fest angestellt, die meisten allerdings als Freiwillige für einzelne Events. Sie sind gerade 18 geworden – oder gehen auf ihren 70er zu. Und viele davon sind keine Mitarbeiter, sondern Mitarbeiterinnen: Der Frauenanteil der Österreichring-Sicherheitsstaffel beträgt fast 20 Prozent.

Gemein haben diese 400 Menschen aber alle eines: "Ihr Herz schlägt für den Motorsport", so Geschäftsführer Kevin Kaltenegger.