La Carrera Panamericana: Die Rallye der Verrückten

Jedes Jahr im Oktober wird die Stille der mexikanischen Einöde durch Motorengebrüll unterbrochen. Wahnsinnige Rennsportfreunde zelebrieren das vielleicht irrste Straßenrennen der Welt. PASCAL SCHICHTEL war dabei.

Irgendwo mitten in der mexikanischen Einöde. Weit und breit nur Kakteen und flaches Land. Am Himmel kreisen die Geier, es herrscht bedrückende Stille. Einmal im Jahr, im Oktober, wird diese Stille von lautem Motorengebrüll unterbrochen. Dann nämlich finden sie sich hier ein: Wahnsinnige, Verrückte und Rennsportfreunde aus der ganzen Welt. Gemeinsam zelebrieren sie das vielleicht verrückteste Straßenrennen der Welt, die La Carrera Panamericana.

Die La Carrera Panamericana galt lange Zeit als härtestes Rennen der Welt. Die traditionelle Mexiko­Rallye wurde 1950 ins Leben gerufen, gleich nach der Einweihung der Ruta Panamericana, einer Schnellstraße, die Nord­ und Südamerika über tausende Kilometer miteinander verbindet. Über komplexe Regeln machte man sich zunächst weniger Gedanken, der Schnellste soll der Sieger sein. In kurzer Zeit gelangte die “La Pana” an große Bekanntheit, war aber ebenso gefürchtet. Bis man sie aufgrund der vielen tödlichen Unfälle bereits nach wenigen Jahren wieder einstellte. Auf meist abfälligen Straßen schossen die Boliden durch den mexikanischen Dschungel, Wüsten und Berglandschaften. Das Glück, einen Abflug zu überleben, hatte nur ein kleiner Teil der damaligen Bruchpiloten. 

1954 verboten, 1988 wiederbelebt

Heute sieht die Sache etwas anders aus. Seit 1988 wird das Rennen wieder ausgetragen, die Sicherheitsvorkehrungen wurden dem modernen Rennsport angepasst. Ein professionelles Ärzteteam folgt dem Renntross auf Schritt und Tritt. Überrollkäfige, Helme, Schalensitze und Renngurte sind im Reglement vorgeschrieben. Zudem werden Motorhaube und Heckklappe vorsichtshalber gleich doppelt gesichert. Wer nun aber glaubt, die neu aufgelegte Carrera Panamericana sei etwas für Opis alten Mercedes, wird in den folgenden Zeilen eines besseren belehrt. Auf den mexikanischen Straßen ist mit einem Rennpass der Rallye quasi alles erlaubt, einzelne Etappen sind für den öffentlichen Verkehr gesperrt. Mit dem klassischen Oldtimersport haben diese Fahrzeuge wenig gemeinsam: Spezielle Tankgemische befeuern die umgebauten Motoren mit bis zu 800 PS. Die Piloten tragen Ketten mit ihrer Blutgruppe, die ebenfalls auf Helmen und Türen stehen muss. Unfälle und Überschläge sind auch heute noch an der Tagesordnung. Fast jedes Jahr gibt es Schwerverletzte, die Trümmerteile und Fahrzeugwracks müssen teilweise per Hubschrauber geborgen werden. Kurios auch, dass die Vielzahl an Polizisten am Straßenrand statt Radarpistolen die Smartphones zücken, wenn die viel zu schnellen Rennwagen den Highway beackern.

Um auf der Strecke zu bestehen, muss man waghalsig sein, wenn nicht sogar ein wenig verrückt. Und das gilt nicht nur für die Piloten. Stellen Sie sich beispielsweise vor, dass man für eine handvoll Ersatzteile über 1.000 Kilometer quer durchs ganze Land fährt. Diese Ersatzteile bringt man anschließend in die größte Metropole der westlichen Welt, Mexiko-Stadt, um sie auf einer der Hauptstraßen mitten in der Nacht im strömenden Regen einzubauen. Exakt so passiert bei der diesjährigen Ausgabe der Carrera Panamericana. In Mexiko herrscht während der Carrera für zwei Wochen Ausnahmezustand. Es fällt schwer in Worte zu fassen, was rund um die Strecke alles los ist. Von streunenden Hunden in der Boxengasse über Paradiesvögel mit pinker Perücke, dieses Rennen ist schlichtweg einzigartig. Genauso wie seine Natur. Man startet im tropischen Regenwald im südlichen Bundesstaat Chiapas, fährt durch steppenartige Landschaften entlang der Pazifikküste und endet in den Bergen von Durango. Temperatur und Höhenlage wechseln stündlich, ebenso wie die Beschaffenheit der Fahrbahn. Mal einwandfreier Asphalt bis zum Horizont, mal taucht hinter der Kurve ein badewannengroßes Schlagloch auf. Es ist der Mix aus all diesen Herausforderungen, der diese Rallye zu einer ganz besonderen macht. Und falls sie nächstes Jahr im Oktober bis jetzt noch nichts geplant haben, ich hätte da eine Idee. Viva la Carrera, la loca Carrera!