Goschert, genial, Gasly

Sympathisch, schlagfertig, sauschnell. Das sind die auffälligsten Attribute des Formel-1-Rookies Pierre Gasly. Und schon nächstes Jahr wartet die große Chance auf ihn: ein Cockpit bei Red Bull Racing.

Endlich wieder ein lässiger Typ. Einer mit Esprit und Charme. Franzose, et voilà! Wenn er am Tresen der Red-Bull-Hospitality im Franko-Akzent die weiße Energydrink-Dose mit "Cocoo!" ordert, schmelzen die jungen Damen dahin. Also passt auf, ihr Formel-1-begeisterten Väter schöner Töchter, passt noch mehr auf eure Frauen auf. Sie werden diesen Youngster lieben.

Pierre Gasly ein Liebling aller Frauen? Oui, oui! Seit Gerhard Berger hatte keiner mehr so einen unschuldigen Blick und diesen kecken Grinser.

"Ich nehm' die Schokolade! Wein haben wir selber in Frankreich!" Da ist es wieder, dieses Grinsen. Und schon hat er mich. Das wird kein übliches Formel-1-Interview; dem muss ich nix aus der Nase ziehen. Un plaisir! Leider nur kurz: "Zehn Minuten! Pierre muss weiter!" Mahh, Pressedamen sind manchmal Spaßbremsen.

Pierre Gasly: ein lässiger Typ

— Pierre, was waren die größten Herausforderungen als Rookie in deiner ersten Formel-1-Saison?

Pierre Gasly: Die ganze Saison war bis jetzt ein einziger Lernprozess. Mit so vielen neuen Herausforderungen: Darunter mein erster Heim-Grand-Prix in Frankreich, auch Österreich das erste Mal in einem Formel-1-Auto. Außerdem hab ich kaum mehr eine Minute Zeit für mich. Permanent stehen Meetings, Briefings und Medien-Termine an, so wie mit dir jetzt. Das ist in den niedrigeren Rennserien viel einfacher.

— Was ist da einfacher?

Pierre Gasly: In der GP2 blieb mir immer Zeit: zum Plaudern mit Freunden, für ein Power Napping, auch zum Fußballspielen. Mittlerweile wird auch mein Energie-Management immer wichtiger. Früher hatte ich maximal 11 Rennen im Jahr, heuer sind es 21. Dazu kommen noch jede Menge Flugreisen und Sponsoren-Termine. Mein Glück, dass ich erfahrene Trainer um mich habe, die mich coachen.

— Wie geht es dir mit dem Erlernen neuer Strecken?

Pierre Gasly: Einige Strecken wie den Red Bull Ring kannte ich aus meiner GP2-Zeit. Australien kannte ich nicht. Singapur könnte für mich interessant werden, auch für unser Auto: ein sehr technischer Kurs und durch das feucht-heiße Klima physisch sehr fordernd. Als Vorbereitung werde ich die Tage davor warm angezogen in der Sauna trainieren (lacht). Schon am Layout der Strecke kann ich erkennen, dass ich diesen Kurs mag. Ich muss nur zwischen den vielen Kurven einen Rhythmus finden. Zum Glück lerne ich schnell.

– Bist du vielleicht auch deshalb in Bahrain sensationeller Vierter geworden?

Pierre Gasly: Kann sein. Es war unglaublich. Dieser vierte Platz fühlte sich an wie ein Sieg. Es war auch das beste Resultat für Honda seit langem. Die japanischen Ingenieure waren total happy. Mit McLaren waren sie nur einmal Fünfter. Ich hätte mir so ein Resultat nach nur zwei Saisonrennen ­niemals erwartet. Es gab nur leider keine Party danach. Bahrain eben. Nach dem Rennen bin ich auf mein Zimmer gegangen, hatte 30 Minuten für mich und musste schon wieder zum Flughafen hetzen. Aber vor dem China-Grand-Prix konnte ich zwei Tage in Dubai ausspannen. Erst da konnte ich das Erlebte so richtig begreifen. 

– Du bist in einer Familie von Motorsport-Enthusiasten aufgewachsen. Kannst du uns einen Einblick in diese Zeit geben?

Pierre Gasly: Als ich zwei Jahre alt war, hat mich meine Mama in einem Baby-Kart immer zu den Kart-Rennen mitgenommen, wo wir meine drei Brüder an­gefeuert haben. Sie haben immer wieder Pokale gewonnen und ich war neidisch, wollte unbedingt auch so ein Ding haben. Mit drei Jahren hab ich meinen ersten Pokal gewonnen – endlich. Total kurios: Ich fuhr in diesem Baby-Kart. Mein Vater hat einfach die Reifen meiner Brüder drauf gesteckt und ich bin damit aufs Podium gefahren. Ich erinnere bis heute immer noch gerne an dieses Rennen in Cabourg in der Normandie. Damit nicht genug: In unserer Freizeit haben meine Brüder und ich bis zur Erschöpfung Mario Kart gespielt.

Bahrain: Der vierte Platz schmeckt wie ein Sieg

— Du hast angeblich auch Eishockey gespielt, nicht wahr?

Pierre Gasly: Das ist wahr! Mit fünf Jahren hab ich wirklich Eishockey gespielt. Mit 11 war ich dann völlig fußballverrückt. Motorsport war immer auch ein Thema, parallel zum Fußball bin ich Kart gefahren. Bis heute bin ich Fan von Paris Saint-Germain und von unserem Nationalhelden Zinédine Zidane.

– Motorsport heißt immer auch, von zu Hause weg zu sein, relativ jung irgendwo alleine zu leben. Wie war das für dich?

Pierre Gasly: Ich war 13, als ich von Rouen nach Le Mans gezogen bin. Dort hab ich studiert und konnte mich nebenbei dem Motorsport widmen. Einer meiner Professoren hat mir damals geholfen, mit der nicht ganz einfachen Situation fertig zu werden. Natürlich hab ich meine Familie stark vermisst, auch das abendliche Fernsehen in meinem Lieblings­sofa. Wir Studenten waren damals in einem alten Schloss untergebracht, wo es nur kaltes Wasser gab. Ich erinnere mich gern an diese Zeit zurück. Sie hat mir geholfen, unabhängig zu werden und mich als Person zu entwickeln.

— Apropos entwickeln. Gab es auch Motorsport-Idole für dich? Alain Prost zum Beispiel?

Pierre Gasly: Klar, Prost ist eine Legende. Aber wirklich bewundert habe ich nur Jules Bianchi. Mit ihm bin ich aufgewachsen. Wir waren sogar gemeinsam auf Urlaub. Und trotz des Altersunterschieds fuhren wir zusammen für ein französisches Rennteam. Aber leider… du weißt? 

— Ja, ich weiß – traurig. Empfindest du manchmal so etwas wie Wut?

Pierre Gasly: Wut? Nein. Das mit Jules war wahrscheinlich Bestimmung. Aber in Frankreich, beim ersten Heimrennen nach so vielen Jahren war ich richtig sauer. Ich hatte gleich am Anfang einen Zusammenstoß mit Esteban Ocon. Früher waren wir Freunde, heute sind wir nur noch Konkurrenten.

Lausbub im Lernjahr

— Du wolltest ja schon im Vorjahr in die Formel 1. Daraus ist dann nichts geworden, warum?

Pierre Gasly: Ich hab die GP2 gewonnen und gedacht, ich würde automatisch in die Formel 1 aufsteigen. Aber Red Bull hat mir gesagt: Du musst warten, du bist auf einem guten Platz, aber zur falschen Zeit. Das war sehr enttäuschend, ich war richtig niedergeschlagen. Ich hatte alles gegeben, hatte Erfolg und durfte jetzt nicht in die Formel 1. Das ist so, als ob du die zweite Liga im Fußball gewinnstund dann doch nicht aufsteigen darfst. Das gibt es nur im Motorsport.

— Sie haben dich dann nach Fernost geschickt.

Pierre Gasly: Ja, auf ein weiteres Lernjahr nach Japan. Dort bin ich dann die Super Formula gefahren. Das war schon toll, sogar faszinierend, denn ich konnte ein fremdes Land, eine völlig andere Kultur und Sprache kennenlernen. Ich habe nicht dauernd dort gelebt, bin immer vor den Rennen und Tests hinübergeflogen. Aber insgesamt war ich sicher mehr als zehn Wochen dort. Ich liebe Tokio, auch Nagoya, die Kultur; und erst das Essen! Nur Kyoto hab ich leider nicht gesehen. Am Ende wurde ich zweiter in der Serie.

— Warum nur Zweiter?

Pierre Gasly: Weil das letzte Rennen in Suzuka wegen eines Taifuns abgesagt wurde, habe ich die Serie um einen halben Punkt verloren. Das war echt sch…

— Aber irgendwie hat es mit der Formel 1 ja doch geklappt. Wann und wie war das erste Mal?

Pierre Gasly: Das war im Mai 2015 bei den Testtagen in Barcelona. Ein Tag im Toro Rosso und ein Tag im Red Bull. Ein Traum! Du sitzt im Auto vor dem ersten Rausfahren und wartest und wartest. Um dich herum nur hektische Mechaniker und Ingenieure. Dann die Freigabe und du realisierst: Okay, jetzt ist es soweit! Für ­einen 19-Jährigen ein unglaublich emotionaler Moment. Und dann erlebst du diese brachiale Beschleunigung. Aber noch in der ersten Runde hab ich gewusst: Das ist mein Ding.

Schicksal eines B-Teams: Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost muss den talentierten Franzosen ziehen lassen.

— Frankreich drängt wieder massiv in die Formel 1. Es gibt wieder einen Grand Prix von Frankreich und vier französische Piloten, den Monegassen Leclerc mit­gerechnet. Wo glaubst du, könnte dein Platz in der Geschichte sein?

Pierre Gasly: Ich werde Erster sein, Weltmeister! Das ist ganz klar mein Ziel. Meine Konkurrenten sind harte Typen, also werde ich 200 Prozent geben müssen (grinst).

— Weltmeister, in einem Toro Rosso? Wie soll das gehen?

Pierre Gasly: Schon richtig. Aber gib mir Zeit. Du wirst sehen, ich werde Weltmeister, egal in welchem Team!

Und schon bald nach diesem Gespräch gibt Daniel Ricciardo bekannt, dass er Red Bull Racing verlassen wird. Die Silly Season ist eröffnet. Und plötzlich ist ein Top-Cockpit frei. Die Entscheidung fällt – wenig überraschend – auf Pierre Gasly. Er erfährt es telefonisch, durch Helmut Marko in der Früh: "Ich war noch in der Unterhose. Ein Wow-Moment!" Danach springt Pierre in den Pool, sucht nach Abkühlung. Denn schon bald gilt es zu beweisen, was er so goschert heraus geplappert hat. Genau, die Sache mit dem Weltmeister-Werden.