Gallien, völlig gaga

 Monster-Party und PS-Spektakel bei der FIA-Rallycross-Weltmeisterschaft in der Bretagne. Auch zwei österreichische Privatteams mischen heuer kräftig mit.

Ein kleines Dorf in Gallien. Lohéac in der Bretagne: 658 Einwohner, ein paar alte Steinhäuser, beschaulich. Die Kirche ist mit Blumen geschmückt. Im Bistro in der malerisch-morbiden Rue de la Poste werden frische Kräuter gehackt. Im Hotel Les Relais des Arcandiers freut man sich über ein volles Haus. Der Briefträger ist heute auch schon wieder früher fertig. Und auf den Weiden liegt das Fleckvieh wiederkäuend und faul in der Herbstsonne.

Bis ohrenbetäubender Lärm die Idylle zerreißt: zwei Mirage-Kampfflieger im Tiefflug. Showprogramm für das Highlight des Jahres. Immer am ersten September-Wochenende, wenn 80.000 Motorsport-verrückte Franzosen anreisen: in Campern, mit Körben voll knuspriger Baguettes und Unmengen Cidre, dem bretonischen Nationalgetränk. Ihr Ziel ist der 1.070 Meter lange Rundkurs am Ortsrand von Lohéac, wo sich die weltbesten Rally­crosser treffen. 60% Asphalt und 40% Schotter ist das Geläuf. So spektakulär wie die Stars: darunter der 9-fache Rallye-Weltmeister Sébastian Loeb auf Peugeot 208, der Norweger Petter Solberg im VW Polo oder der Schwede Mattias Ekström auf Audi S1. Und last but not least der Video-Hero aller Drift-Freaks, der Amerikaner Ken Block auf Ford Focus RS.

Schnittig & schmutzig

Rallycross ist die einzige Disziplin, wo Sportwagen- und Rallyepiloten chancengleich gegeneinander fahren“, weiß Manfred Stohl, einst Österreichs Gruppe-N-Weltmeister, heute Chef seines STARD-Teams. Mit Vorteilen für die Rundstreckenpiloten. Denn sie sind gewohnt, den Überblick im Positionskampf zu bewahren. Und noch ein rot-weiß-rotes Team mischt mit: das Team des aktuellen österreichischen Rallycross-Meisters Max Pucher. Teamchef ist auch kein Unbekannter: Jürgen Weiss, mehrfacher Staatsmeister. Und sein Team ist sehr erfolgreich: Stellt mit dem 2-fachen DTM-Champion Timo Scheider auch den besten Privatfahrer der laufenden Rallycross-Weltmeisterschaft. Timo Scheider, Schwiegersohn des Schistars und Schlagerbarden Hansi Hinterseer, wohnt am Bodensee, geht also gerade noch als Halbösterreicher durch.


Rallycross-WM in Lohéac



“In Lohéac wurde ich entjungfert“, grinst Timo. „Hier bin ich das erste Mal einen Rallycross-Fiesta gefahren.“ Anfängliche Schwierigkeiten, das Auto schon vor der Kurve in Rotation zu bringen und ums Eck zu schmeißen, hat er überwunden. Auf der Rundstrecke fahren wir auf den Zentimeter genau die Linie, im Rallycross bist Du auf einmal irgendwo. Auch an das Drehmoment von 900 Nm hat er sich gewöhnt. Ein Rallycross-Auto beschleunigt in 2 Sekunden von Null auf hundert. Um eine Sekunde schneller als die DTM-Autos. Und an die Joker-Lap, den selektiven Umweg mit Sprung, den jeder Pilot einmal pro Rennen fahren muss. Wann, das wird ihm vom Taktik-Spotter ins Ohr gefunkt.

Two and a Half Austrians

Auch in Lohéac führt der Sieg nur über das werksunterstützte VW-Team von Petter Solberg. Er und sein junger Teamkollege, der baumlange Schwede Johan Kristofferson, haben den Leistungs-Level der Serie angehoben. Doch am ersten Tag führt überraschend Sébastian Loeb, getrieben vom frenetischen Jubel der französischen Fans. Solberg weiß: "Sébastian war bei den Tourenwagen frustriert. Also hab ich ihn angerufen und zum Rallycross geholt.“

Rallycross ist leicht konsumierbar: kurze Quali-Vorläufe von fünf Runden, Halbfinale und Finale über sechs Runden. Die Fahrer haben drei Chancen, WM-Punkte zu sammeln: Der Beste der Qualifikation 16 Punkte, die Sieger der Halbfinalläufe erhalten je 6 Punkte und im Finale warten auf den 1. Platz nochmals 8 Punkte. Sprich, maximal 30 Punkte pro Rennwochenende. Johan Kristofferson gelang das Kunststück maximaler Punkte heuer schon zum vierten Mal. Den WM-Titel hat er schon vorzeitig eingefahren.

Lohéac: Ein gallisches Dorf

In Zukunft elektrisch? „Ja, ab 2020, die FIA will es so!“, schmunzelt Petter Solberg. „Rallycross ist ein Sport mit viel Action, da könnte der fehlende Sound nicht ins Gewicht fallen. Gut möglich, dass wir eines Tages sogar elektrische Vorzeige-Disziplin werden.“ Erdgas-Pionier Manfred Stohl – privat begeisterter Kia-Soul-Besitzer – hat seinen Elektro-Rallycrossboliden schon fertig. Und Max Pucher baut erst einmal den Kurs in Fuglau EM-tauglich um. Aber was nützen all die Innovationen und Investitionen, wenn das Wichtigste fehlt: ein österreichischer Fahrer! 

Petter Solberg: Mister Hollywood im Talk

— Was ist an dem Lauf in Lohéac so besonders?

Solberg: So viele Zuschauer in dieser abgelegenen Gegend. Ich liebe die Atmosphäre hier in der Bretagne. Hier habe ich entscheidende Siege für meine Weltmeisterschaften eingefahren.

— Wie fühlen Sie sich als einziger Weltmeister in zwei verschiedenen FIA-Bewerben?

Solberg: Fantastisch! Obwohl, der Rallye-Titel 2003 war die Grundlage für alles, was ich heute bin und besitze. Ich fuhr in einem Werksteam mit 250 Leuten um mich herum. Danach baute ich mein eigenes Team auf und mein Auto. Anfangs waren wir nur 15 Leute.

— Warum nennt man sie Mister Hollywood?

Solberg: Das hat mit meinen Emotionen zu tun: Manchmal fühle ich mich total mies, dann könnte ich wieder fliegen. Emotionen sind das was mein Leben ausmacht. Nur eines bin ich im Rennsport nie gewesen: richtig wütend. Und ich brauche auch den Kontakt zu den Fans suche.

— Wie war die Umstellung auf Rallycross?

Solberg: Ich kannte Rallycross von früher. Trotzdem war die Umstellung vom Rallyesport gewaltig. Vor allem das Fahren Mann gegen Mann. Aber ich habe mich auf das Wesentliche konzentriert: guter Start, schnelle Rundenzeiten. Und raushalten aus allem, was mir Schwierigkeiten bereiten könnte. Irgendwann hab ich Sébas­tian Loeb angerufen und gesagt: Hej, komm zu uns! Rallycross ist sicher toll für Dich.

Solberg ruft, Loeb kommt

— Euer Team ist so dominant, wird Rallycross bald so eintönig wie die Formel 1??

Solberg: Da habe ich keine Angst. Rallycross ist ein völlig anderer Sport als die Formel 1. Hier brauchst Du viel mehr Taktik, Strategie und viel geschicktere Fahrer. Nur ein wenig zu viel Kampf oder Berührungen mit den Konkurrenten und du verlierst schon Zeit. Johan Kristofferson und ich ergänzen uns in dieser Hinsicht ideal. Und noch ein Unterschied zur Formel 1: Johann Kristofferson und ich sind Rivalen, aber auch Freunde.

— Haben Sie jemals darüber nachgedacht, der erste Weltmeister in einem elektrischen WRX-Auto zu sein?

Solberg: Ja, das wird in Zukunft auf uns zu kommen. Die FIA will es so und wir alle treiben die Entwicklung voran. Rallycross ist ein Sport mit viel Action, da könnte der fehlende Sound nicht so ins Gewicht fallen. Gut möglich, dass wir eines Tages sogar elektrische Vorzeige-Disziplin werden.

— Ihre Frau und Sie stammen aus Familien von Motorsportlern. Wie würden Sie reagieren, wenn ihr Sohn eines Tages das auch Rennen fahren will?

Solberg: Das ist bereits passiert. Mein Sohn fährt schon Rennen. Er ist fünfzehn, ist an zweiter Stelle in der nordeuropäischen Rallycross-Meisterschaft, in meinem Vorjahres-Auto.

— Man erzählt sich sie hätten eine Weihnachtsparty für ein Altersheim gespendet. Wer ist der private Petter Solberg?

Solberg: Ich arbeite die ganze Zeit über, jage meinen Träume nach. Aber bin auch Familienmensch. Daher unterstütze die Krebshilfe, aber auch Altersheime. Manchmal wünschen sich die alten Leute nur ein richtiges Weihnachts-Essen und ein wenig Alkohol. Das sind kleine Wünsche die ich gerne erfülle.

— Sie haben Maler und Tapezierer gelernt. Tun sie diese Arbeit manchmal noch?

Solberg: Ja, vor kurzem erst, daheim. Mein Sohn wollte nicht glauben, dass ich es kann. Und so hab ich es ihm bewiesen und das Wohnzimmer neu tapeziert.

http://www.fiaworldrallycross.com

Johan Kristofferson: Rallycross-Weltmeister 2017

Steckbrief Johan Kristofferson

Johan David Kristoffersson ist am 6. Dezember 1988 in Arvika in Schweden geboren. Er ist ein schwedischer Autorennfahrer mit dänischen Wurzeln. Er gewann 2012 die Scandinavian Touring Car Championship (STCC), den skandinavischen Porsche Carrera Cup sowie die Superstars Series. Er ist der Sohn des ehemaligen Rennfahrers Tommy Kristoffersson, der in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren als Audi-quattro- und Audi-Coupé-S2-Pilot in der Rallycross-Europameisterschaft erfolgreich war, bevor er zur STCC wechselte. 

Johan Kristofferson wurde nach dem Rallycross-Event in Riga in Litauen bereits vorzeitig Rallycross-Weltmeister 2017.

Mehr Infos auf Facebook unter: https://de-de.facebook.com/johankristoffersson88/