Vollgas gegen Vorurteile

Männerdomäne Motorsport: Warum immer noch so wenige Frauen Rennen fahren, sie in der Formel 1 ganz fehlen und was passieren muss, damit sich das ändert.

Zwar war es "nur" ein halber Punkt, doch der katapultierte sie in die Geschichtsbücher. Als der Große Preis von Spanien 1975 aufgrund eines tragischen Unfalls mit vier Todesopfern abgebrochen werden musste, fuhr die italienische Rennfahrerin Lella ­Lombardi als Sechste über die Ziellinie. Sie wurde die erste Frau, die in der Formel-1-Weltmeisterschaft punktete – und ist bis heute noch die einzige. Dabei dürften Frauen auch heute in der Formel 1 gemeinsam mit den Männern fahren. Doch das ist nicht der Fall. Warum?


Viele Fans, wenig Fahrerinnen

Motorsport ist Männersache. Der Gesamt­­anteil der Frauen in allen Motorsportkategorien beträgt lediglich um die 10 %. Das zeigt eine Studie von "More than Equal", ein Programm, das junge Rennfahrerinnen fördert. Dementsprechend gering ist die Chance, auf ein Ausnahmetalent zu stoßen.

"Frauen interessiert das halt nicht." Zu simpel gedacht. Laut der Global F1 Fan Survey haben sich die weiblichen F1-Fans von 2017 bis 2021 mit einer Gesamtzahl von 18,3 % sogar verdoppelt.


Keine Sache des Körpers

Dr. Riccardo Ceccarelli ist Sportmediziner und Gründer von Formula Medicine, einem Unternehmen, das Spitzensportler:innen körperlich und mental unterstützt. Er hat mit Fahrern und Fahrerinnen motorsportbezogene physische und psychische Tests durchgeführt. "Einen Leistungsunterschied konnten wir nicht feststellen", erzählt er. Wie ist es dann zu erklären, dass Mädchen im Kart mit den Burschen mithalten können, die Leistung aber in höheren Serien abfällt?

"Vielleicht liegt es an dem veränderten Hormonspiegel nach der Pubertät. Männer werden durch Testosteron risiko­bereiter, Frauen ticken durch Ös­trogen tendenziell konservativer. Eventuell fehlt deshalb das letzte Zehntel zur Bestzeit. Aber das ist nur eine Theorie."

Um valide Aussagen zu treffen, braucht es mehr und genauere Daten zur Leistungsfähigkeit von Frauen. Die gibt es aber nicht. So oder so ist sich der Motorsportarzt sicher: "Mit dem rich­­­­tigen Training und ausreichend Unterstützung kann jede körperliche oder mentale Grenze verschoben werden."


Problem Rollenbild

Warum die Fahrerinnen in der Formel 1 fehlen, hat also nur wenig mit physischen Unterschieden zu tun. "Der moderne Sport baut von seinen historischen Wurzeln her auf einer ­starken Geschlechtertrennung auf und basiert auf männlichen Werten", sagt Petra Sturm, Journalistin, Historikerin und Herausgeberin des Sammelbandes "Sport und Feminismus". "Mit Resten dieses Denkens sind Sportlerinnen bis heute konfrontiert", sagt sie. Im Motorsport treffen zwei männlich besetzte Themen aufeinander: Autos und Sport. Daher fällt es hier umso schwerer, traditionelle Männlichkeitsbilder abzulegen.

Auch werden Fahrerinnen seltener ernst genommen. Die österreichische Rennfahrerin Emma Felbermayr erzählt, dass es Burschen schlimmer finden, von Mädchen überholt zu werden als von der männlichen Konkurrenz. In einem solchen Umfeld ist es für Frauen entsprechend schwieriger, sich zugehörig zu fühlen und in der Folge durchzusetzen. Das hat auch finanzielle Folgen.


Ohne Geld kein Cockpit

Um im Motorsport zu reüssieren, sind Sponsoren nötig. Und die entscheiden sich deutlich häufiger, Männer zu unterstützen. Eine zu dem Thema befragte Mutter einer Rennfahrerin berichtet, dass ihrer Tochter kein Erfolg zugetraut wurde, weil es in den letzten Jahren nie Frauen an der Spitze gab. "Fehlende ­finanzielle Unterstützung ist eines der größten Hindernisse für die weibliche Beteiligung. Daher sind Programme wie die F1 Academy so wichtig", sagt Sturm.

Die F1 Academy ist eine Rennserie ­exklusiv für Frauen, die von Susie Wolff geleitet wird. Die Britin war 2015 die letzte Frau, die an einem Formel-1-­Wochenende als Fahrerin teilgenommen hat. Dieses Jahr fährt Emma Felbermayr als erste Österreicherin in der F1 Academy mit. Und beim Förderprogramm "More than Equal" findet sich mit Ivonn Simeonova auch eine ­Österreicherin. Es gibt also bereits ­Initiativen. Der Frauen-im-Motorsport-Stein rollt schon.


Vorbilder fehlen

Diese Programme helfen nicht nur den aktuellen Fahrerinnen, sondern bieten auch einer jüngeren Generation Platz zum Identifizieren. "Frauen waren im Motorsport jahrzehntelang hauptsächlich als schmückendes, knapp bekleidetes Beiwerk präsent. Vorbilder sind wichtig, um eingefahrene, historisch gewachsene Rollenklischees und Gender­stereotype aufzubrechen", sagt etwa ­Petra Sturm. Auch Sportarzt Riccardo ­Ceccarelli meint: "Wir brauchen eine Frau in der Formel 1, um Mädchen zu zeigen, dass sie das auch können."


Aufstiegshürden

Wie groß die Herausforderung ist, zeigt eine Berechnung in der Studie von "More than Equal": Um ein Formel-1-Fahrerfeld zu erreichen, das zu ­gleichen Teilen aus Frauen und Männern besteht, müssten Frauen in den unteren Motorsportserien mit einem Anteil von 84 % überrepräsentiert sein. Der Grund dafür liegt in der schwächeren Performance der Fahrerinnen, die "More than Equal" auf die bereits erwähnten ­zusätzlichen Hürden für Frauen zurückführt.

It’s a man’s world

Trotz des halben Punktes schaffte Lella Lombardi nie den Durchbruch. Ihr letztes Formel-1-Rennen bestritt sie 1976 am heutigen Red Bull Ring. Bis wir dort das nächste Mal eine Frau im Starterfeld der Formel 1 sehen, wird der Stein noch viele Jahre rollen müssen.

Immerhin: Ein wenig an Fahrt hat dieser bereits aufgenommen – dank Programmen wie F1 Academy und ­„More than Equal“.