Unsere Daten sind ganz schön wertvoll

Viktor Mayer-Schönberger, Big Data-Experte an der Universität Oxford, über die Daten, die von modernen Autos produziert werden.

Alle reden von selbstfahrenden Autos und von smarten Algorithmen, die das möglich machen. Tesla ist an der Börse schon mehr wert als die größten amerikanischen Autohersteller. Google, der andere Star selbstfahrender Autos, machte 2016 über 20 Milliarden Euro Gewinn.

Aber bei all dem Hype verkennt man leicht, worum es wirklich geht. Denn selbstfahrende Autos gibt es nicht wegen der tollen Algorithmen (also der Regeln, die selbstfahrende Autos steuern) oder der beeindruckenden Sensoren wegen (obwohl die ziemlich gut sind). Nein, selbstfahrende Autos gibt es, weil unglaublich viele Daten beim Autofahren gesammelt werden. Beim ­Google-Auto sollen es über eine Milliarde Datenpunkte (Anm.: Ein Datenpunkt ist eine einzelne Zahl, mehrere Datenpunkte sind Daten) pro Sekunde sein, aber auch beim Pkw von der Stange sind es ganz schön viele: von Position und Geschwindigkeit über das Auslösen des abs-Systems und den Verbrauch bis hin (wie jüngst aufgedeckt) zur persönlichen Musikauswahl.

Aus vielen dieser Daten „lernen“ die selbstfahrenden Autos ihre Algorithmen und damit ihr Fahren zu verbessern. Nicht die mathematischen Formeln also sind super, sondern die Fahr-Erfahrung macht’s! Und die ist in den gesammelten Fahrdaten enthalten. Einmal mehr triumphieren das Lernen, die Erfahrung und das Verstehen – wie eigentlich bei uns Menschen schon seit Jahrtausenden, auch wenn wir es nicht immer glauben wollen.

Sieben kritische Fragen an Viktor Mayer-Schönberger




Die Daten verbessern den Autopiloten – und fast schon alchemistisch wird beim Tesla das Selbstfahren besser, je mehr andere Teslas im Autopiloten-Modus fahren. Denn genau das sammelt Daten, und die erlauben zu lernen, und der so verbesserte Algorithmus wird über Nacht mittels Update ins Auto geladen. Wann haben Sie zuletzt Ihren Fahrstil verbessert, weil andere mit dem Auto gefahren sind?

Weitere Autohersteller werden schnell nachziehen. Zu verlockend ist die Möglichkeit der Verbesserung und Fehlerbehebung nur durch Software und ohne Werkstattbesuch. Aber besseres Selbstfahren der Autos ist nur einer von vielen möglichen Nutzen, die Fahrdaten bieten. Hersteller können Baufehler früher erkennen und Reparaturen anregen, noch bevor das problematische Teil im Auto tatsächlich kaputtgeht. Was unter „vorbeugender Wartung“ bei Flugzeugtriebwerken schon seit einem Jahrzehnt Routine ist, hat nun auch die Autoflotten erreicht.

Wann haben Sie zuletzt Ihren Fahrstil verbessert, weil andere mit dem Auto gefahren sind?

Viktor Mayer-Schönberger, Big Data-Experte

Aus den Daten lässt sich aber noch sehr viel mehr machen, etwa häufige Fahrfehler erkennen. Damit wären sogar individuelle Fahrtrainings möglich, die sich genau meiner Fahrfehler annehmen. Aus den Daten ließen sich auch gefährliche Straßenabschnitte bei bestimmten Witterungsbedingungen optimal erkennen und dann gezielt entschärfen – noch bevor ein schwerer Unfall passiert und wieder mit einer simplen, pauschalen Geschwindigkeitsbegrenzung darauf reagiert wird. Und diese Daten könnten auch verwendet werden, um das Verkehrsaufkommen noch viel besser und genauer vorhersagen zu können.

Schon viele der heutigen Autos sind keine Mobilitäts-, sondern Datensammelplattformen mit Dutzenden von Sensoren und einem Netzwerk an Computern und immer öfter auch drahtloser Datenübertragung.

Aber wenn sich so viel Nutzen aus diesen Daten schöpfen lässt, die wir mit unseren Autos täglich sammeln, bleibt eine grundsätzliche Frage im Raum stehen: Wie viel dieses Mehrwerts erhalten wir Autofahrer eigentlich dafür? Wenig. Selbst bei Google gibt’s mehr fürs Geld, pardon, für die Daten; denn dort bekommt man immerhin gratis Antwort auf eine Suchanfrage oder ein kostenloses E-Mail-Konto. Das muss sich ändern – gerade weil die Daten immer wertvoller werden und immer vielfältigeren Nutzen schaffen. Dabei geht es nicht um die theoretische Diskussion zum Eigentum an Daten (das gibt’s eigentlich nicht), sondern um die ganz praktische Frage, wer sich den aus den Daten geschöpften Gewinn einstreichen darf. Hier werden die Autohersteller noch beträchtlich dazulernen müssen – und schnell. Denn seit Internet und Smartphones verstehen wir alle, dass Daten wie Geld sind: Wer Daten hergibt, möchte auch Leistung zurückbekommen. Passiert das nicht, dann werden (auch mithilfe entsprechender Gesetze) immer mehr von uns den Datenfluss unserer Autos einfach abdrehen. Und davon hätte niemand etwas. Gerade die Frage nach der Datenhoheit verkörpert den Paradigmenwechsel in der Mobilität. Es muss sichergestellt sein, dass die Konsumenten selbst von den von ihnen generierten Daten profitieren – und nicht nur Politik und Fahrzeughersteller.

Über den Autor

Viktor Mayer-Schönberger, geboren in Zell am See, hielt die Keynote anlässlich der Verleihung des Marcus-Autopreises des ÖAMTC. Er ist Professor am Oxford Internet Institut der Universität Oxford; davor war er ein Jahrzehnt Professor an der Universität Harvard. Mit 20 gründete er seine erste Softwarefirma und berät heute weltweit Unternehmen und Organisationen.

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