Saskia Jungnikl

In ihrem beeindruckenden Debüt-Roman behandelt die burgenländische Wahl-Hamburgerin Saskia Jungnikl das nach wie vor heikle Tabuthema Suizid. Im Interview erzählt sie, warum an ihrem schlimmsten Tag die Welt dennoch nicht unterging.

Ihre Auseinandersetzung mit dem Freitod des geliebten Vaters ist fraglos eines der beeindruckendsten Buchdebüts einer österreichischen Autorin in den letzten Jahren: Der Roman "Papa hat sich erschossen" ist entwaffnend ehrlich, stellenweise schmerzhaft intim, durchwegs herzzerreißend, trotz der heiklen Thematik aber voll Hoffnung und Optimismus. Wir haben Saskia Jungnikl in einer Hafenkneipe ihrer neuen Wahlheimat Hamburg zum Gespräch getroffen.

— War das Thema Selbstmord vor dem Suizid deines Vaters für dich relevant?

Saskia Jungnikl:Nein. Eigentlich hatte ich bis dahin gar nie darüber nachgedacht. Natürlich, in der Pubertät hat man so Phasen, wo man sich überlegt, was wäre, wenn man plötzlich nicht mehr da ist. Ich glaube aber: Selbst wenn ich eine Einstellung dazu gehabt hätte, wäre sie an diesem 6. Juli 2008, dem Tag, an dem sich mein Papa getötet hat, ohnehin komplett gelöscht worden. 




Wenn man das Ausmaß der Tragödie nicht mehr begreifen kann, muss man manchmal herzlich lachen






Saskia Jungnikl, Autorin


— Du hast letztens in deinem Internet-Blog geschrieben: "Es geht mir gut". Stört es dich, wenn du in der Öffentlichkeit als deprimierte junge Frau wahrgenommen wirst?

Saskia Jungnikl: Ist das so? Wenn ich auf Fotos so wirke, dann weil ich beim Versuch, ernst zu schauen, immer traurig aussehe. Das sollte ich mir abgewöhnen. (lacht) Aber es ist schwierig, weil mich die Menschen, die mein Buch lesen, halt so sehen, wie ich vor sieben Jahren war. Wenn ich jetzt Reaktionen wie "Sie müssen wieder leben!" bekomme, dann kann ich nur sagen: Das tu ich! Ich stehe in meinem Leben heute an einem ganz anderen Punkt, und wer das Buch bis zum Ende liest, wird bemerken, dass es nicht in einer Depression endet. (lacht)

— Du kannst über das Thema scherzen?

Saskia Jungnikl: Natürlich! Das ist auch etwas, das wir in der Familie oft gemacht haben. Wenn man das Ausmaß der Tragödie nicht mehr begreifen kann, muss man manchmal herzlich lachen.

— Wenn du zurück ins Burgenland kommst, ist dann euer Haus, vor dem sich dein Vater das Leben genommen hat, für dich noch dein Heimathaus oder der Platz, wo "es" passiert ist?

SASKIA JUNGNIKL: Es geschieht nur mehr selten, dass ich bewusst zu dieser Stelle hinschaue und daran denke. Das Leben dort geht ja weiter. Aber es stimmt schon, es ist einerseits dieses glückliches Zuhause, das ich dort als Kind hatte, andererseits aber auch jener Ort, an dem das Schlimmste passiert ist, das ich je erlebt habe.

— Du bist vom Burgenland nach Hamburg gezogen. Eine Flucht?

Saskia Jungnikl: Nein. Ich wollte immer schon einmal außerhalb Österreichs wohnen. Und als ich erwachsen wurde, starb einer meiner Brüder. Da kannst du die Familie nicht hängen lassen. Ein paar Jahre später hat sich Papa erschossen. Da sind wir wieder zusammen gerückt. Und jetzt war halt irgendwie die Befreiung da, mein Leben so zu leben, wie ich es mir vorstelle. Mein Umzug nach Hamburg war also keine Flucht, sondern ich habe mir diesen Traum nun einfach gegönnt. 

— Was magst du an Hamburg?

Saskia Jungnikl: Das Wasser, den Hafen, die Weite, das Grüne. Das Kommen und Gehen der Menschen, das eine Hafenstadt auszeichnet. 

– Was ist Dir durch den Kopf gegangen, als Du von der Germanwings-Tragödie gehört hast?

Saskia Jungnikl:Zuerst war ich natürlich geschockt, auch weil ich zwischen Hamburg und Wien dauernd mit dieser Fluglinie unterwegs bin. Ich sehe die Tat des Piloten nicht als Suizid, sondern als Selbstmord-Attentat. Der war auch Sportflieger, und wenn es ihm darum gegangen wäre, dort zu sterben, wo er am liebsten war, nämlich in der Luft, dann hätte er auch mit einem Segelflugzeug allein gegen einen Berg fliegen können. So bleibt es Massenmord. Mir tun die Angehörigen der Opfer sehr leid, aber auch die Familie des Piloten. Deren Leben kann man sich jetzt vermutlich gar nicht vorstellen.




Okay, Papa ist tot, er hat das so entschieden. Und ich entscheide jetzt, dass ich weiterlebe. Und zwar glücklich






Saskia Jungnikl, Autorin


– Warum ist das Thema Suizid noch immer so ein Tabu?

SASKIA JUNGNIKL: Einerseits weil Österreich ein katholisches Land ist und Selbstmord von der Kirche nach wie vor als Sünde gesehen wird. Das hat die Menschen geprägt, vor allem auf dem Land. Bis in die Achtzigerjahre gab es für Selbstmörder kein kirchliches Begräbnis, da wurden Familienangehörige schnell zu Außenseitern. Es ist nur logisch, dass man dann nicht darüber spricht, was wirklich passiert ist. Und zweitens: Wir alle wollen leben. Und wir gehen davon aus, dass alle Menschen im Umfeld das auch wollen. Wenn sich jemand tötet, stößt uns das total vor den Kopf. Es dreht das gesamte Lebenserhaltungsprinzip um, und das macht uns Angst. Alles, was Menschen Angst macht, ist etwas, worüber man nicht gern redet und wird zum Tabu.

— Wann kam eigentlich der Zeitpunkt, ab dem es für dich wieder bergauf ging?

SASKIA JUNGNIKL: Ein Jahr nach Papas Tod hat mich mein Freund verlassen, da bin zuerst einmal völlig zerbrochen. Ich erinnere mich, dass ich im Bett liege, das Morgenlicht durch die Jalousien sehe und nicht mehr aufstehen will. Ich bin vier Tage im Bett geblieben, ohne zu essen. Irgendwann hat mir vom Liegen alles weh getan und ich bin zur Mama ins Burgenland gefahren. Danach habe ich nur getan, was ich wollte, bin mit mir und anderen ziemlich rücksichtslos umgegangen: viele Freunde, viel getrunken und so. Irgendwann hat mir eine Freundin dann gesagt "Jetzt reicht's!" und mir gehörig den Kopf gewaschen. Ab dem Moment ging es bergauf. Da habe ich beschlossen: Okay, Papa ist tot, er hat das so entschieden. Und ich entscheide jetzt, dass ich weiterlebe. Und zwar glücklich.

— Deine Geschichte würde sich hervorragend für eine behutsame Verfilmung eignen…

SASKIA JUNGNIKL: Ich arbeite gerade mit dem Regisseur Wolfgang Murnberger, der unter anderem die Wolf-Haas-Bücher verfilmt hat, an einem Drehbuch. Wichtig ist mir, dass das keine seichte Hauptabend-Schmonzette mit vielen Tränen und ewig langen Kameraeinstellungen wird. Ich habe das nämlich ganz anders erlebt. Der Tod ist laut, weil er dir brutal ins Leben knallt. Da schaut man einander nicht lange in die Augen, sondern ist verzweifelt und brüllt. Es wird wohl ein etwas anderer Film. (lacht) 




Ich denke mir, mein Papa konnte durch seinen Tod noch helfen. Er war nicht vergebens, und das ist irgendwie ein wunderschöner Gedanke






Saskia Jungnikl, Autorin


— Deinem Buch ging ein Artikel von dir in der Tageszeitung "Der Standard" voran, der unzählige Reaktionen hervorrief. Haben dich Menschen kontaktiert, die selbst an Suizid dachten und durch deine Geschichte Hilfe fanden?

SASKIA JUNGNIKL:Das sind sogar ein Drittel aller, die mir schreiben. Die sagen, dass sie noch nie nachgedacht haben, wie es ihren Angehörigen gehen würde, und die sich nun Hilfe holen. Suizid und auch der Tod an sich sind ein Tabu. Jemanden zu verlieren ist eines der schwersten Dinge überhaupt und ich will zeigen, dass es in Ordnung ist zu trauern und es wichtig ist, dass darüber geredet werden kann. Ich denke mir, mein Papa konnte durch seinen Tod noch helfen. Er war nicht vergebens, und das ist irgendwie ein wunderschöner Gedanke.

"Papa hat sich erschossen" von Saskia Jungnikl ist im Herbst 2014 im S. Fischer-Verlag erschienen und im Handel erhältlich. Bestellt werden kann es auf der Website des Verlags, bei Amazon (auch für den Kindle) oder Thalia. Vorangegangen ist dem Buch ein gleichnamiger Artikel, der im März 2013 in der österreichischen Tageszeitung DER STANDARD veröffentlicht wurde und online hier nachzulesen ist.