Sprinten, aber senkrecht

Tobi Plangger ist im Speedklettern die große Hoffnung für die Olympischen Spiele 2024. Mit Eigeninitiative und Disziplin gibt der 21-jährige Tiroler alles. Ganz nebenbei ist er aktuell in "Ninja Warrior Germany Allstars 2022" in RTL in Kürze im Finale zu sehen.
 

Wir stehen im Kletterzentrum Innsbruck, einem der größten Kletterzentren der Welt. Es ist lichtdurchflutet, weitläufig, einfach riesig.

Die Wände sind bis zu 17 Meter hoch und übersät mit Griffen in den buntesten Farben. Es wuselt, man hört Zurufe, das Klicken von Karabinern, heftiges Atmen, laute und leise Landungen auf Weichböden.

Vor turmhohen Fenstern leuchtet das helle Grün des Frühlings und in den Wolken verstecken sich die schneebedeckten Tiroler Gipfel.

Die Wand, an der wir stehen, hat große und kleine rote Griffe in genormten Abständen, ist 15 Meter hoch und hat 5 Grad Neigung. "Das waren knapp sechs Sekunden, das ist gut", lacht Tobias Plangger, der am Seil langsam herabgleitet.

In dieser atemberaubenden Zeit ist der erfolgreichste österreichische Speedkletterer mit seinen muskelbepackten Armen und Beinen nach oben gesprintet. Sein persönlicher Rekord im Training ist brandaktuell 5,52 Sekunden. Bei einem Wettkampf lag seine Bestzeit bei 5,81 Sekunden.

Der stille Tiroler mit dem herzlichen Lachen trainiert hier täglich für sein großes Ziel: die Olympischen Spiele 2024 in Paris – wenn Speedklettern als Einzeldisziplin erstmals olympisch sein wird.

NEUE PERSÖNLICHE BESTZEIT IM MÄRZ 2022


Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, dann agiere ich strikt nach Plan. Ich fuchse mich immer g'scheit rein und meist erreiche ich so meine Ziele.

Tobi Plangger, Speedkletterer

Total fokussiert im Wettkampf

— Dein bisher größter Erfolg war Rang fünf bei der Weltmeisterschaft in Moskau – wie hast du das geschafft?

TOBI PLANGGER: Drei Wochen vor der Kletter-WM hat es nicht gut ausgesehen. Ich habe zum Spaß drei Salti vom 10-Meter-Turm im Freibad gemacht und mir dabei die Rippen geprellt. Somit gab es kaum Trainings und Vorbereitungszeit. Aber bei der WM in Moskua hat es fürs Finale gereicht und ab da hat es einfach nur Spaß gemacht.

— Du kannst also abliefern, wenn es drauf ankommt?

TOBI PLANGGER: In meinen Wettkämpfen läuft es immer besser. Aber es braucht eine hohe Konzentrationsfähigkeit und viel Routine.

Ich konnte immer schnell klettern, war aber anfangs in Wettkämpfen fehleranfällig. Speedklettern ist Sprinten an der Wand, aber mit Hindernissen. Wenn man einen Griff nicht ideal erwischt, fällt man. Das ist besonders im Wettkampf herausfordernd, weil man voll ist mit Adrenalin. Das erhöht das Tempo und verändert Sprunghöhe und Griffpositionen. Der Körper muss während des Laufs ständig korrigieren. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man einen Griff verfehlt.

Hinzu kommen strategische Irritationen durch den Gegner, zum Beispiel, wenn dieser einen Lauf abbricht. Ich habe lange mit einer Mentaltrainierin gearbeitet, sie kennt mich, seit ich ein Kind war.

— Was konntest du verändern?

TOBI PLANGGER: Ich habe gelernt, mich voll zu konzentrieren und alles andere auszublenden. Den Gegner kann ich nicht beeinflussen, wenn er besser ist, ist er besser. Aber ich kann immer meine bestmögliche Leistung bringen.

Beim Start blickt man zuerst ins Publikum. Das hat mich früher nervös gemacht. Heute schaue ich nach oben ins Licht oder ich schließe die Augen. Dann sagt der Schiedsrichter: "At your marks!" Ich drehe mich um und stelle mir eine Linie vor. Wenn ich sie überschreite, gibt es nur noch mich und die Wand. Ab hier weiß ich genau, was ich zu tun habe.

Erster Zug, dann links – rechts – links – rechts – links doppelt – rechts – links doppelt – rechts – links – links. Jeder geht an der Wand seinen eigenen Weg. Ich wiederhole die Route im Kopf und warte auf das Startsignal. Das ist schwierig, weil da muss ich noch einmal raus aus meiner Bubble.

Der Schiedsrichter sagt: "Ready." Das heißt für mich Muskelspannung, Bauch einziehen, Becken nach hinten schieben. Beim ersten Piepser strecke ich den Körper, mit dem zweiten gehe ich nach hinten und beim dritten Piepser geht es los.

— Das klingt fast meditativ.

TOBI PLANGGER: Ja, in diesen Momenten bin ich total fokussiert. Ich visualisiere den Weg an der Wand sehr häufig. Vor allem an Tagen, an denen das Training sehr gut läuft. Ich sehe mir an, was ich genau gemacht habe. Nur zu denken, es war ein guter Tag, genügt nicht. Die Analyse der Videos und der Erinnerung im Körper und im Geist ist wichtig. So erkenne ich zum Beispiel, dass ich einen Tritt perfekt getroffen habe, also im exakt richtigen Winkel.

Klettern als Therapie

— Du hast mit vier Jahren zu klettern begonnen …

TOBI PLANGGER:  ... mit vier Jahren hatte ich einen gutartigen Tumor in der Hand. Dieser wurde zweimal operiert – die Narbe geht vom Handgelenk (er zeigt seine Hand, die Narbe schneidet tief ins linke Handgelenk) bis in die Handfläche, und eine zweite ist am Handrücken. Seither fehlt die Sehnenscheide und ich habe damals die linke Hand nicht mehr benutzt. Das Klettern war meine Therapie und bald meine größte Freude.

In der Jugend folgten die erste Wettkämpfe im Vorstieg und Bouldern. Das eine ist mit dem Seil, wechselnder Griffabfolge und man klettert bis auf 15 Meter Höhe, sofern man es schafft, denn die Route ist schwer. Bouldern ist ohne Seil und man klettert bis auf Absprunghöhe.

— Mit 16 hast du dich dann für Speedklettern entschieden. Warum?

TOBI PLANGGER: Speedklettern ist eine junge Disziplin. Wettkämpfe gibt es erst seit 2005, die genormte Route seit 2008. Speed hat viel mit Leichtathletik zu tun – es geht um Schnellkraft, Koordination mit fixer Griffabfolge, Techniktraining. Der Sport ist komplex. Die Geschwindigkeit zählt.

Mit Tokio wurde Speedklettern olympisch, aber nur als Teil aller drei Kletter-Disziplinen. Damals begann das Nationalteam zu üben. Ich bin sehr schnell besser geworden und wurde mit 16 Jahren beim Jugend-Europacup Zweiter. Ich wollte immer in einer Disziplin ganz vorne dabei sein. Im Speedklettern habe ich das größte Potenzial gesehen und es macht mir bis heute am meisten Spaß.

48 Klimmzüge am Stück

— Wie sieht deine Woche aus?

TOBI PLANGGER: Sie hat zehn bis 13 Einheiten. Mit einem Athletiktrainer mache ich Krafttraining für den gesamten Körper – es gibt die Aufbau-, Schnellkraft- und Maximalkraftphase. Einmal die Woche trainiere ich Leichtathletik mit biometrischen Übungen. Das sind Sprünge für die Sprungkraft, beidbeinig über Hürden, auf Hindernisse hinauf und hinunter, Dropjumps. Ich baue mir unterschiedliche Parcours und wähle Distanzen, trainiere kurze Antritte und Starts wie bei einem 100-Meter-Lauf, oft nur für wenige Sekunden.

Das Koordinationstraining ist enorm wichtig. Es braucht Präzision, um das Tempo auf die Wand zu bringen. Du musst Geschwindigkeit mithilfe von Koordination umwandeln.

Mittwoch und Sonntag mache ich kein spezielles Training, da gehe ich joggen für die Grundlagenausdauer oder dehne. Ich achte auch auf meine Ernährung – esse keinen Zucker, wenig Fleisch, viel Gemüse. Für das Training braucht es Elektrolyte. Im Wettkampf manchmal einen Kaffee als Push.

— Wieviele Klimmzüge machst du am Stück?

TOBI PLANGGER: Beim Speedklettern geht es weniger um die Anzahl der Klimmzüge, als vielmehr darum, mit wieviel Kilo Zusatzgewicht man sich hochzieht. Es geht um Tempo mit viel Gewicht.

Mein Rekord ist mein Körpergewicht von 75 Kilogramm plus 95 Kilogramm für einen Klimmzug. Normale Klimmzüge habe ich einmal zum Spaß probiert. Ohne Pause waren es 48. Einarmige waren es 20 mit rechts und 15 mit links.

— Ist es manchmal fad, immer die gleiche Route zu klettern?

TOBI PLANGGER: Nein, gar nicht, ich gehe sehr ins Detail. Das ist das Spannende. Jeder Lauf ist speziell und mit jedem Lauf lernt man etwas dazu. Man wünscht sich immer nur den einen perfekten Lauf.

— Gab es den schon?

TOBI PLANGGER: Nein, selbst wenn alles passt, ginge es immer etwas besser. Mir geht es aber nicht um die Platzierung, das kann ich nicht beeinflussen. Es kann ein Mega-Wettkampf sein und ich werde mit Pech Letzter. Oder ich gewinne, weil die anderen Fehler machen. Deshalb geht es allein nur um meinen Lauf und meine Zeit, das kann ich steuern.

Strikt nach Plan

— Bist du ein Nerd?

TOBI PLANGGER:  Schon ein bisschen. Ich fuchse mich immer g'scheit rein. Ich schreibe jede Zeit auf und habe eine ewig lange Excel-Liste mit Zeiten von 5,5 bis 6,8 Sekunden – das ist meine aktuelle Range.

Die Zeiten kann man in Relation setzen und die Läufe lassen sich im Detail sehr gut analysieren. Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, dann agiere ich strikt nach Plan. Meist erreiche ich damit auch meine Ziele.

— Das klingt nach viel Eigeninitiative…

TOBI PLANGGER:  Das stimmt, ich habe einen Athletiktrainer, gestalte aber meinen Trainingsplan selbst. Es ist eine junge Sportart, es gibt kaum Trainer, aber diese Herausforderung war mir klar.

Im Sportgymnasium hatten wir Leistungsphysiologie mit einem sehr guten Lehrer. Da habe ich mir viel Wissen zu Schnellkrafttraining, Koordination, Pausengestaltung, Wochen- und Jahresplanung angeeignet. Zweimal im Jahr war der tschechische Weltrekordhalter im Speedklettern in Innsbruck, von ihm habe ich sehr viel gelernt.

Ich habe zwar keine Ahnung, wie man Ausdauer trainiert, aber was meinen Sport betrifft, kenne ich mich inzwischen wirklich sehr gut aus. Das spiegelt sich auch in der Leistung wider und ich habe Ziele, das motiviert mich.

— Du kletterst in Österreich außer Konkurrenz?

TOBI PLANGGER:  Ich klettere die Wand aktuell, wenn es super läuft, in rund 5,5 Sekunden, der Nächstbeste klettert sie in 5,9 Sekunden. Das klingt nach wenig Differenz, aber man kann es mit einem 100-Meter-Lauf vergleichen, da sind ein paar Hundertstel enorm viel.

Vor einigen Wochen war ich in Barcelona und habe mit dem spanischen Vizeweltmeister trainiert. Es war eine coole und wichtige Erfahrung, einen schnellen Partner im Training zu haben.

— Dein Traum sind die Olympischen Spiele 2024?

TOBI PLANGGER:  In Paris ist Speedklettern erstmals als Einzeldisziplin olympisch, natürlich will ich dabei sein. Aber es wird hart, denn es gibt nur 14 Startplätze. Da muss man im richtigen Moment abliefern. Ich sehe Chancen, aber es ist eine Herausforderung. Ich will nicht hoch pokern, aber eine Medaille zu holen wäre ein Traum.

Finale Ninja Warrior Germany 2022

— Du bist beim Heeressport und hast auch einige Sponsoren?

TOBI PLANGGER: Ja, da war ich proaktiv dahinter und es ist mit allen eine tolle Zusammenarbeit – mit der Raiffeisen-Landesbank Tirol, der Praxis Physio 1.0 aus Innsbruck und mit meinem amerikanischen Schuhsponsor Unparallel.

— Apropos Sponsoring, da gibt es noch eine Sache: Du warst 2021 bei "Ninja Warrior Germany" auf RTL dabei und auch gleich im Finale. Das ist außergewöhnlich – nicht nur aufgrund der physischen Leistung. Das bringt auch mediale Präsenz und Aufmerksamkeit.

TOBI PLANGGER: Die kleinen Kinder hier im Zentrum holen sich von mir Autogramme, weil sie mich von "Ninja Warrior Germany" kennen (lacht). Bei "Ninja Warrior" mitzumachen, ist wie nochmal Kind-Sein auf einem Riesenspielplatz. Letztes Jahr bin ich direkt vom Weltcup in der Schweiz nach Köln zum Dreh gefahren, ohne Vorbereitung. Es hat mega Spaß gemacht und natürlich medial viel Aufmerksamkeit gebracht. Ich habe auf Instagram tausende Follower dazu gewonnen, jetzt sind es schon mehr als 10.000. Im Finale wurde ich wegen eines blöden Fehlers Neunter, aber das macht nichts.

— ... weil du diesmal bereits wieder für das Finale qualifiziert bist? (Sonntag, 22. Mai 2022, um 20.15 Uhr auf RTL)

TOBI PLANGGER: Ja, seit Ostersonntag läuft "Ninja Warrior Germany All Stars" mit den Besten der Staffel. Die Aufzeichnungen waren schon im Dezember, aber ich darf nichts verraten…

NINJA WARRIOR GERMANY ALLSTARS: EINZUG INS FINALE


Der stärkste Antrieb

— Gönnst du dir auch Pausen?

TOBI PLANGGER:  Es gibt Entlastungswochen: alle sechs Wochen mache ich statt zehn nur fünf Trainings in der Woche. Zu Weihnachten nehme ich mir bis zu drei Wochen frei. Aber das ist das Höchste der Gefühle.

— Kletterst du manchmal draußen am Fels?

TOBI PLANGGER:  Das mache ich sehr sehr gern, aber für das Training ist es kontraproduktiv. Mir fehlt dann ein ganzer Tag vom Training und der nächste ist auch beeinträchtigt wegen der müden Muskeln. Deshalb mache ich das nur sehr selten.

— Du liebst Kletterspielplätze à la "Ninja Warrior", aber hast du noch andere Hobbys, Zeit für eine Freundin?

TOBI PLANGGER:  Ja, ich habe eine Freundin seit zwei Jahren. Sie ist auch Sportlerin und unterstützt mich auf meinem Weg. Wir gehen beide sehr gern Schifahren, das machen wir regelmäßig am Wochenende.

— Was waren deine bisher größten Hürden?

TOBI PLANGGER:  Meine Fingernägel sind oft kaputt und abgestoßen, in den Fingern spüre ich kaum mehr etwas, die Ringbänder reißen aufgrund der starken Belastung der Finger und natürlich gibt es häufig Abschürfungen. Eine große Hürde, aber auch mein größter Antrieb, ist wohl der Tod vom Papa gewesen. Er starb, als ich 14 war. Leider hat er meine Speedkletter-Karriere nicht mehr mitbekommen. Aber er war immer sehr stolz, auch deshalb führe ich das weiter. Speedklettern ist mein Leben und so lange es mir gefällt und ich erfolgreich bin, möchte ich es machen.

Wettkampfablauf Speedklettern

Gesichert am Seil, sprinten die Athleten eine 15 Meter hohe standardisierte Kletterwand mit 5 Grad Neigung hoch, an der zwei parallele Speedrouten verlaufen. Diese sind exakt identisch. Es gewinnt, wer am schnellsten oben ist. Bei der Qualifikation hat jeder Sportler einen Lauf auf Bahn A und einen auf Bahn B – die bessere Zeit zählt. Im Finale wird im K.O.-System geklettert, wobei der 1. gegen den 16., der 2. gegen den 15. läuft und so weiter. Davor gibt es zwei Practice-Läufe, um sich an die Griffe zu gewöhnen. Das Griffgefühl und die Reibung sind zum Beispiel anders, wenn der Wettkampf im Freien stattfindet.