Interview: Ronald G. Wayne

Manche meinen, der vergessene dritte Gründer der Firma Apple hätte einst um 800 Dollar seine Zukunft verkauft. Aber obwohl er heute auf Sozialhilfe angewiesen ist, sieht er das selbst ganz anders. Wir haben ihn in seinem kleinen Haus in der Wüste von Nevada besucht.

Stellen Sie sich vor, Sie könnten eine der reichsten Personen auf der Welt sein, wenn Sie nur zweimal anders entschieden hätten als Sie es tatsächlich getan haben.

Willkommen im Leben von Ronald G. Wayne.

Sie kennen den 86-jährigen Pensionär vermutlich weder vom Sehen noch vom Hören, sehr wahrscheinlich dafür aber seine ehemaligen Berufskollegen Steve Jobs und Steve Wozniak.

Mit diesen beiden hat Ron Wayne nämlich am 1. April (ausgerechnet!) 1976 die Firma Apple gegründet und sogar noch das ursprüngliche Firmenlogo designt – nur um knapp zwei Wochen später wieder aus dem Unternehmen auszusteigen, weil er als Ältester des Trios die jugendlich-naive Perspektive der beiden Kollegen nicht teilte.

Die Tragik an der Geschichte in Kurzfassung: Seine Finanzspritze hatte die Gründung der Firma erst ermöglicht. Ronald hingegen lebt heute in ärmlichen Verhältnissen in der Stadt Pahrump, gelegen vor den Toren des Death Valley im US-Wüsten-Bundesstaat Nevada.

Vielleicht sitzen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, ja sogar gerade vor einem der unzähligen Produkte, die Jobs und Wozniak in weiterer Folge zu Multi-Milliardären machen sollten: einem MacBook, iPad oder iPhone etwa.

Wir haben die Geschichte dieses Mannes so spannend gefunden, dass wir ihn unbedingt persönlich treffen wollten, um mit ihm darüber zu plaudern. Vorweg: Er war nicht ganz so einfach aufzufinden, aber lesen Sie am besten selbst…

(Hinweis: Dieses bisher nicht veröffentlichte Exklusiv-Interview fand im Jänner 2019 statt, also zu Prä-Corona-Zeiten. Weshalb im folgenden weder Gesichtsmasken noch soziale Distanzen zu sehen sind.)

Wäre das finanziell alles optimal gelaufen, wäre ich heute vermutlich schon lange einer der reichsten Amerikaner auf dem Friedhof.

Ronald G. Wayne, dritter Gründer von Apple

Pahrump, Nevada.

Die Abfahrt vom aus Las Vegas gen Westen führenden Highway 160 hin zu Ronald Waynes Haus ist trotz GPS gar nicht so einfach zu erwischen: Die Vororte der 36.000-Einwohner-Stadt Pahrump in der Wüste sind unglaublich zersiedelt, ein Haus gleicht dem anderen, die Hauptstraße dient hier in der Einöde offenbar nur dem Transit zwischen der "Sin City" und dem Pazifik.

Irgendwann finden Foto-Markus und ich doch langsam in die richtige "neigborhood", aber das strikt geometrische Straßenbild und die verwechselbaren Häuserfronten verwirren. Alles rundum ist verdörrt, entlang der leeren Straßenzüge sehen wir weder Fußgänger noch spielende Kinder auf den Grundstücken daneben.

Schließlich parken wir uns vor Ronald Waynes Haus ein, davor steht ein Polizeiauto. Glücklicherweise handelt es sich aber um ein "entmilitarisiertes" Ex-Cop-Fahrzeug, das Ronalds Sohn "mit vielen Meilen am Tacho, aber extrem günstig vor ein paar Jahren" gekauft hat, erklärt dieser uns, als er die Haustür öffnet und unsere verunsicherten Gesichter sieht. 

Wir werden – typisch amerikanisch – überbordend freundlich hereingebeten, müssen aber zugeben, dass wir ein wenig überrascht sind: In dem kleinen Bungalow leben geschätzt drei Generationen auf engstem Raum zusammen – Großeltern, Kinder, Enkel –, und es ist unglaublich vollgeräumt mit Tonnen von Krimskrams. Hier soll tatsächlich einer der spannendsten Protagonisten der Computer-Historie leben?

"Daaaaad, the guys from Austria are here!", schreit eine Stimme aus dem Badezimmer neben der Küche. Wir kombinieren haarscharf: Das muss wohl die Tochter sein. Zu sehen bekommen wir sie während unseres Besuchs aber nicht. Vielmehr tritt Ronald G. Wayne selbst auf ihren Zuruf ins Wohnzimmer, begrüßt uns kurz – und geleitet uns in sein erstaunlich chaotisches Büro…

Der legendäre Vertrag

Mr. Wayne, stimmt es, dass Sie selbst nie ein Apple-Produkt besessen haben?

Ronald Wayne:Das ist richtig, zumindest habe ich nie eines gekauft. Vor einigen Jahren wurde mir bei einer Konferenz in England zwar einer dieser damals neuen iPods geschenkt, über den hat sich mein Sohn aber so sehr gefreut, dass ich dieses Ding nie wieder gesehen habe. (lacht)

Bedauern Sie eigentlich ihre Geschichte als dritter Apple-Gründer, die für Außenstehende mitunter ein wenig unglücklich wirkt?

Ronald Wayne:Die Situation, auf die Sie anspielen, hatte mit der ursprünglichen Geschichte von Apple nichts zu tun, egal, wie oft das missverstanden wird. Wahr ist: Vor rund 20 Jahren bin ich auf eine Anzeige eines Internet-Händlers gestoßen, der auf der Suche nach Autogrammen von berühmten Menschen war. Ich habe Kontakt aufgenommen, ihm erklärt, wer ich bin, und angeboten, mein persönliches Original des ersten Apple-Vertrags zu verkaufen, unterschrieben von Steve Wozniak, Steve Jobs und mir. Es gibt ja naturgemäß nur drei Exemplare. Dazu sollte ich vielleicht auch erklären, dass dieses für mich bedeutungslose Blatt Papier bis dahin in einer Schublade meines Schreibtischs verstaubte. Der Kaufpreis war dann 500 Dollar.

Ronald Wayne: Warum man mich öffentlich gern belächelt, ist die Tatsache, dass diese Person, an die ich mein Original verkauft habe, vom geschäftlichen Standpunkt aus gesehen wohl ein wenig gefinkelter war als ich. Er hat dieses Relikt im Zuge einer Auktion nämlich ein paar Jahre später um 1,6 Millionen Dollar versteigert. Dazu kommt natürlich, dass ich meine Anteile an Apple 1976 schon zwei Wochen nach der Gründung um 800 Dollar an Wozniak und Jobs rückverkauft habe. 

Die Medien rechnen seitdem immer wieder gern hoch, was mir entgangen ist, und kommen zu dem Schluss: Ich könnte im Prinzip heute einer der reichsten Amerikaner überhaupt sein. Aber, und das ist mir wichtig: Wäre das alles finanziell optimal gelaufen, wäre ich heute vermutlich einer der reichsten Amerikaner auf dem Friedhof.

Wie haben Sie und die beiden Steves einander kennengelernt?

Ronald Wayne:Der junge Jobs wurde Berater bei der Firma Atari, wo ich zu der Zeit Zeichner und Produktentwickler für Computerspiele war. Was allen im Büro damals schon klar war: Dieser Typ ist ein klassischer "climber" (dt. Aufsteiger, Anm. d. Red.), der höher hinaus will als diese Firma ihm bieten kann. 

Irgendwann fand er heraus, dass ich alter Mann, ich war da ja schon in meinen Vierzigern, in manchen Belangen ähnlich denke wie er. Und er wusste, dass ich ein bisschen Geld auf der Kante hatte, das man investieren konnte – rund fünfzigtausend Dollar. Also haben wir begonnen, daraus eine Geschäftsidee zu entwickeln. Zwischendrin hat er noch einen seiner besten Freunde mit ins Boot geholt, Steve Wozniak. Der war damals schon ein allumfassendes Genie und bleibt für mich bis heute einer der liebenswürdigsten Männer, die ich je getroffen habe.

Steve Wozniak über Ronald Wayne


Die ersten Schritte

Als sie gemeinsam an der Gründung von Apple getüftelt haben, hätten Sie sich je vorstellen können, dass nur wenige Jahrzehnte später Millionen Menschen an mobilen Geräten wie Laptops, Tablets oder Smartphones von zu Hause und unterwegs aus vernetzt arbeiten würden?

Ronald Wayne:In der Gründungszeit im Frühjahr 1976 waren wir tatsächlich überzeugt davon, dass Wozniaks Idee, nämlich diese Art von Computer, das richtige Produkt zur richtigen Zeit sein würde. Wir hatten aber natürlich keinen Schimmer, dass wir da an einem Wendepunkt einer globalen Technologie-Revolution tüftelten. Erst ein paar Jahre zuvor hatte schließlich der damalige Chef von IBM noch gemeint: "Es braucht nur sechs Computer, um die ganzen Vereinigten Staaten zu regeln." Das sahen wir in unserem Bastel-Keller aber anders.

Was wir im Endeffekt ins Rollen gebracht haben, war für uns trotzdem niemals absehbar: diese heute endlosen Möglichkeiten für ganze Industriezweige, sei es Kommunikation, Transport oder Datensicherung. Allerdings ist mir auch bewusst: Wenn wir es nicht getan hätten, wäre früher oder später jemand anderer darauf gekommen.

1984: Steve Jobs stellt den Macintosh vor


Wen er gar nicht mag

In den sozialen Medien machen Sie kein Geheimnis daraus, dem aktuellen US-Präsidenten äußerst kritisch gegenüber zu stehen. Warum?

Ronald Wayne:Lassen sie mich zunächst sagen, dass die Männer, die vor zweihundertdreißig Jahren die Verfassung der Vereinigten Staaten niedergeschrieben haben, Genies waren. Diese Grundregeln wurden ja nicht für den Moment zu Papier gebracht, sondern für die Zukunft. Man wollte damals keine Regierung haben, in der eine Person alle Entscheidungen treffen darf. Deshalb teilten diese klugen Männer das System in drei Teile: Legislative, Exekutive, Judikative. Kein einziger Zweig sollte so mächtig sein, den anderen übertrumpfen zu können.

Heute haben wir Trump und stehen mittelfristig vor einer nationalen Katastrophe. Er hat keine Ahnung, was es bedeutet, US-Präsident zu sein. Ich glaube auch nicht, dass er jemals die Verfassung gelesen hat oder die Gewaltenteilung nur annähernd versteht. 

Als älterer US-Bürger habe ich seine Geschichte in den letzten 50 Jahren hautnah mitverfolgt. Ich habe mir alle Tricks angesehen, die dieser Kerl gespielt hat, seit er Präsident wurde. Sein liebster ist: Sag die große Lüge immer und immer wieder. Und wenn sie auffliegt, sag sie noch einmal, aber umso lauter.

In seiner Karriere ist Trump durch ein Meer von Geld geschwommen und von seinem Vater, zu dem er als Kind aufblickte, der ihm aber nie Liebe gegeben hat, nicht zu einem sozial tauglichen Menschen erzogen worden. Er wurde dafür aber ein so großartiger Geschäftsmann, dass er viermal in Konkurs ging und jedes Mal unsere fürchterlichen Insolvenz-Gesetze benutzte, um seine Partner und Investoren in die Irre zu treiben. 

Ronald Wayne:Die ganze Welt sollte wissen, dass dieser Soziopath als Unternehmer immer nur erfolglos war. Und das wiederholt er jetzt als Präsident. Was viele Trump-Wähler ja vergessen: Er ist nur der Exekutiv-Zweig der Regierung. Er hätte also Gesetze auszuführen, die von der Verfassung gedeckt sind. Nur: Er glaubt nicht daran. Also tut er einfach, was er will. Per "executive order" etwa, die sich wunderbar für fast jeden Unsinn eignet. Und: Er macht alles nur auf Berater-Anordnung, weil er schlicht und einfach ein dummer Mensch ist.

Das internationale Problem der USA: Trump hat unsere lang erkämpfte, aber bis vor kurzem halbwegs akzeptierte Position als Weltpolizist in kürzester Zeit komplett zerstört. Dafür hat er den ehemaligen US-Erzfeind Russland in Form seines Freundes Putin ins Boot geholt, der ihn quasi gekauft hat.

Es wird Generationen dauern, den von Trump angerichteten Schaden zu reparieren. Aber: Wir werden auch ihn überleben. Amerika war nämlich schon vor ihm großartig und wird das irgendwann nach ihm auch wieder sein. Die Wände im Oval Office kommen ihm jetzt Nacht für Nacht näher, bis er mental nicht mehr damit umgehen kann und entweder in einem Gefängnis-Overall oder einer Zwangsjacke aus dem Weißen Haus getragen wird. Glauben Sie mir.

Unterwegssein im Alter

Viele ältere Menschen in Europa, die in abgelegenen Gegenden leben, haben oft Probleme mit ihrer Mobilität im Alltag, weil zum Beispiel immer mehr Bus- oder Bahnverbindungen eingestellt werden. Sie leben in der Wüste von Nevada, einem der einsamsten Orte der Welt. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Ronald Wayne:In unserem riesigen Land konnten wir Einwohner historisch gar nicht anders als Kompromisse zu finden. In den großen Städten der Ostküste, New York City etwa, gab es schon sehr früh vernünftigen öffentlichen Transport. Ich habe selbst zwischen 1948 und 1956 dort gelebt, und schon damals hatte in dieser Stadt fast niemand ein eigenes Auto, weil man mit 10 Cent für das U-Bahn-Ticket überall schnell hinkommen konnte.

Ronald Wayne: Aber sonst fast überall bei uns kann man ohne Auto schlicht nicht überleben. Europäer verstehen das verständlicherweise oft nicht. Wir können nicht über tausende Kilometer Stromkabel in der Erde vergraben, das wäre nicht finanzierbar. Und wenn wir etwa hier in Nevada Freunde besuchen wollen, einkaufen gehen oder sogar nur zum Arbeitsplatz gelangen möchten, dann bedeutet das oft mehrstündiges Fahren pro Strecke. 

Öffentlicher Verkehr? Den gibt es hier kaum. Könnte ich in meinem Alter noch Fahrrad fahren, würde ich in meiner Stadt auch über eine Stunde brauchen, um damit meinen besten Freund am anderen Ende zu besuchen. Dazu kommt, dass bei uns vor allem in den Monaten Mai bis September, in denen wir wochenlang bis zu 50 Grad Außentemperatur ohne Regen haben, kein normaler Mensch zu Fuß aus dem klimatisierten Haus geht. Man steigt ins klimatisierte Auto und fährt ins klimatisierte Restaurant oder Casino. Natürlich ist das nicht umweltfreundlich, das ist uns auch klar, aber wir haben keine andere Möglichkeit. Wie heißt es so schön? "Only mad dogs and Englishmen go out in the midday sun".

Technologischer Fortschritt

Wir besuchen Sie heute mit einem Tesla Model 3, einem in punkto Zukunftstechnologie sehr weit fortgeschrittenen Auto. Was Innovation und Marketing betrifft, ist es nicht weit entfernt von dem, was Apple ursprünglich ausgemacht hat. Und es entstammt einer Idee des Unternehmers Elon Musk, der, so wie Sie damals, recht mutige Ansätze verfolgt. Fühlen Sie sich mitverantwortlich, wenn in ein paar Jahren beim Autofahren vielleicht niemand mehr ein Lenkrad berühren muss?

Ronald Wayne:(lacht) Es fällt mir schwer, Elon Musk oder Tesla zu kommentieren, weil ich da zu wenig technischen Einblick habe. Mein kleines Auto ist über 30 Jahre alt, ich bin damit vor einigen Jahren einmal von Nevada nach Florida gefahren, um meinen Bruder dort zu besuchen. Ich freue mich einfach, wenn es nicht kaputt geht. Den Moment, wo diese Dinger selbstständig von Pahrump nach Miami fahren können, werde ich nicht mehr erleben, deshalb reicht mein gedanklicher Horizont auch nicht so weit, um diese Frage zu beantworten.

Auslaufmodell?

Eines Ihrer liebsten Hobbys war immer, Spielautomaten zu bauen. Jetzt im Ruhestand auch noch?

Ronald Wayne:Ja. Ich habe schon als Kind eine Leidenschaft dafür entwickelt. Hier in Nevada wohne ich im Glücksspiel-Bundesstaat schlechthin. Und nach wie vor ist es mir ein unschuldiger Genuss, zweimal pro Woche einen 20-Dollar-Schein zu schnappen und mit ihm ins örtliche Casino zu fahren. Ich mag die blinkenden Lichter, die Geräuschkulisse, den Vorgang an sich, mich ganz allein mit so einer Maschine zu beschäftigen. 

Ronald Wayne:Normalerweise spiele ich an "einarmigen Banditen", aber mir geht es dabei nie um den möglichen Gewinn. Warum auch? Wenn man die Dinger selbst baut, weiß man ja, dass man im Prinzip nie gewinnen kann. Meine Leidenschaft ist eine ganz andere: Der Spielautomat ist für mich ein Objekt der Nostalgie, ein Symbol des alten Amerika.

Ich habe vor ein paar Jahren einmal versucht, von mir neu gebaute "einarmige Banditen" im Zuge einer Geschäftsidee wieder marktfähig zu machen, Einzelstücke in Handarbeit. Eben so, wie ich sie mir vorstelle. Aber das hat natürlich nicht funktioniert. In Las Vegas wollte keiner was davon wissen, weil diese Dinger wegen der Mechanik zu fehleranfällig wären, wurde mir gesagt. Und Fehler dürfen in dieser Stadt nicht passieren, weil man während der Reparatur Unmengen von Geld verlieren würde. 

Allerdings: Ich habe gehört, dass es oben in Reno noch einige Betreiber von mechanischen Vintage-Automaten gibt. Vielleicht sollte ich dort mal hinfahren und nachfragen, ob Bedarf besteht. Vielleicht bin ich aber einfach auch nur ein überholtes Modell. (lacht)