Interview: Janine Flock

Im Skeleton-Sport hat sie schon sehr viele Erfolge gefeiert. Was ihr dennoch fehlt, ist eine Medaille bei den Olympischen Spielen. Die will sie sich jetzt in Peking holen. 

Janine Flock war in jungen Jahren ein Talent auf der Querflöte, überlegte es sich kurz vor der Aufnahme in eine Musikkapelle dann aber doch anders und widmete sich lieber einer anderen Bühne: dem Eiskanal. Kopf voran und mit bis zu 140 Sachen bergab.

Der Erfolg ­sollte ihr schon bald recht geben: Sie zählt zu den besten Skeleton-Athletinnen weltweit. Immer an ihrer Seite: Trainer-Freund Matthias Guggenberger, selbst mehrfacher österreichischer Skeleton-Staatsmeister. 

Wir haben mit Janine über ihre allererste Fahrt im Eiskanal gesprochenen – und erfahren, dass sie danach komplett schwarz im Gesicht war. Wir fragten sie, was passiert, wenn bei 140 km/h der Helm gegen das Eis schlägt. Und ob Eis gleich Eis ist.

Außerdem wollten wir natürlich wissen, warum sie lieber mit dem Kopf voran fährt, wie sie mit Rückschlägen umgeht und was sie über die Olympia-Bahn in Peking denkt. 

Janine im Eiskanal

— Wenn sich unsereins so wie du in den Eiskanal stürzen wollte, kämen wir da überhaupt heil im Ziel an?

Janine Flock: Ja, schon. Es kann natürlich passieren, dass du dabei an die Bande schlägst und ein paar blaue Flecken ausfasst, aber runter kommst du. Das Wichtigste für dich wäre einerseits die Ruhe zu bewahren, andererseits auf dem Schlitten ruhig zu bleiben, sich gut zu halten, Arme zurück zu strecken, vor allem die Ellbogen. Und dann den Schlitten einfach sich seinen Weg suchen lassen. Aufgrund des hohen Eigengewichts (Anmerkung: ein Schlitten wiegt ca. 38 Kilogramm) und des besonderen Aufbaus der Bahn sollte dir da nicht viel passieren.

— Wie steuert man den Schlitten?

Janine Flock: Ein Wettkampfschlitten besteht aus einem gefrästen, rechteckigen Grundrahmen, auf dem sich dann das Lenksystem aufbaut – und das ist unterschiedlich. Jede Nation hat diesbezüglich ihr eigenes Geheimnis. Natürlich gibt es ein Reglement, an das wir uns halten müssen, aber im Detail kann man schon noch optimieren. Gelenkt wird grundsätzlich mit Schulterdruck und Knie. Wenn ich also etwa eine Linkskurve fahre, drücke ich mit der rechten Schulter. Wenn ich sehr stark lenken muss, kommt noch das gegenüberliegende linke Knie zum Einsatz, damit die Fräsung im hinteren Teil der Kufe greift und mir die Lenkung ermöglicht. Dazu kommt, dass die Schlitten selbst auch noch unterschiedlich flexibel sind. Je weicher, desto präziser kann damit gefahren werden.

— Es ist aber immer wieder zu sehen, dass auch der Fuß zum Einsatz kommt…

Janine Flock: Stimmt, das sieht man immer wieder. Das ist ein Nachkorrigieren. Beispielsweise wenn ich merke, dass ich den Schlitten schneller drehen muss, um die Spur zu halten, dann kommt der Fuß zum Einsatz. Oder wenn ich bemerke, dass das Heck wegrutscht, dann muss ich das mit den Füßen ausgleichen.

— Habt ihr Stahlkappen in den Schuhen, damit sie diese Reibung aushalten?

Janine Flock: Nein, Stahlkappe ist keine drinnen, aber die Schuhspitze wird von einer Kunststoffkappe geschützt, die wir noch einmal zusätzlich mit schwarzem Gewebeband abkleben. Da sind auch keine Zacken oder so drauf. Das ist rein ein Schutz, damit wir bremsen können und uns die Zehen nicht so anhauen. 

Wenn bei 140 km/h der Kopf das Eis berührt

— Wie viele Schlitten fährst du?

Janine Flock: Insgesamt habe ich vier Schlitten, zwei sind immer dabei, aktuell fahre ich aber nur mit einem, den wir für die unterschiedlichen Bahnen immer wieder anpassen. Das ist mir lieber. Bei nur acht Weltcuprennen pro Saison möchte ich nicht nebenbei auch noch herumtesten.

— Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie sich 140 km/h im Eiskanal anfühlen. Denn so schnell seid ihr ja teilweise unterwegs. Ist das mit Motorradfahren vergleichbar?

Janine Flock: Hm. Ich würde es als ähnlich, aber anders beschreiben. Im Eiskanal ist alles noch zugespitzter, weil wir doch sehr auf diese extreme aerodynamische Form achten, die wir am Schlitten einnehmen müssen. Vom Gefühl her ähnelt es vermutlich am ehesten einer Rennmaschine, wenn man sich hinter der Scheibe möglichst kompakt zusammenkauert und den Wind drüberströmen spürt.

— Dein Sichtfeld ist also die meiste Zeit stark eingeschränkt…

Janine Flock: Ja, wie ein ständiger Tunnelblick. Weil ich meinen Kopf aktiv möglichst tief halten will, müssen meine Augen fähig sein, in einem sehr schrägen Winkel scharf zu sehen. Das ist aber nicht immer möglich, weil zum Beispiel bei der Kurveneinfahrt der Helm wegen der Fliehkräfte meist gegen das Eis knallt. Bis mein Blick danach wieder Halt findet und das Gehirn diese Eindrücke verarbeitet hat, vergeht wertvolle Zeit. Da bin ich mitunter schon bei der nächsten Kurve. Deswegen bin ich auch eher eine Gefühlsfahrerin. Ich versuche zu spüren, was gerade passiert, was mir die Bahn an Feedback gibt, wo ich bin und so.

— Wie erlebst du einen Lauf? Wie bereitest du dich vor? Hast du bestimmte Routinen, Rituale…?

Janine Flock: Ich habe eine Renn-Routine, die beginnt bereits mit dem Ankommen an der Bahn. Kurz vor dem Lauf nehme ich dann den Helm locker und fein in die Hand, lasse dabei gerne den Blick über den Helm schweifen, schnaufe noch einmal so richtig durch, dann bin ich bereit.

Beim Lauf selbst brauchst du einen schnellen Start, da muss jeder Schritt passen, der Ablauf muss technisch gut sein. Sobald man aber auf dem Schlitten liegt, sollte man den Puls runterbringen, ruhig bleiben, ganz fein lenken. Während der Fahrt versuche ich immer den Druck aufrecht zu halten. Ab und zu ist das gar nicht so leicht, ich will nämlich die Kurven auf Zug und nicht wellenförmig durchfahren – außer ich muss es, um schnell zu sein. Teilweise ist das Kurvenfahren mit dem Schlitten dem Motorradfahren recht ähnlich.

Aufgrund der starken Fliehkräfte knallt der Helm vor Kurven oft gegen das Eis. Ich muss also auch viel nach Gefühl fahren, denn nach dem Aufprall dauert es immer ein paar Momente lang, bis mein Blick wieder Halt findet und das Gehirn diese Eindrücke verarbeitet hat.

Janine Flock, Skeleton-Profi

Exkurs: Wie alles begann

— Kannst du dich noch an deinen allerersten Lauf in einem Wettkampf erinnern?

Janine Flock: Ich glaube, das war ein Lauf zur Tiroler Meisterschaft. Wir hatten damals blitzorange Rennanzüge mit seitlich aufgedruckten Flammen, die waren richtig fancy – daran kann ich mich noch genau erinnern. Von der Fahrt selbst weiß ich nicht mehr so viel. Aber ich kann mich noch sehr gut an meine allererste Fahrt überhaupt erinnern.

— Und wie war die?

Janine Flock: Aufregend, ich war vor dem Start total nervös und hatte einen Helm ohne Visier auf. Das Problem daran war, dass ich damals, weil es halt modern war, auch ziemlich stark mit Kajal und allem Drum und Dran geschminkt war. Durch den Fahrtwind hat es mir dann derart die Tränen aus den Augen gedrückt, dass ich im Gesicht bald überall schwarz war.

Aber die Fahrt an sich war lässig. Ich weiß noch genau, wie ich aus dem Kreisel (Anmerkung: ein bestimmter Abschnitt der Kunsteisbahn in Innsbruck-Igls) rausgefahren bin und einfach nur vor Freude geschrien habe, weil es einfach so cool war. Von dem Moment an war ich fasziniert von dem Sport.

Wir hatten damals blitzorange Rennanzüge mit seitlich aufgedruckten Flammen, die waren richtig fancy

Janine Flock, Skeleton-Profi

— Du hast vorhin über das Anhauen von Ellbogen und Schultern an der Bande gesprochen – tragt ihr eigentlich Protektoren unter den eng anliegenden Rennanzügen?

Janine Flock: Manche Kolleginnen tragen moosgummiartige Schoner bei Knie, Hüfte, Ellbogen oder eben Schultern. Ich mochte das aber nie. 

— Bist du eigentlich auch schon einmal mit den Füßen voran im Renntempo gerodelt?

Janine Flock: Im Eiskanal zwar nicht, aber mit Kollegen auf einer Naturbahn. Das war schon sehr lustig, aber es fühlte sich einfach komisch an. Außerdem hatte ich dauernd die Sorge, dass ich mich an den Beinen verletze – und die sind doch das Kapital für uns Rodler (Anm.: weil beim Start losgesprintet werden muss).

Mit den Beinen voran zu rodeln fühlt sich für mich einfach komisch an. Außerdem hätte ich ständig die Sorge, sie mir zu verletzen.

Janine Flock, Skeleton-Profi

— Für die meisten Menschen ist Eis einfach nur hart, kalt und spröde – wie erlebst du Eis?

Janine Flock: Eis kann wirklich sehr unterschiedlich sein. Das beginnt schon beim Wasser, das in jedem Land unterschiedlich ist. Manchmal wird das Wasser, mit dem sie die Bahn aufbauen, noch zusätzlich aufbereitet, auch die Bearbeitungstemperatur ist entscheidend. Spritzen sie mit warmen oder kalten Wasser auf? Dann stellt sich auch noch die Frage: Spritzen sie das Wasser in großen Mengen auf, oder sprühen sie nur?

Eine Natureisbahn so wie in St. Moritz, die aus Schnee und Wasser geformt wird, fühlt sich dann noch einmal ganz anders als eine Kunsteisbahn an. Viel hängt auch davon ab, mit welchen Maschinen bzw. Werkzeugen die Bahn gebaut wird. Nicht zu vergessen die äußeren Bedingungen (Anmerkung: Temperatur, Luftfeuchtigkeit etc.), die sich auf die Eis-Oberfläche auswirken. Also das Eis fühlt sich wirklich auf jeder Bahn anders an.

— Du hast schon sehr viele Erfolge gefeiert, aber auch einige Rückschläge verdauen müssen. Wie gehst du mit solchen Situationen um?

Janine Flock: Es kommt immer darauf an, was tatsächlich der Grund für den Rückschlag war. Grundsätzlich lasse ich Emotionen zu. Wenn ich verärgert oder traurig oder grantig auf mich selbst bin, weil ich die Leistung nicht gebracht habe, dann zeige ich das auch. Dann ist das in dem Moment einfach so und dann darf das auch aus mir heraus.

Aber ich versuche dann schon, das Ganze objektiv und sachlich zu sehen, die Situation zu analysieren und mir dann den nächsten Schritt vor Augen zu führen. Wo stehe ich jetzt? Was ist mein nächstes Ziel? Auch wenn es nur ein kleiner Schritt ist. Es gibt immer Wege und Lösungen.

— Mit einem Blick auf die Olympischen Spiele in Peking: Die Strecke gilt als sehr schwierig. Wie siehst du das?

Janine Flock: Die Charakteristik der Bahn gibt es so kein zweites Mal auf der Welt, ist aber wirklich lässig. Man hat teilweise sehr wenig Anpressdruck und bekommt deswegen auch sehr wenig Feedback, was wirklich ungewöhnlich ist. Es fühlt sich ein wenig wie eine Fahrt auf rohen Eiern an. Vier konstante Läufe zu schaffen, wird schwierig. Prinzipiell aber ist der Streckenverlauf sehr flüssig, die Bahn hat einen guten Rhythmus, wir erreichen fast 130 km/h, es ist schon sehr lässig, dort zu fahren.

Steckbrief: Janine Flock

Letzte Frage

— Zum Abschluss: Verrätst du uns eine Eigenheit, die dich auszeichnet?

Janine Flock: (Überlegt) Ich habe ein eigenartiges Verhältnis zu Uhren. Am Arm trage ich eine Sportuhr, die gefühlt schon mehr als zehn Jahre alt ist, bei der die Stunden gar nicht mehr stimmen, sondern nur die Minuten. Und ich fahre wahnsinnig gerne Snowboard.

Appendix: Janine im TV

Anmerkung: Wer die Läufe von Janine Flock im Rahmen der Olympischen Winterspiele im Yanqing Sliding Centre live erleben will, hat am 11. Februar (Lauf 1 & 2) und 12. Februar (Lauf 3 & 4) im ORF sowie im Livestream auf www.ibsf.org die Chance dazu.