Interview: Ingrid Brodnig

Wie geht man mit Hass im Netz um? Wie bringt man Kindern bei zu erkennen, ob ein Posting wahr oder falsch ist? Wie kann ich im Internet weniger von mir preisgeben? Digitalisierungs-Expertin Ingrid Brodnig hat die Antworten.

Sie kennen Ingrid Brodnig nicht? Dann ist Ihnen vielleicht egal, was mit Ihren Daten geschieht, die Sie bei sämtlichen Online-Aktivitäten hinterlassen. Oder Sie haben noch nie miterlebt, dass ein Kind von Mitschülern vor der halben Schule online bloßgestellt wurde. Möglicherweise haben Sie sich auch noch nie darüber Gedanken gemacht, wie es zu all den passenden Beiträgen kommt, die Ihnen z.B. Facebook und Instagram so vorschlagen. Oder warum Shitstorms und Fake News manchmal nahezu krawallartige Dimensionen erreichen.

All dies sollte Ihnen nicht egal sein. Ingrid Brodnig war es dies vor etlichen Jahren schon nicht. Sie begann zu recherchieren. Und darüber zu berichten. Seitdem liefert sie Fakten, bringt Beispiele, findet Lösungen. Deshalb ist sie mittlerweile eine der gefragtesten Expertinnen für das weite Feld des Datenmissbrauchs, der Marktmacht von Großkonzernen wie Facebook, Google und Amazon und Digitale Botschafterin Österreichs in der EU.

Steckbrief: Das ist Ingrid Brodnig

Lügen und Hass im Netz – was soll ich tun?

— Wie lässt sich bei Online-Beiträgen erkennen, ob das nun ein Lüge ist?

ingrid brodnig:Sehr viele Falschmeldungen funktionieren, weil sie Streitthemen behandeln, weil eine große Emotionalität da ist, weil sie Feindbilder ansprechen, z.B. bei den Themen Klimawandel oder Flüchtlinge. Wenn ich also im Internet etwas lese, das mich aufregt, dann ist das bereits ein erster Indikator, genauer hinzuschauen. Außerdem ist's ein guter Trick, genau dann vorsichtig zu sein, wenn ich mir denke, das muss ich jetzt allen erzählen. Weil vieles, was so richtig arg klingt, zugespitzt oder komplett erfunden ist.

— Wie sensibilisiert man Kinder und ­Jugendliche in Bezug auf Falschmeldungen?

ingrid brodnig:Je jünger Kinder sind, desto größer ist noch das Vertrauen in die Umwelt. Deswegen muss ich z.B. Volksschülern noch ein gewisses Maß an Misstrauen anüben. Die müssen lernen, dass nicht alles stimmt, bloß weil jemand behauptet, dass das stimmt. 

Bei Jugendlichen ist das anders, die sind bereits recht skeptisch, weil sie schon Erfahrung haben, schon einmal auf etwas hereingefallen sind, sich gegenseitig schon hereingelegt und schon Fakes bemerkt haben. Die erwarten den Schwindel eher. Wichtig ist bei Jugendlichen, dass sie sich eine Medienkompetenz erarbeiten, dass sie wissen, wo die Grenzen zwischen wahr und falsch verlaufen und wie sie den Wahrheitsgehalt überprüfen können.

Kinder müssen lernen, dass nicht alles stimmt, bloß weil jemand behauptet, dass das stimmt.

Ingrid Brodnig, Digitalisierungs-Expertin

— Wie überprüfe ich denn den Wahrheitsgehalt? 

ingrid brodnig:Da gibt's ein ganz simples Beispiel: Einfach die wahrgenommene Behauptung in Google eingeben und dahinter das Wort Faktencheck schreiben.

Sehr viele Lügen funktionieren aber auch über alte oder manipulierte Bilder, über Bilder, die teilweise gar nicht zum Artikel gehören, die zu einem anderen Zeitpunkt und/oder an einem anderen Ort aufgenommen worden sind. Trotzdem gilt: Je emotionaler das Thema, desto genauer sollte ich hinsehen. Ob ein Bild echt ist, kann beispielsweise mit der Google-Bildersuche überprüft werden.

— Je emotionaler ein Posting verfasst ist, desto skeptischer sollte ich also sein? 

ingrid brodnig:Ja, weil Falschmeldungen sehr oft über Gefühle funktionieren, sodass man im Affekt die Meldung anklickt und teilt. Das funktioniert einerseits mit Wut, weil ich z.B. irgendjemand oder irgendetwas nicht mag, oder andererseits mit Begeisterung. Angst spielt auch manchmal eine Rolle. Auf diese Emotionen sollte ich jedenfalls achten. 

— Instagram und TikTok sind Apps, die praktisch ausschließlich auf die Macht der Bilder setzen und vor allem bei Jugendlichen sehr beliebt sind – stimmt Sie das nachdenklich?

ingrid brodnig:Ich glaube, dass Jugendlichen sehr bewusst ist, dass man Bilder sehr gut fälschen kann. Ich glaube aber auch, dass sie im Zweifelsfall Bildern trotzdem sehr stark glauben. Es gibt dazu eine Untersuchung der Universität Stanford, die das untermauert und bei der sich herausgestellt hat, dass Schüler Fotos recht leichtgläubig als authentisch einstufen – das galt auch für Fotomaterial mit irreführender Bildunterschrift.

Was mir aber Grund zur Hoffnung gibt, ist, dass immer mehr Jugendliche Videos z.B. für YouTube oder Instagram selber schneiden, selbst die Bildbearbeitung machen. Das heißt, sie müssten von der Kompetenz her eigentlich wissen, wie leicht Bilder und Videos manipuliert bzw. gefälscht werden können. 

— Wie gehe ich mit Hass im Netz um, wenn er mich persönlich betrifft?

ingrid brodnig:Wenn ich selbst betroffen bin, ist das Allerwichtigste, nicht alleine zu bleiben. Das heißt, dass ich z.B. meinen Bekannten und Freunden schreibe: "Schaut, was ich gerade erlebe." Die werden vielleicht Tipps haben, vor allem aber werden sie Solidarität zeigen. Das ist vor allem deswegen wichtig und hilft, weil ich dann sehe, dass das andere auch nicht in Ordnung finden.

Auch wichtig: dokumentieren, verständliche Screenshots machen, denn: Es kann sein, dass ich Dinge auch anzeigen möchte, wenn die Sache richtig übel wird. Und da muss ich das gut vor Gericht belegen können. Im schlimmsten Fall, also wenn es beispielsweise bedrohlich wird, müssen juristische Konsequenzen gezogen werden. In Österreich gibt es übrigens etwas wirklich Tolles: Zara, die Meldestelle gegen Hass im Netz. An die kann ich mich im Zweifelsfall wenden, und die beurteilen dann juristisch, ob geklagt werden kann (Anm.: www.zara.or.at).

Das Wichtigste aber ist, nicht alles stumm hinzunehmen, sondern mit meinem Umfeld darüber zu reden. 

Das Wichtigste aber ist, nicht alles stumm hinzunehmen, sondern mit meinem Umfeld darüber zu reden. 

Ingrid Brodnig, Digitalisierungs-Expertin

— Und wie gehe ich mit Hass im Netz um, wenn ich ihn beobachte?

ingrid brodnig:Das Allererste, was ich tun kann, ist Solidarität ausdrücken. Denn dann sehen die Betroffenen, dass sie nicht von allen gehasst werden, sondern nur von einer kleinen üblen Minderheit. 

Was ich auch tun kann: Zivilcourage zeigen, widersprechen. Es ist mitunter auch sinnvoll, online zu diskutieren. Jemand, der eine gänzlich andere Meinung hat, den werde ich nicht umdrehen können. Aber ich kann mich an jene wenden, die vielleicht noch ein wenig offener sind, und dabei meine Gegenposition erläutern.

Dritte Möglichkeit: Ich kann versuchen, das Thema zu moderieren, in dem ich alle bitte, keine Schimpfworte zu verwenden und das sonst notfalls lösche. Denn dann merken die entsprechenden User auch, dass ihr Verhalten nicht akzeptiert wird.

Themenwechsel: Wie ist das mit unseren Daten?

— Warum überlassen so viele Menschen ihre Daten gratis Großkonzernen wie Google, Facebook, Amazon und Co.?

ingrid brodnig:Ich glaube, viele Konsumenten gehen davon aus, dass, solange die Praktiken legal sind, nichts Schlimmes passieren kann. Wobei sich bei manchen Datenpraktiken schon die Frage stellt, ob das noch legal ist. Es liegt vielleicht auch daran, dass Daten etwas Unsichtbares sind, auch die Datenübertragung ist ein unsichtbarer Prozeß. Wenn wir aber sehen und angreifen könnten, wo unsere Daten wirklich hinfließen, dann wäre es viel leichter fassbar – und dann wären wir viel besorgter, als wir es jetzt sind. 

— Welche Möglichkeiten habe ich denn überhaupt, wenn ich beim Surfen im Internet möglichst wenig von mir preisgeben will?

ingrid brodnig:Ich würde zwei Dinge empfehlen. Erstens: Software nutzen, die auf Datenschutz ausgerichtet ist, also z.B. den Mozilla Firefox-Browser oder, statt WhatsApp, den Signal-Messenger. Zweitens: Ein Blick in die Einstellungen, denn bei den meisten Apps kann ich noch ­einiges abdrehen, Dinge wie die Standort­erfassung beispielsweise.

Abschließendes Stichwort: Mobilität.

—  Die ganze Branche wandelt sich, selbstfahrende Autos werden entwickelt, diverse digitale Services entstehen. Worin sehen Sie Gutes, was missfällt Ihnen?

ingrid brodnig:Sehr gut finde ich, dass Autos intelligenter werden. Dass wir dadurch sicherer, bequemer und zeitsparender unterwegs sein könnten. Ich sehe da tatsächlich viele Chancen. Meine größte Sorge: welche Daten über uns erfasst werden, also z.B. Bewegungsprofile und Fahrverhalten – und was damit gemacht wird. Diesen Fragen müssen wir uns stellen. Und wir müssen klären, wem die Daten aus unseren Autos gehören.