"Ich habe radeln gehasst"

Die junge Mutter Jasmin Böhm wollte nur eines: Raus aus der Job-Tretmühle und Zeit mit ihrem Sohn verbringen. Gemeinsam radelten sie nach Südspanien.

Entspannt erzählt Jasmin Böhm von ihrem Abenteuer. Sie wirkt furchtlos, beteuert aber das Gegenteil. Dennoch trifft sie 2021 eine lebensverändernde Entscheidung, kündigt und bricht mit ihrem knapp dreijährigen Sohn Emil mit dem Rad nach Südspanien auf. Die 32-jährige Deutsche radelt rund 3.000 km, alles mit ihrer Beinkraft, kein E-Bike, keine Hilfe. Über ihre ­Reise schrieb sie das Buch "Hallo Glück, dich gibt's ja doch!"

Auf Spanien folgte 2022 eine Reise bis Istan­bul, im April 2023 ging die nächste Tour los: 4.000 km zum Nordkap.

Warum sie einfach losradelte, alles hinter sich ließ, es ihrem Sohn nie fad war und was sie glücklich macht, erzählt sie im Interview.

— Wie bist du auf die Idee gekommen, mit dem Rad nach Spanien zu fahren und das mit deinem kleinen Sohn?

Jasmin Böhm:Ich hatte neben meinen drei Jobs und der Doktorarbeit kaum Zeit für meinen Sohn und wusste, so kann es nicht weitergehen. Mir wurde alles zu viel und es kam zum "Badewannen-Moment", den ich im Buch beschreibe. Da sinnierte ich über mein Leben und dachte an das Versprechen, das ich meiner Mama gegeben hatte: Immer dem Glück zu folgen.

Ich wusste, dass mein Leben weit weg von dem war, das ich gerne geführt hätte: draußen sein, Zeit mit dem liebsten Menschen verbringen, meinem Kind. Also traf ich die radikale Entscheidung, alles zu kündigen und loszuradeln.

— Warum die spanische Küste?

Jasmin Böhm:Ursprünglich wollte ich bis Marokko fahren, das hat im Endeffekt wegen Corona nicht geklappt.

— Einfach losradeln ist gut, aber gleich auf einen anderen Kontinent?

Jasmin Böhm:Ja, ich wollte eben in den Süden, wo es warm ist, und uns einfach treiben lassen. Da dachte ich: "Warum nicht auf einen anderen Kontinent, das wäre lustig, wenn wir es schaffen würden." Das Ziel war es ohnehin nicht, die Reise zu beenden, das war egal. Wichtig war der Weg dorthin, die schöne Natur.

— Bist du immer gerne Rad gefahren?

Jasmin Böhm:Nein, ich war in der Stadt mit dem Rad unterwegs, aber erst 2020 bin ich mit Emil 700 km vom Bodensee ins Allgäu geradelt. Das war quasi die Testreise. Ich dachte, wenn ich das schaffe, schaff ich's überall hin!

Davor habe ich Radfahren ziemlich gehasst (lacht). Ja, wirklich! Die ersten drei Wochen Fahrt waren schrecklich. Die Art zu reisen war cool, aber ich war nicht fit. Die zweite Tour lief besser und die letzte war sehr schön.

Aber am Anfang… Ich komme zwar aus dem Leistungssport, dem Rudern, aber das ist eine ganz andere Bewegung. Als Training im Winter musste ich früher immer Fahrrad fahren und habe es krass gehasst.

— Nachdem sich das geändert hat, gibt es Hoffnung für alle, die noch nicht gerne radfahren…

Jasmin Böhm:(lacht) Ja, auf alle Fälle. Ich muss aber auch sagen, dass es stark aufs Fahrrad ankommt. Ich hatte früher oft schlechte Räder und immer das Gefühl, dass ich mich nur abmühe, während jeder an mir vorbei rast.

— Es ist wirklich interessant, dass du diese Art zu Reisen gewählt hast, obwohl du keine begeisterte Radlerin warst.

Jasmin Böhm:Ich bin schon immer viel gereist und wollte nicht mit dem Flugzeug irgendwohin fliegen, sondern über den Landweg etwas machen. Nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß, also Fernwandern, wäre mit einem Kleinkind nicht möglich gewesen.

Ich wollte dieses langsame Reisen, mir war es einfach wichtig, nonstop draußen zu sein. Ich wollte aber in keine Hostels oder Hotels, sondern einfach campen. Das war die Grundidee. Damals habe ich auch im Internet nichts dazu gefunden, wie das mit Kind zu bewältigen wäre. Dann fielen mir diese Fahrradanhänger ein, ich habe einen gekauft und bin am Tag der Abreise zum ersten Mal damit gefahren. Ich weiß, das ist alles total absurd (lacht).

— Welche Überlegungen hattest du im Vorfeld der Reise?

Jasmin Böhm:Ich machte mir Gedanken darüber, wie mein Sohn es aufnehmen würde, so lange zu fahren. Diese drei Wochen ins Allgäu hat er toll gefunden, da war er aber auch erst eineinhalb und konnte noch nicht sprechen. Aber es hätte auch anders kommen können, dass er meint, er will nicht mehr. Ich konnte es nur ausprobieren.

Ich hatte vor allem auch Angst um meine Wohnung. Aber wie gesagt, ich sah einfach keine Alternative mehr für uns, ich musste das wagen.

Schließlich konnte ich meine Wohnung für die Zeit vermieten und das Gute war, dass ich wieder in meine alten Jobs zurückkehren hätte können. Ich wusste, es gibt Möglichkeiten.

— Nachdem du deine Jobs gekündigt hast, war auch dein Sicherheitsnetz weg. Kam da Existenzangst ins Spiel oder konntest du das ausblenden?

Jasmin Böhm:Die war definitiv da. Den Gedanken zu kündigen, trug ich ja schon mindestens ein Jahr mit mir herum, habe mich aber genau aus diesem Grund nicht getraut. Alle, die mich kennen, haben die Hände zusammengeschlagen, dass ich in so einer Zeit kündige. Aber ich konnte so nicht mehr weitermachen.

Ich hatte auch große Angst, wie das mit dem Geld weitergehen würde. Ich hatte zwar ein Angebot für ein Buch, da ich wegen meines Reiseblogs von einem Lektor angeschrieben wurde. Aber ich wusste nicht, ob das tatsächlich etwas wird und stellte mir natürlich die Frage: "Wovon lebst du dann?"

Worst Case wäre gewesen, mir irgendeinen Job zu suchen. Natürlich hatte ich Mega-Angst, es wäre gelogen, würde ich sagen, dass es anders war.

Mir wurde alles zu viel und ich wusste, dass ich mein Leben ändern muss. Ich wollte Zeit mit Emil verbringen.

Jasmin Böhm, Autorin

— Wie lange hat es vom Beschluss bis zur Reise gedauert?

Jasmin Böhm:Drei Monate, das lag aber an der Kündigungsfrist in der Schule.

— Mit wie viel Budget bist du aufgebrochen?

Jasmin Böhm:Ich glaube, es waren so um die 1.500 Euro. Glücklicherweise kam auf der Reise eine Steuerrückzahlung, die höher als erwartet war. Zusätzlich war meine Masterarbeit unter den besten und ich erhielt meine Studiengebühren zurück. Und auf einmal musste ich mir um Geld auf der Reise keine Sorgen mehr machen.

— Das nenne ich wirklich Glück!

Jasmin Böhm:Das war total absurd, denn ich hatte auf einmal mehr Geld als zu der Zeit, als ich drei Jobs hatte. Man hört auf zu arbeiten und bekommt plötzlich Geld von allen Seiten (lacht).

 — Hast du die Reisen lange geplant?

Jasmin Böhm:Eher nicht. Nach der ersten Tour wusste ich, was wir benötigen. Ich neige grundsätzlich dazu, zu wenig mitzunehmen und kaufe bei Bedarf unterwegs. Es ist ja alles so schwer, der Anhänger hatte rund 80 Kilogramm, da kommt nur das Nötigste für zwei Personen mit: Schlafsäcke, Luftmatratzen, Camping­kocher, Zelt, Geschirr, Essen und Trinken. Dann noch unser Gewand, zwei Hosen, zwei T-Shirts – und das war es schon fast (lacht).

— Also du packst nur und fährst los?

Jasmin Böhm:Akribisch plane ich immer nur den nächsten Tag und gehe den Weg online genau durch. Das dauert rund zwei Stunden. Natürlich könnte ich es mir einfach machen und blind dem Navi folgen, aber mit Kind geht das nicht. Manchmal werden Straßen angezeigt, die ich nicht fahren will.

Ich schaue mir über Google Maps alles ganz genau an, erscheint es mir zu unübersichtlich oder gefährlich, dann frage ich Leute vor Ort und in den Fahrradgeschäften. Die Einheimischen wissen immer am besten Bescheid.

Auch für die nächste Tour, die über 4.000 Kilometer geht, wäre es absurd, das im Voraus zu planen. Ich wäre Monate beschäftigt und am Ende mache ich sowieso alles anders (lacht).

Jedenfalls war es bislang immer so. Wir wollten ursprünglich auf der Atlantikseite nach Marokko fahren, sind dann aber an der Mittelmeerseite entlang geradelt. Bei der letzten Reise wollten wir nach Rumänien ans Schwarze Meer, sind dann aber in die Türkei nach Istanbul gekommen.

 — Hattest du Pannen auf euren Reisen?

Jasmin Böhm:Ja, und auf meiner ersten Tour hatte ich auch vom Reifenflicken noch keine Ahnung. Bei der Spanien-Reise habe ich es definitiv gelernt. Da hatte ich aber nur drei platte Reifen, am Weg nach Istanbul waren es 40 in drei Wochen! Jetzt bin ich Flickprofi (lacht).

Bei größeren Pannen habe ich auf die Hilfe von anderen Leuten gehofft, dass sie uns ins nächste Fahrradgeschäft bringen. Die Menschen waren immer unfassbar hilfreich und freundlich.

— Würdest du dich als furchtlos beschreiben?

Jasmin Böhm:Nein, auf keinen Fall, ich bin ein sehr ängstlicher Mensch. Ich habe tausend Ängste. Aber ich glaube, ich habe andere Ängste als viele Menschen. Manche Ängste finde ich sinnlos, die bringen nichts, da sie vor keiner tatsächlichen Gefahr schützen, daher bekämpfe ich sie.

— Welche Ängste meinst du?

Jasmin Böhm:(überlegt) Wenn ich zum Beispiel Angst vor einem Wolf im Wald hätte. Die Wahrscheinlichkeit ist so gering, da fahre ich trotzdem entlang. Oder Angst in Aufzügen oder vor Spinnen, das ist sinnlos. Da muss man sich dagegenstellen.

Ich hatte auch keine Angst ausgeraubt zu werden, davor fürchten sich scheinbar viele. Mir wird oft gesagt, dass ich so mutig sei, da wir in Wäldern oder neben Feldern alleine fahren. Aber damit meinen sie nicht wegen der Tiere, sondern wegen der Menschen. (lacht) Da bin ich gar nicht ängstlich, denn die Menschen waren überall unglaublich freundlich zu uns. Und wer will schon eine Mutter mit Kind am Fahrrad ausrauben? Wir haben überhaupt nichts dabei, das hätte keinen Sinn.

Ich finde, je mehr man in der Natur ist, desto sicherer, denn da sind keine Autos oder Verkehr. Das ist nämlich die größte Gefahr. Also je weiter weg von den Städten, desto sicherer finde ich es. Doch die meisten Menschen denken genau andersherum.

Ich bin nicht furchtlos, aber ich bekämpfe sinnlose Ängste. 

Jasmin Böhm, Autorin

— Wie lief ein Tag auf Achse ab?

Jasmin Böhm:Am Weg nach Spanien sind wir immer 50 bis 60 Kilometer gefahren. Ich bin bei Sonnenaufgang aufgestanden und habe rund zweieinhalb Stunden zusammengepackt. Dann Emil aufgeweckt, gefrühstückt, etwas zu essen für den Weg gekauft und los ging's.

Wir sind circa zwei Stunden gefahren, mit Zwischenstopps, wenn etwas Spannendes wie Esel oder Schafe zu sehen waren. Danach folgten knapp zwei Stunden Mittagspause, in der sich Emil an einem Spielplatz oder am Meer austoben durfte.

Damals hat er noch ein Mittagsschläfchen gemacht, in dieser Zeit bin ich zum ­Tagesziel durchgefahren. So gegen 15 Uhr waren wir am Campingplatz, haben ausgepackt und ab 16 Uhr hatten wir Freizeit.

— Wie oft konntest du alles waschen?

Jasmin Böhm:Einmal pro Woche. Aber es war egal, ich habe sowieso komplett fertig vom Radeln ausgesehen und Emils Sachen waren halt oft dreckig. Das war einfach so. Ich hatte auch ständig schwarze Hände, da die Kette oft runtergerutscht ist. Es gab kaum Tage mit sauberen Händen (lacht).

— Wie hast du dein Handy aufgeladen?

Jasmin Böhm:Im Freien hatte ich ein Solarpanel dabei, das hilft gut, ansonsten musste ich Steckdosen finden. Ich habe auch immer zwei Handys dabei, eines zur Navigation, das andere für Fotos und Internet.

— Wie war es mit den Internetkosten?

Jasmin Böhm:Ich kaufe immer im jeweiligen Land die Datenkarten, da es wesentlich günstiger ist. Das ist auch ein wichtiger Tipp, bei mir war das Learning by Doing (grinst).

— Bist du jeden Tag gefahren?

Jasmin Böhm:Immer sechs Tage und ein Tag Pause, da hielt ich mich strikt daran.

— Wie viele Kilometer bist du täglich geradelt und hast du auch öfter einen Muskelkater gehabt?

Jasmin Böhm:Eigentlich nicht. Es gibt am Weg auch Bergstrecken, auf denen ich immer meine Beine und Arme gespürt habe. Aber ich habe mich daran gewöhnt und es nur langsam gesteigert. Zu Beginn bin ich 30 Kilometer gefahren, dann wurden es mehr. Auf der Istanbul-Fahrt waren es am Schluss sogar 80 Kilometer täglich. Zu Reisebeginn kann ich nie glauben, dass es am Ende so viele Kilometer sein werden. Aber Ausdauer und Kraft kommen sehr schnell wieder.

— Hast du vor den Reisen speziell trainiert?

Jasmin Böhm:Nicht speziell. Ich war nur mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs, da mein Auto kaputt war, aber sonst nichts.

— Welches Rad fährst du?

Jasmin Böhm:Auf meiner ersten Tour habe ich mir ein Trekkingrad bei Ebay für 100 Euro gekauft. Das war super. Im Jahr darauf habe ich mir ein neues Trekkingbike geleistet. Danach kam ein Gravelbike und damit bin ich auch am meisten gefahren. Das passt am besten zu dem, was wir machen.

— Hast du auch die Anhänger gewechselt?

Jasmin Böhm:Ja, da hatte ich verschiedene. Aber ich überlege noch, ob wir bei der nächsten Tour ans Nordkap auf den Anhänger verzichten werden. Im vergangenen Jahr, als wir nach Istanbul gefahren sind, habe ich sein kleines Rad auf dem Anhänger mitgenommen. Ich dachte damals: "Er fährt wahrscheinlich so fünf Kilometer." Aber er ist bis zu 40 km gefahren und das fast täglich.

Er hat es auf dieser Tour wirklich sehr ernst gemeint und der Anhänger war fast überflüssig. Daher möchte ich auf der nächsten sein Rad mit einer "FollowMe"-Tandemkupplung an meines dranhängen. Dann haben wir sozusagen doppelte Tretkraft. Auf meinen Gepäckträger werde ich noch einen Fahrradsitz montieren, falls er sich doch ausruhen möchte. So erspare ich mir das Gewicht des Anhängers.

— Und wie machst du es, wenn er in die Schule muss?

Jasmin Böhm:Wir haben jetzt noch rund eineinhalb Jahre, da muss ich dann schauen. Dann werden sicher die Ferien genutzt.

— Es ist ein Glück, dass er so gerne radelt…

Jasmin Böhm:Ja, wir teilen diese Leidenschaft, in der Natur zu sein und mit dem Rad alles zu entdecken. Hätte es ihm nicht gefallen, dann hätten wir das nicht weitermachen können.

— War Emil nie fad im Anhänger?

Jasmin Böhm:Nein. Das werde ich oft gefragt. Es ist nicht mit einer Autoreise vergleichbar. Auch Emil jammert im Auto, da rast die Landschaft nur vorbei. Im Anhänger aber ist er Teil davon und erlebt die Natur hautnah. Dabei ist der Weg schon das Ziel. Wir können jederzeit anhalten, überall spielen und er sieht Dinge, die beim Autofahren verborgen bleiben. Er erlebt die Natur hautnah, sei es ein Käfer, eine Schafherde oder ein kleiner Bach, in den er Steine werfen kann. Oft saß er einfach nur da und hat sich die Landschaft angeschaut. Dann gab es diesen besonderen Moment, in dem er mir zugerufen hat: "Mama, Mama, ich bin glücklich!" (tief bewegt) Und ich habe gewusst, dass es die richtige Entscheidung war.

— Er musste nicht extra beschäftigt werden…

Jasmin Böhm:Nein, er beschäftigt sich selbst. Eltern denken oft, dass sie die Kinder dauernd unterhalten müssen. Ich glaube, es ist wichtig, dass es Kindern auch langweilig ist. Das gehört dazu, auch mir war früher oft langweilig und gerade dabei entstehen so viele kreative Ideen.

Ich bin immer wieder erstaunt, was Eltern alles dabei haben, um die Kinder zu entertainen. Ich habe nie etwas mit (lacht). Wir schauen uns die Landschaft an, spielen oder erzählen Geschichten.

— Gab es noch weitere spezielle Momente?

Jasmin Böhm:Es gab viele kleine Momente, die uns glücklich gemacht haben. Etwa wenn es die ganze Zeit regnet und dann kommt die Sonne raus, da hätte ich am liebsten vor Glück geheult. Es war so schön, alles ruhig, alles nass, aber unbeschreiblich schön. Für mich waren es diese kleinen Momente, die die Reise so besonders gemacht haben.

— Hattest du auch schwierige Situationen?

Jasmin Böhm:Na ja, ich hatte einen Bänderriss, weil ich am Strand umgeknickt bin. Da mussten wir drei Wochen in Frankreich pausieren. Auch dass mir beim Fahren die Hände eingeschlafen sind, war sehr anstrengend.

— Wie ging es danach weiter?

Jasmin Böhm:Meine Krankenversicherung bot an, uns zurückzuholen, aber auch in Deutschland hätte ich nur abwarten können. In Frankreich meinten die Ärzte: Sechs Wochen Ruhe, Physio und dann solle ich nach Hause fahren.

— Und was hast du gemacht?

Jasmin Böhm:Ich habe drei Wochen in Frankreich gewartet und dann ging es wieder weiter. Ich muss aber sagen, dass eine meiner besten Freundinnen Physiotherapeutin ist, sie hat mich über Skype betreut und mich angeleitet. Ich hatte dort auch einen Pool und konnte Übungen machen. Das war für die Heilung alles ideal. Weniger ideal war allerdings, dass wir am Campingplatz immer sehr weite Strecken zurücklegen mussten. Mit Krücken und Kleinkind war es schwierig, aber es ging.

— Das stelle ich mir wirklich sehr anstrengend vor…

Jasmin Böhm:Emil musste richtig mithelfen beim Wasserholen, zu den Toiletten gehen etc… Aber auch die Menschen um uns herum haben sehr viel geholfen. Sie waren alle so lieb zu uns, haben für uns eingekauft und ich wurde richtig umsorgt. Es gab sogar Leute, die mir die Schlüssel zu ihrer Wohnung in Marseille gaben, als ich dort einen Arzttermin hatte. Und die habe ich nur einen Tag gekannt. Einfach unglaublich.

— Habt ihr außer diesen drei Wochen auch an anderen Orten mehr Zeit verbracht?

Jasmin Böhm:In der Zeit nach dem Bänderriss bin ich es extrem langsam angegangen. Wir sind zwar weiterhin täglich so lange Strecken gefahren, aber wenn es uns wo gefallen hat, sind wir länger geblieben.

Ich hatte auch tatsächlich das Gefühl, dass wir vor dem Bänderriss zu schnell unterwegs waren, fast ein wenig im Stress. Die Verletzung hat mich daher richtig entschleunigt. Da musste ich geduldig sein, sonst wäre es vorbei gewesen.

Als es danach weiterging, war ich über jeden Kilometer richtig dankbar. Es war dann auch egal, wie weit wir es tatsächlich schaffen würden. Wir wussten, Marokko kann es nicht mehr werden, und wir ließen uns treiben. Gerade am Meer haben wir sehr viele schöne Plätze gefunden.

— Wie war dein Gefühl, als die Reise vorbei war?

Jasmin Böhm:Es war zunächst ein Gefühl der vollkommenen Überwältigung, aber auch ein ambivalentes Gefühl: Gleichzeitig Freude über das Ankommen, da die Anstrengung doch groß war, aber durchaus ein Widerwille, das Ziel erreicht zu haben. Wir sind schließlich monatelang immer weiter Richtung Küste gefahren und dann steht man auf einmal an und fährt mit dem Zug wieder retour.

Auch das war einerseits absurd, denn die ganze Landschaft, die wir beim Runterfahren gesehen haben, raste dann im Zug an uns vorbei. Andererseits war es aber auch cool, denn so konnten wir die ganze Reise noch einmal Revue passieren lassen.

— Wie lange hat die Rückreise gedauert?

Jasmin Böhm:Mindestens eine Woche, das war auch gut so, denn so konnten wir uns an den Gedanken gewöhnen (lacht).

— Wie war es, zu Hause anzukommen und wieder ein richtiges Bett zu haben?

Jasmin Böhm:Ich habe es nicht vermisst, als ich unterwegs war. Doch ins eigene Bett zu fallen ist schon ein tolles Gefühl und auch wieder in der eigenen Wohnung zu sein, die einem riesig und luxuriös vorkommt. Da denke ich jedes Mal: "Wow, was für ein Palast und Luxus, eine Waschmaschine, Kühlschrank und so viele Steckdosen!" (lacht) Dabei sind es nur 50 Quadratmeter. Aber wenn ich daheim bin, vermisse ich es nach drei Tagen schon wieder, draußen zu sein (lacht).

— Wie war es für dich, nonstop die Verantwortung zu haben, ohne Verschnaufpause?

Jasmin Böhm:Für mich war es unglaublich entspannend, keine drei Jobs mehr zu haben (lacht). Ich war immer schon alleinerziehend, das kannte ich nicht anders. Aber die Kombination aus allem, das war mir zu viel. Daher war es purer Luxus, mich nur noch um meinen Sohn zu kümmern, ein Essen und einen Schlafplatz zu organisieren. Es war für mich also nicht anstrengend, sondern einfach nur schön.

Emil war auch die ganze Zeit so gut gelaunt, ich kann mich nicht daran erinnern, dass er geweint hätte oder unzufrieden war. Jetzt wieder zu Hause wird andauernd diskutiert (lacht). Ich weiß nicht, woran es liegt, aber auf der Tour verstehen wir uns viel besser als daheim. Da ist es sehr harmonisch.

— Zu Beginn schreibst du im Buch vom Traumjob im Museum. Ist das immer noch so?

Jasmin Böhm:Ich weiß selbst nicht genau, ob ich das noch will. Vielleicht als selbstständige Kuratorin, denn auch im Museum wären das sehr undankbare Arbeitszeiten. Viele Veranstaltungen und Überstunden, das kann ich mir gar nicht mehr vorstellen.

— Wie schaut es mit deinem Doktorat aus?

Jasmin Böhm:Das möchte ich auf jeden Fall fertigmachen, denn das Schreiben macht mir viel Spaß, sowohl Bücher schreiben als auch wissenschaftliches Arbeiten. Das nächste Projekt ist aber mein Roman.

— Was würdest du Menschen raten, die mit ihrer Lebenssituation unglücklich sind?

Jasmin Böhm:Vertrauen und Mut zu haben und den ersten Schritt zu setzen, in irgendeine Richtung. Und es nicht bereuen, auch wenn es nichts wird.

— Gibt es etwas, also aufs Radfahren bezogen, dass du mit der jetzigen Erfahrung anders gemacht hättest?

Jasmin Böhm:Definitiv hätte ich gerne von Anfang an ein Gravelbike gehabt. Das wollte ich auch, doch im Fahrradgeschäft haben sie es mir ausgeredet. Die meinten, ein Trekkingbike ist besser und schicker. Meine Antwort war: "Ich möchte nichts Schickes, ich brauche etwas Praktisches." Doch ich habe mich beeinflussen lassen. Mittlerweile habe ich gelernt, meinem Gefühl zu vertrauen.

— Was war das Problem beim Trekkingbike?

Jasmin Böhm:Mehrere Dinge: Die aufrechte Haltung am Trekkingbike ist auf geraden Strecken zwar angenehmer, aber die fahre ich selten. Außerdem ist der Lenker gerade und bei der Südspanien-Tour hatte ich deshalb immer eingeschlafene Hände. Die waren am Abend oft so lange Zeit taub, dass ich manchmal dachte, es geht gar nicht mehr weg. Beim Gravelbike hingegen ist der Lenker gebogen, was den Positionswechsel der Hände erleichtert. Bei der längeren Istanbul-Tour hatte ich daher keine Probleme mit eingeschlafen Händen.

— Es darf wirklich nicht unterschätzt werden, wie wichtig die richtige Haltung und das Lenkrad sind…

Jasmin Böhm:Auf alle Fälle! Bei mir hat das nach drei Wochen angefangen und die restliche Tour angehalten. Das war sehr nervig.

— Dein Tipp an Radreisende?

Jasmin Böhm:Das richtige Rad kaufen und bei der Radhose nicht sparen (lacht).

— Du hast zuvor bereits über deinen Umgang mit Ängsten gesprochen, aber hattest du tatsächlich keine Angst als Frau, allein mit einem kleinem Kind?

Jasmin Böhm:Also Angst – nein. Die Leute waren immer so nett und am gastfreundlichsten waren die Menschen in der Türkei, das kann wirklich nichts überbieten. Sie haben uns Essen und Trinken geschenkt, dem Emil Tee in den Anhänger gereicht, das war unglaublich. Es gab allerdings einen Abschnitt auf der dritten Reise, wo sich mein Bauchgefühl gemeldet hat.

— Wieso?

Jasmin Böhm:Wir wollten ursprünglich nach Rumänien, wo die Donau ins Schwarze Meer mündet. Vier Tage bevor wir angekommen wären, passierten wir die Grenzregion Rumänien/Bulgarien und dort war es nicht schön, die Strecke war auch nicht gut. Mein Bauchgefühl sagte mir: "Da möchte ich nicht sein, ich fühle mich nicht wohl."

Ich habe auch einige Menschen getroffen, die die Strecke kannten und erzählten, dass es so weitergehen würde. Es wäre nur ein Durchhalten bis zum Ziel gewesen. Das ist nicht meins, ich will ja eine schöne Zeit haben. Also sind wir in den Zug und weg aus dieser Region. Wir sind dann in Bulgarien weitergefahren, wo es wunderschön war, eben nur nicht an der Grenze. Durch den Wechsel der Route hat es uns nach Istanbul verschlagen.

— Wohin geht deine nächste Reise?

Jasmin Böhm:Im April geht's los, da fahren wir ans Nordkap.

— Wie machst du das finanziell?

Jasmin Böhm:Also mit dem Vorschuss für mein Buch konnte ich im vergangenen Jahr länger auskommen. Mein Plan ist es, ein weiteres Buch zu schreiben, damit ich davon wieder einige Zeit leben kann. Ich gebe auch Vorträge, Lesungen und ein wenig verdiene ich noch über Instagram.

— Hast du einen Zeitplan?

Jasmin Böhm:Ich schätze, wir werden circa vier bis fünf Monate unterwegs sein. Bisher haben wir immer Drei-Monats-Touren gemacht, das wird jetzt die längste. Wir werden die Zeit, bis er in die Schule kommt, ausnützen, viel Rad fahren und generell reisen. Vor dem Nordkap erfüllen wir uns aber noch den ursprünglichen Traum und entdecken Marokko. Mal schauen, welche Abenteuer wir dort erleben…

Infos zu Jasmin Böhm


Geboren 1990, wohnt in Offenbach, Deutschland
August 2018: Geburt von Sohn Emil
Kunstgeschichte und Soziologie-Studium, derzeit Doktorandin in Kunstgeschichte
Zwei Jahre lang drei Jobs gleichzeitig: Lehrerin, Galerieassistentin in einer Kunstgalerie und Dozentin an der Hochschule; daneben Arbeit an der Doktorarbeit
Bayern-Tour: ca. 650–700 km, Emil 1,5 Jahre
Südspanien-Tour: ca. 2.800 km, Emil knapp 3 Jahre
Istanbul-Route: ca. 3.200 km, Emil 4 Jahre
Nächste geplante Route: Nordkap, 4.000 km
Buch: "Hallo Glück, dich gibt's ja doch!", Kailash Verlag
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