Die Stadt als Parkour

Freerunner und Athlet Sascha "Cionn" Hauser hat ein Parkour-Auge. Er geht durch die Stadt und sieht Hindernisse als Herausforderungen. Er fliegt und springt über Geländer und Mauern.

Wir bewegen uns jeden Tag. Das Ziel dabei ist immer gleich: Man möchte von A nach B kommen – egal ob mit dem Auto, dem Fahrrad, dem Bus oder zu Fuß. Athlet Sascha Hauser möchte noch viel mehr, er spielt ein kreatives Spiel mit der urbanen Umgebung.

Seit 14 Jahren ist seine Leidenschaft: Freerunning. Egal ob ein Sprung, Salto, Rad oder Flickflack – Grenzen gibt es bei dieser Fortbewegung durch die Stadt keine. Wie eine Katze springt er von Geländer zu Geländer, von Mauer zu Mauer – manchmal drei Meter weit –, geht mit Parkour-Auge durch die Straßen, setzt den Tunnelblick auf.

Seinen Künstlernamen "Cionn" hat ihm ein Freund gegeben – in Anlehnung an den Film "Matrix".

"Ich war sehr inspiriert von dem Science-Fiction-Film und wollte mich bewegen wie Neo, die Hauptfigur. Aber auch die Ninja-Krieger haben mich immer begeistert, wie sie Bäume hinauflaufen und Saltos springen", erzählt der Freerunner.


"Ein Rückwärts-Salto ist für mich Basic"

— Warst du schon als Kind der Bub, der immer ganz oben am Baum oder Gerüst war?

Sascha Hauser:Ich war immer schon hyperaktiv (lacht), bin von Zäunen und Mauern gesprungen und liebte es, "Räuber und Gendarm" zu spielen. Ich habe als Kind Kampfsport gelernt – Hapkido und Jiu Jitsu. Ich wollte mich verteidigen können. Saltos bin ich immer schon gesprungen. Ich habe sogar als Kind ein paar Schilling verdient, wenn ich im Kaffeehaus einen Rückwärtssalto aus dem Stand gemacht habe (lacht).

Dann kamen Turmspringen und Kunstturnen dazu und ich wurde in den Leistungskader aufgenommen. Es war mir dann aber zu viel Disziplin dahinter. Als Teenager wollte ich meine Jugend leben.

— Wie bist du auf Freerunning gekommen?

Sascha Hauser:Vor 14 Jahren habe ich im Fernsehen eine Dokumentation gesehen, in der verrückte Franzosen über Stiegenaufgänge und Rolltreppen gesprungen sind, gelandet sind wie Katzen. Zum ersten Mal ist der Ausdruck "Le Parcour" gefallen. Diese Franzosen haben sich "Traceure" genannt, das heißt übersetzt Läufer – jemand, der seinen Weg geht oder seine Linie zieht. Der Begründer des Parkour ist übrigens der Franzose David Belle (Schauspieler und Traceur, siehe Video).



— Und wie ging es weiter?

Sascha Hauser:Ich habe dann den ersten Freerunner in Wien kennengelernt, täglich trainiert, wurde immer besser und auch für Werbespots gebucht. Wir legen in der Szene großen Wert drauf, dass zwischen Parkour und Freerunning differenziert wird. Parkour ist das schnelle, effiziente Vorankommen von A nach B – ohne Saltos, den die würden ja nur aufhalten. Freerunning ist das kreative Spiel mit der urbanen Umgebung. Mittlerweile ist ohnehin ein Mix daraus entstanden. Es soll einfach nur Spaß machen.

"Hast du Angst zu fallen, fällst du"

—  Das klingt alles sehr waghalsig. Wie sieht es mit Verletzungen aus?

Sascha Hauser:Freerunner verletzen sich so gut wie nicht. Ich reduziere das Unfallrisiko auf ein Minimum. Viel Präventionsarbeit steckt dahinter. Ich taste mich langsam heran – ich springe nicht einfach und schaue, was passiert. Ich gehe die Strecke vorher ab und ich übe mit meinen Freunden jeden Move in der Turnhalle auf sicherem Boden. Wenn der Sprung 500 Mal funktioniert hat, dann klappt er auch draußen. In Wien gibt es übrigens zwei Outdoor-Parkour-Parks in Liesing und bei der SCN.






Ich lasse kein Adrenalin zu – ein ruhiger Puls ist wichtig.






Sascha Hauser, Freerunner
—  Hattest du früher Angst, wenn du außerhalb der Turnhalle warst?

Sascha Hauser:Ich hatte früher tatsächlich Höhenangst, die habe ich mir abtrainiert (lacht). Ansonsten habe ich keine Angst. Ich warte auf den richtigen Moment. Ich lasse kein Adrenalin zu, sonst würde ich meinen Körper nicht mehr spüren. Es würde zu stark kribbeln und ich würde beim Sprung nicht richtig aufkommen, nicht kontrolliert landen. Ein ruhiger Puls ist wichtig. Ich spüre es im Bauch, wenn es so weit ist, und springe dann. Ich lebe im Hier und Jetzt. Auch während des Sprungs bin ich im Moment. Ich sage immer: "Choose not to fall", dann fällt man auch nicht. Hast du Angst zu fallen, fällst du. 

—  Hilft dir das fokussierte Im-Hier-und-Jetzt-Sein auch im Alltag?

Sascha Hauser: Ich habe einen Autounfall als Beifahrer miterlebt. Ich hatte zwar einen Schock, aber in dem Moment habe ich nur funktioniert. Ich wusste, es ist eine gefährliche Situation, die muss ich meistern, egal was passiert. Das ­Auto hat sich ein paar Mal gedreht und dann einmal überschlagen. Es lief alles wie in Zeitlupe ab. In jeder Sekunde wusste ich, wo ich bin und wie ich meine Kräfte einsetzen muss, damit ich mich nicht verletze. 

"Wenn etwas Spaß macht, ist man motiviert und macht es sehr oft. So wird man ganz schnell zum Profi."

"Das, was man sagt oder denkt, passiert auch"

—  Hast du als Freizeitpädagoge Tipps für Eltern, die sehr aktive Kinder haben? 

Sascha Hauser:Bewegung, Bewegung – so viel wie möglich. Danach können die Kinder auch ruhig sitzen, um zu lernen. Ich würde einem sportlichen Kind am Spielplatz, wenn es auf eine angemessene Höhe klettert, niemals sagen: Komm herunter, das ist zu gefährlich, du tust dir sonst weh. Denn was passiert beim Kind im Unterbewusstsein? Sie hören: Ich tu mir weh. 

Steckbrief: Sascha "Cionn" Hauser


Geboren am 31. 8. 1977 in Wien  
Gelernter Maurer und Fliesenleger  
Wiener Vize-Landesmeister im Turmspringen (1988)  
Wiener Landesmeister im Kunstturnen (1989)  
Freerunning seit 2005  
Stuntman, vor allem in Werbespots (2008 bis 2014)  
Athlet bei der Barclaycard World Freerunning Championship in England (2008) und Kampfrichter (2009)  
Ausbildung zum Freizeitpädagogen, Schwerpunkt Bewegung für Kinder (2015)  
www.youtube.com/cionn 
www.instagram.com/cionninni