Der V-Mann

Eine Legende wird 90: Kurt Bergmann, das Technik-Genie aus der Vorstadt, blickt zurück auf sein aufregendes Leben im Motorsport.

Rote Jacke, schlohweißer Bür­stenhaarschnitt, die Brille zur Stirn hochgeschoben, Schalk in den blauen Augen. Der ältere Herr, den wir zum Interview treffen, ist eine Legende des Motorsports. Und Erich Breinsberg, früher einer seiner erfolgreichsten Piloten, hat dieses Treffen möglich gemacht. Damit ich’s ja nicht vergesse, drück ich der Legende gleich die mitgebrachte Torte in die Hand und sag: „Happy Birthday, Masta Bergmann, alles Gute zum 90er!“ 

Der Bergmann lacht: „Geburtstag hatte ich im Jänner, aber die Party ist verschoben. Erst waun der Niki wieder g’sund ist, feier ma!“ Niki Lauda also, dreifacher Formel-1-Weltmeister. Für ihn waren Bergmann und die Formel V die Steigbügel in die Königsklasse.

Im erfrischenden Wiener Dialekt führt uns Kurt Bergmann zurück in die frühen 1960er-Jahre. Die Zeit, als Jochen Rindt in England erste Formel-2-Erfolge einfährt: darunter ein Sieg in Crystal Palace in London gegen den amtierenden Formel-1-Weltmeister Graham Hill. Rindts Erfolge lassen das Interesse an Autorennen nach Europa überschwappen. Bergmann erinnert sich: „Der Rindt hat den Motorsport nach Deutschland und Österreich gebracht. Ohne ihn hätte sich auch die Formel V nicht durchgesetzt.“

Masta im Talk

Der Automechaniker-Meister Kurt Bergmann ist fasziniert vom Motorsport, fährt bereits erste Rennen im Gokart. Vom Dach­fenster seiner Kfz-Werkstatt in Essling sieht Bergmann dann zum ersten Mal einen richtigen Rennwagen, drüben auf dem Flugplatz von Aspern. „Ich hob gar ned g’wusst, wie so a Rennauto ausschaut.“ Schon Jahre zuvor war in den Vereinigten Staaten eine zündende Idee entstanden: günstiger Motorsport, betrieben mit serienmäßigen VW-Käfer-Bauteilen. Man nennt es Formula Vee, auf Deutsch Formel Vau. Das V steht für VW, ein bissl auch für verrückt. Aber die Idee funktioniert. Was damals niemand ahnen konnte: Die Formel V wird zur größten Nachwuchs-Serie aller Zeiten, mit zeitweise mehr als 3.000 Rennern weltweit. 

Die Formel V zündet

Es ist Porsche-Rennleiter Huschke von Hanstein, der 1965 zehn amerikanische Formel-V-Rennwagen, sogenannte Beach Cars und Form Cars, kauft und sie in Innsbruck der heimischen Kart-Elite präsentiert. Auch Kurt Bergmann ist eingeladen, darf sich ein Beach Car für drei Wochen ausleihen – Nachbau erwünscht. „Mein Auto war schöner als das der Amis“, erzählt Bergmann. „Aber es war eine Kraxn, das zweite auch. Beide zum Schmeißen!“ Bergmann baut ein drittes Auto, das ist deutlich besser. Nun ist die Formel V in Österreich angekommen. Bergmanns härteste Konkurrenz kommt aus dem eigenen Land, das Austro-V-Team von Porsche Salzburg.


Die Geschichte der Formel V in Österreich


Seine ersten Beach Cars fährt Bergmann noch selbst, ohne nennenswerten Erfolg. Sein fahrerisches Talent ist deutlich geringer als das technische. Und dann kommt d­er junge Dieter Quester, prahlt, dass er schon Bergrennen gefahren sei, und überredet Kurt Bergmann, ihn in dessen Auto fahren zu lassen. Quester ist auf Anhieb schnell. 1967 gewinnt er das erste Rennen auf dem Flugplatz Langenlebarn. Quester dazu: „Ich bin schuld, dass der Kurtl danach nur mehr Teamchef und Autobauer war.“ Ein Student, Erich „Kamikaze“ Glavitza, klebt ein Pickerl aufs Auto: ein grünes Krokodil auf rotem Untergrund. Das Kaimann-Racing-Team ist geboren. Das Krokodil ist von nun an die Wunsch-Marke für alle benzinsüchtigen Glüher, fast so wie das schwarze Pferd von Ferrari. Und Essling wird zum österreichischen Maranello. 

Bergmann kommt auf Touren

Kurt Bergmann, den die Piloten nunmehr „Masta“ nennen, lässt seine Rennwagen – ohne Nummerntafeln – schon zeitig in der Früh zum Testen auf den Flugplatz von Aspern rüberfahren, noch bevor die ersten Flugzeuge landen. „Die Polizei hat einfach wegg’schaut. So haben wir unsere neuesten Teile und diverse Abstimmungen immer gleich ausprobiert.“ Ein klarer Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Aber irgendwann regen sich die Leut auf – wegen des Lärms.

Damals war für die Formel V noch der 1.300er-VW-Motor mit 60 PS vorgegeben. Die Herausforderung war das Chassis. Kurt Bergmann lernt Fritz Indra kennen, Assistent an der TU Wien. Indra ist kreativ, bringt neue Ideen. Bei Nacht und Nebel baut er mit Heinz Lippitsch auf der Uni den Tor­sionsturm, ein neuartiges, um die Mitte versteiftes Chassis, das mehr Stabilität und Abtrieb in den Kurven bringt. Damit wird der Kaimann zum Siegerauto.

Kurt Bergmann: „Die Begeisterung über die Siege war wie eine Droge. Ich hab Tag und Nacht gearbeitet, hab mich gefühlt, als hätte ich den Motorsport geboren, konnte ohne ihn nicht mehr leben.“ In Bergmanns Opel-Werkstatt in Essling werden zwischen den Autos der Laufkundschaft immer mehr Formel V, später dann auch die stärkeren ­Super-V-Renner gebaut: immer besser, immer schneller. Geld kommt ins Haus. Vieles wird für Material wieder ausgegeben. Bergmanns Frau Hannerl behält den Überblick, hält alles zusammen.

Kaimann: Erfolge auf allen Linien

Über Jahre hinweg rennen die besten Fahrer Bergmann die Tür ein, alle wollen für den Masta fahren: „Eingeladen hab ich niemand, sie sind alle zu mir gekommen!“ Günter Huber, Peter Peter, der Junior der Handschuh-Dynastie, den sie nur den „Fäustling“ rufen. Und Helmut Marko, der Jurist aus Graz. Was alle Red-Bull-Junioren von heute wissen sollten: Ihr Chef, der „Doktor“, der stets den harten Hund markiert, gab früher nicht nur auf der Strecke Vollgas. Er hat Unmengen an Schnaps vertragen und oft noch vor den Rennen bis in die frühen Morgenstunden gepokert. Auch ohne Schlaf war er am nächsten Morgen der Schnellste. 

Helmut Marko fährt auch allein nach Frankreich, nach Monthléry, will sich mit den Franzosen und Engländern matchen. Bergmann gibt ihm den Lastwagen, ein Monoposto, vier Zündkerzen, Öl und ein bisserl Rennsprit mit. Marko gewinnt und verkauft Rennauto samt Laster vor Ort. Typisch Marko: Geschickt handelt er sich mit dem „Masta“ dann noch eine Provision aus. Kurt Bergmann ist sicher: „Wenn dem Helmut das mit dem Aug nicht passiert wäre, er wär bestimmt Formel-1-Weltmeister geworden.“

„Der Bergmann war im Grund viel zu gut zu uns Fahrern“, sagt Dieter Quester heute. „Ganz anders als der Carlo Abarth, dem ­waren nur die Autos wichtig!“ Einmal, als Kurt Bergmann in Deutschland unterwegs ist, fährt Dieter Quester ein Rennen in ­Aspern. Seine Reifen sind hinüber, aber er weiß, drüben in Bergmanns Werkstatt gibt es noch vier brandneue. Er bricht das Fenster auf und holt die Pneus. „Der Kurtl war danach fuchs­teufelswild, auch die Hannerl. Wir sind g’schiedene Leut, hat er geschrien“, erzählt Quester. Aber der Kurt Bergmann hat ein patzweiches Herz, schon am nächsten Tag war alles wieder vergessen. Quester dankt es ihm mit einem Sieg beim Grand Prix auf den Bahamas. Dazu muss man wissen, dass damals auch besser gestellte Österreicher maximal auf Rhodos oder den Kanaren ihre Urlaube verbringen.

Auch Erich Breinsberg gehört nun zum Kaimann-Team. Bislang war er auf einer Monoposto-Eigenkonstruktion unterwegs. Das Verhältnis Breinsberg und Bergmann passt perfekt: Breinsberg gewinnt auf Kaimann 1970 den Europapokal und 1971 den Super-V-Goldpokal, eine internationale Serie aus 20 Europa-Rennen. Und den World Cup, die inoffizielle Formel-V-Weltmeisterschaft. Gewertet werden die Rennen von Hockenheim und Daytona. Breinsberg gewinnt in Daytona hauchdünn vor dem us-Meister Tom Davey. Eine Genugtuung für Kurt Bergmann, der jahrelang von den Amis mit fragwürdigen Mitteln ausgetrickst wurde. Im Überschwang und weil er die Wette gegen den frisch ge­backenen Weltmeister verloren hatte, springt der Masta im Sonntagsanzug in den Pool.

Im Highspeed-Oval von Daytona fiel jedes Jahr die Entscheidung in der Formel-V-Weltmeisterschaft.

1969 legt Heinz Lauda, Generaldirektor der Veitscher Magnesitwerke, Kurt Bergmann seinen Neffen Nikolaus ans Herz. Bergmann ist skeptisch: „Wie er so dag’standen ist, schmächtig mit Steirerhut und dem Regenschirm in der Hand.“ Zu dieser Zeit reist das Kaimann-Team im 14-Tage-Rhythmus durch Europa: Deutschland, Schweden, Finnland. Kurt Bergmann will Lauda eine Chance geben, schickt ihn im Opel Blitz, die Renn­wagen auf dem Hänger, nach Finnland. Bergmann und Marko reisen per Flugzeug. Wenn Lauda die Ladung heil raufbringt, darf er das dritte Auto fahren, das ist der Deal. Lauda schafft die Fahrt und legt eine Talentprobe ab, wird Dritter. Auf der Heimfahrt bricht am Hänger die Deichsel. Verzweifelt ruft Lauda in Essling an. Bergmann ist genervt: „Blöder Bua, lass den Dreck schwaßen und fahr ham!“ 

Lauda setzt sich durch. Ganz ohne Kart-Erfahrung bewegt er den Monoposto gekonnt am Limit, setzt auch dem arrivierten Breinsberg zu. Und Lauda besitzt außergewöhnliches technisches Verständnis, diskutiert stundenlang mit den Mechanikern. „Helfen hätte er ihnen ja eh nicht können, dazu war er körperlich zu schwach“, lacht Kurt Bergmann.

Kaimann als Sprungbrett in die Formel 1

Viele spätere Formel-1-Piloten fuhren in Bergmanns Autos. Harald Ertl, Jochen Mass, Keke Rosberg, Formel-1-Weltmeister 1982. Es war die goldene Zeit der Formel V. Bergmann erinnert sich: „Der Keke war schnell, aber schwierig.“ Rosberg lebt im Wohnwagen auf dem Campingplatz von Zell am See. Wenn Bergmann beim Platzwart anruft, verlangt er einfach nach dem Finnen.

Später stoßen auch Helmut Koinigg und Jo Gartner zum Kaimann-Team. Gartner ­arbeitet auch als Techniker in Essling. „Er war exzellent, trotzdem ham wir fast täglich g’stritten“, erinnert sich Bergmann. Gartner dokumentiert die in den Rennern verbauten Materialien. Jeder Bauteil wird gelistet. Zu jener Zeit fordert der Motorsport ­immer wieder Opfer. Und so verunglücken auch ehemalige Kaimann-Piloten: Helmut Koinigg 1974 in Watkins Glen in dem F1-Surtees, in dem Dieter Quester in Zeltweg Neunter wurde. Und Jo Gartner 1986 im Porsche auf der Mulsanne von Le Mans.

Das Ende der VW-Käfer-Produktion in Europa ist irgendwannn auch der Schluss-­Akkord für Formel V und Super V. Aber Kurt Bergmann will es noch einmal wissen. Er baut für VW ein Pikes-Peak-Auto. Mit zwei jeweils vorn und hinten längsverbauten Motoren. Mit einer brachialen Leistung von 670 PS im Renntrimm sollte der Überdrübergolf in der dünnen Luft von Colorado die Dominanz der Unser-Family und von Walter Röhrl im Audi quattro brechen. Ein Aufhängungsbruch dreihundert Meter vor dem Ziel verhindert die Sensation. Später will Kurt Bergmann die schwarze Witwe, das Tourenwagen-Monster von Opel, auf einen Vierventiler umbauen. Doch der Wagen wird gestohlen, taucht nie mehr auf. „Da war weder a Motor noch a Getriebe drin“, wundert sich Bergmann. 

Irgendwann übergibt er den Kfz-Betrieb an seinen Sohn Peter. Baut von nun an mit Begeisterung Hubschrauber- und U-Boot-Modelle. Erich Breinsberg schenkt ihm zum Geburtstag noch einen Modell-Flugkurs. ­Alles scheint perfekt. Doch dann stirbt völlig überraschend der Sohn. Betrieb und Lebenswerk schlittern in den Konkurs. Nun geht es auch um die Existenz der Bergmanns, ihr Wohnrecht ist nicht abgesichert. Als es nicht gelingt, das Wohnrecht aus der Konkursmasse herauszukaufen, hilft Erich Breinsberg in der Not. Er erwirbt für das Autohaus Liewers die Liegenschaft. Die Bergmanns dürfen bleiben.

Heute, zum 90. Geburtstag, blickt Kurt Bergmann zurück: „Ich hatte ein aufregendes Leben. Hab über 200 Rennwagen gebaut, kaum Rücksicht auf mich genommen, aber ich war glücklich.“ Im Moment hofft Kurt Bergmann auf eine baldige Genesung von Niki – der ihn in den letzten Jahren immer wieder zum Grand Prix nach Spielberg eingeladen hatte. Dort wollte der Masta immer gleich in die Box, um die Formel-1-Autos zu sehen. Denn: „Nur herumsitzen, ein bissl tratschen und was essen, des is nix. Da hätt ich ja gleich daheim bleiben können!“