Der Serien-Klarsteller

Als neuer Boss der DTM hat Gerhard Berger die populäre Tourenwagen-Meisterschaft wieder ins sportliche Rampenlicht gerückt. Zum Saisonstart: ein Gespräch über Familien-Gene, Elektro-Hype, Imola '89 und das Älterwerden.

Seien wir uns ehrlich: Niki Lauda mag vielleicht der objektiv erfolgreichste Formel-1-Fahrer Österreichs sein, Jochen Rindt diskussionslos der historisch wichtigste und Alexander Wurz der erste der jungen Generation, der die Telemetrie stets schon im Kopf analysiert hatte, bevor das Team die Daten überhaupt auf den Bildschirm bekam.

Aber: Geht's – ganz abseits von Erfolgen – nur nach den Sympathie-Werten der heimischen Fans, wird immer nur einer ganz oben am Stockerl stehen: Gerhard Berger.

210 Rennen hat der 58-jährige Tiroler in seiner aktiven Formel-1-Zeit absolviert, 10 davon gewonnen. Darunter prestigeträchtige Ferrari-Siege in Italien und oft gegen Konkurrenten, die Senna, Mansell, Piquet oder Schumacher hießen.

Dieser Tage startet der "sechsbeinige Hund" in seine zweite Saison als DTM-Chef. Vorher blieb aber noch Zeit für ein launiges Interview mit dem auto touring.

Früher war ich einmal in der Woche bei der Polizei, um meine Strafen abzuholen. Das wurde akzeptiert und alle meinten nur, das ist halt der Berger, der ist verrückt.

Gerhard Berger, österreichische Formel-1-Legende

… über Berger-Gene, Vettel und E-Motorsport

– Herr Berger, sie haben im Vorjahr die DTM klug umgekrempelt, die Rennen waren spannend, die Fans happy. Zum Saisonstart am 4. Mai in Hockenheim sitzt auch ihr 23-jähriger Neffe Lucas Auer wieder im Cockpit. Bekommt er Tipps vom berühmten Onkel?

Gerhard Berger:Lucas hat zuerst einmal die Berger-Gene, das hat Vor- und Nachteile. In meiner aktiven Zeit war ich abseits der Strecke kein Kind von Traurigkeit, da kann ich ihm mit meiner Erfahrung speziell die Nachteile ganz gut schildern (lacht). Für meinen Geschmack braucht der Bub aber trotz seiner Erfolge immer zwei Jahre zu lang, bis er einen Rat versteht. Andererseits denk ich mir, so blutjunge Roboter-Typen willst ja auch nicht heranziehen. Einen Sebastian Vettel zum Beispiel hat nie was anderes interessiert außer Rennfahren. Der war mit 19 mental schon 25 Jahre alt, das ist sicher nicht normal. Mein Neffe ist aber gottseidank schon normal.



75 Minuten Schulterblick bei der DTM in Spielberg 2017: ungeschnitten aus der Onboard-Perspektive von Berger-Neffe Lucas Auer.

– Lucas fährt für Mercedes, eine traditionell wichtige DTM-Marke, die nun überraschend angekündigt hat, sich im nächsten Jahr aus der Serie zurückzuziehen und verstärkt in der Formel E zu agieren. Ärgert sie das?

Gerhard Berger:Ärgern ist das falsche Wort. Ich finde es schade, weil ich Mercedes notwendig gebraucht hätte. Die waren bisher extrem kooperativ und konstruktiv. Sie zu verlieren schmerzt, spornt mich gleichzeitig aber auch an, neue Marken in die Serie zu holen.

– Was halten Sie als Ex-F1-Pilot eigentlich von der immer populär werdenden Formel E?

Gerhard Berger:Ich stehe dem extrem kritisch gegenüber, da ich einer Generation angehöre, die Rennsport im klassischen Sinne versteht, also laute Motoren und so. In dieser elektrifizierten Serie fehlen mir diese Emotionen komplett. Aber wie gesagt: Ich stamme aus einer anderen Zeit und bin da vielleicht manchmal auch nicht ganz fair.

Die Formel-1-Autos des Gerhard Berger

… über Motorsound, Heimat und Jugend

– Sie waren in der Formel 1 noch mit den irren Zwölfzylinder-Aggregaten unterwegs. Werden wir in absehbarer Zeit überhaupt noch brüllende Rennmotoren hören?

Gerhard Berger:Im Rennsport kommen die Menschen zur Strecke, um Show und Emotionen zu erleben. Das ist ja das Schöne im Leben, dass man oft Dinge tut, die unvernünftig sind und einfach der Befriedigung eines Hobbys dienen. Womit wir wieder beim Zwölfzylinder wären, der schönsten Form des Wahnsinns (lacht). Geht's nach den Spezialisten der Autoindustrie, surfen sie heute zwar alle auf der Elektro-Welle, weil's einfach vom Image her super passt. Aber wenn du unter vier Augen mit ihnen sprichst, sagt jeder, naja, der Verbrennungsmotor hat schon noch Reserven, die für die Umwelt ganz g'scheit wären. Die glauben gar nicht wirklich an die völlige Elektrifizierung. Woran sie glauben, sind Hybride und das E-Fahrzeug in der Stadt, um die Umweltbelastung lokal zu senken. Und dann ist ja da auch noch das große Thema Akku-Recycling, wo es überhaupt noch keine Lösung gibt.



GP Monaco 1995, eine Runde mit Gerhard Berger vor seiner damaligen Haustür: Die Hinterachse sitzt locker, Bergers stets selbst-attestierter "Grundspeed" hat gut zu tun, der V12 im Heck des Ferrari 412 T2 kreischt, wie das heutige Reglement-Wahrheitsministerium nicht einmal mehr zu denken erlauben würde. 

– Sie sind vor kurzem von Monaco zurück in ihre Heimat Tirol gezogen. Wie war das Heimkommen?

Gerhard Berger:Traumhaft, ich blühe richtig auf. Man muss erst ein bisschen älter werden, bis man das mit den eigenen Wurzeln kapiert. Neben der Sprache und den Bergen sind's vor allem die vier Jahreszeiten, die mir gefehlt haben. Monaco ist zwar nicht weit weg, aber einen richtigen Tiroler Winter gibt's dort halt nicht. Momentan genieße ich auch, dass ich für die DTM viel seltener im Flieger sitzen muss und quasi alles von zu Hause aus erledigen kann, weil ich mit dem Auto fast alle Rennen direkt vor der Nase habe. Gestern hat mich der Niki (Lauda, Anm.) angerufen, ganz gestresst am Weg nach Singapur. Da hab ich mir gedacht: Jetlag, im Hotel einchecken, zwei Tage später wieder zurück, das wär im Moment echt nix für mich.

– Haben sie eigentlich noch ihren Berufspilotenschein?

Gerhard Berger:Nein, den hab ich schon vor 20 Jahren oder so verfallen lassen. Da musst du jedes Jahr soundso viele Stunden fliegen, das wollte ich nimmer.

– Wenn Sie heute Ihre alte Hausstrecke von Wörgl rauf zum Achensee fahren, quietschen die Reifen dann noch?

Gerhard Berger:(lacht) Überhaupt nicht. Ich hab auf der Straße keine Lust mehr auf den Stress. Man glaubt's vielleicht nicht, aber ich fahre gar nicht schnell. Heute verlierst du ja sofort den Führerschein, musst diskutieren, ich stehe noch dazu in der Öffentlichkeit, das bringt alles nix. Früher war's anders, da war Autofahren in Tirol wie im Wilden Westen. Ich bin ja aufgewachsen, wie man's heute nur mehr im Film sieht. Mit 12 schon regelmäßig im Drift unterwegs, keine Nummerntafeln drauf, Autos vom Schrottplatz geholt, in der Werkstatt repariert und dann querfeldein damit. Einmal in der Woche bin ich bei der Polizei gewesen, hab dort meine Strafen abgeholt, aber alle haben akzeptiert, das ist halt der Berger, der ist verrückt. Heute komplett unvorstellbar. Es steht auch kein schnelles Privat-Spielzeug mehr in der Garage, nur ein Land Rover Defender, den ich sehr mag, weil's wurscht ist, wenn er voller Dreck ist.

… übers Rasen auf der Straße und den Unfall '89

– Was raten Sie jungen Menschen, die heute den Führerschein machen und Rennsport-Ambitionen haben?

Gerhard Berger:Flott fahren ist okay, nur sollen sie diese Freude bitte auf der Rennstrecke und niemals auf öffentlichen Straßen ausleben, das ist pure Dummheit. Viele sagen dann, das können sie sich nicht leisten. Ich sage: Blödsinn, geht's doch Kartfahren! Das kostet wenig und ist reinster Rennsport. Da hast du sofort das richtige Gefühl von Grip, Kurvenspeed, Zweikampf. Außerdem: Immer angurten, auch wenn die Strecke noch so kurz ist.

– Zum Schluss: Was war der wichtigste Moment Ihrer Fahrerkarriere, welcher danach?

Gerhard Berger:Dass ich 1989 den Unfall in Imola überlebt hab. Ich sehe den heute oft noch vor mir: Man realisiert ein Problem, dann stellt das Hirn für die paar Meter bis zur Mauer auf Zeitlupe um, es dauert ewig lang bis zum Einschlag, du überlegst noch, ob's die Radaufhängung ist, versuchst, den Einschlagwinkel zu ändern, nimmst dann die Hände vom Lenkrad und wartest. Irre, was unser Körper in ein, zwei Sekunden verarbeiten kann. Außerhalb des Cockpits gab's gleich fünf wichtigste Momente in meinem Leben: die Geburten meiner Kinder (lacht).



23. April 1989: einundzwanzig, zweiundzwanzig, Einschlag, weiterrutschen, dann das Feuer. Gerhard Bergers zweiter Geburtstag an der Tamburello-Mauer in Imola.

16 Sekunden lang…

… sitzt Gerhard Berger am 23. April 1989 im Feuer, nachdem sein Ferrari mit 290 km/h ausgangs der Tamburello-Kurve in die Mauer einschlägt. Es bleiben: verbrannte Hände und gebrochene Rippen. Fünf Jahre später crasht Bergers enger Freund Ayrton Senna, nur ein paar Meter daneben, auch in diese Mauer und stirbt. In beiden Fällen versagt die Technik, nicht der Fahrer.