Comeback mit Backpack

Gitti Müller reiste 1980 mit dem Rucksack durch Südamerika, 35 Jahre später wiederholte sie den Trip. Im Interview erzählt sie, warum es wichtig im Leben ist, die Komfortzone zu verlassen. Plus: Zahlreiche praktische Tipps zum Backpacken für Jung und Alt. 

Du bist ja verrückt!", riefen Gitti Müllers Freunde. Warum? Weil sie mit 58 Jahren nochmal mit dem Rucksack loszog? Zugegeben, etwas Alltägliches war es nicht. "Für mich ist eine Rucksackreise viel mehr eine Frage der Haltung, das hat nichts mit dem Gepäckstück zu tun", erzählt die Journalistin. "Mir geht es um das völlig freie, ungeplante und spontane Reisen."

In Ihrem Buch "Comeback mit Backpack" erzählt die Autorin von ihren Erfahrungen und springt immer wieder zurück ins Jahr 1980 – in eine Zeit, in der es noch kein Handy und Internet gab.

Schule fürs Leben

— Hat Ihr einjähriger Südamerika-Trip vor 35 Jahren Ihr Leben verändert? Und wie war es vor vier Jahren bei Ihrer zweiten Reise?






Alleine reisen bringt Farbe ins Leben und erweitert den Horizont. Das kann ich nur jedem empfehlen – ob jung oder alt.






Gitti Müller, Reisebloggerin


Gitti Müller: Die erste Reise hat mich ­total geprägt. Rückblickend gesehen war es die beste Schule. Eine Reise ist besser als jede Uni, jede Ausbildung. Man lernt flexibel und tolerant zu sein. Ich habe sehr viel über mich selbst erfahren, das hat mich in meiner Persönlichkeitsentwicklung weitergebracht. Ich bin damals mit 23 Jahren ein Jahr durch Südamerika gereist, das hat mir sehr viel Selbstvertrauen gegeben. Ich habe danach meinen Beruf aufgegeben, die Abendmatura gemacht und begonnen zu studieren – sogar im Ausland. Das alles hätte ich mich sonst nie getraut. Meine Eltern meinten damals, eine Frau braucht keine Matura. 

Und heute ist das Reisen das beste Anti-Aging-Mittel (lacht). Moderne Untersuchungen zeigen, dass das alternde Gehirn jung bleibt, wenn es Anregungen bekommt. Deswegen ist auch studieren im Alter gut. Oder eben reisen, da arbeitet auch das Gehirn. Es ist nie zu spät, seine Träume zu verwirklichen. In meinen Buch findet man auch Tipps fürs Reisen, aber es soll auch Mut machen, eingefahrene Wege zu verlassen und jenseits der Komfortzone den Horizont zu erweitern.

— Warum ist es wichtig, die Komfortzone zu verlassen?

Gitti Müller: Weil man einerseits ganz neue Erfahrungen macht, die man sonst nie machen würde. Und andererseits ist es wichtig, sich seinen Ängsten zu stellen. Jeder Mensch hat Ängste, meistens vor Dingen, die man nicht kennt. Das ist völlig in Ordnung. Ich finde es nur nicht gut, sich dem auszuliefern. Oder dass man Situationen meidet, weil man Angst hat. Das schränkt einen ja total ein, wenn man sich immer nach seinen Ängsten richtet.

Mir ist aufgefallen, dass im Nachhinein gesehen meine Bedenken meist völlig unbegründet waren. Das gibt einem unheimlich viel Vertrauen und Lebensmut. Oft werden einem Ängste von seinem Umfeld auch eingetrichtert. Wie etwa die Angst, dass man bestohlen wird. Die Angst, alleine im Dunkeln über die Straße zu gehen, oder die Angst, dass man überfallen wird.
— Und? Sind Sie in all den Jahren auf all den vielen Reisen schon einmal überfallen worden?

Gitti Müller: Auf meiner ersten langen Reise bin ich am Strand in Lima eingeschlafen und meine Kleidung und zehn US-Dollar waren weg. Ich musste dann in der Badekleidung zurück durch die Stadt zur Unterkunft, konnte mir kein Wasser kaufen. Heute kann ich darüber lachen, damals fand ich es natürlich schrecklich. Sonst ist aber nie etwas passiert, obwohl ich heute sogar mit meinem teuren Fotoequipment unterwegs bin. Generell halte ich mich natürlich an gewisse Regeln. Wenn ich an einem neuen Ort ankomme, frage ich in der Unterkunft nach, ob ich nachts alleine auf die Straße kann, wenn ja, wie lange und so weiter.

Uruguay ist ein gutes Land für Südamerika-Einsteiger: Absolut sicher, gute Infrastruktur, gute Hygiene, stabile politische Lage, freundliche Menschen und etwas europäisch geprägt, also nicht ganz so fremd.

Gitti Müller, Reisebloggerin

"Reisen erweitert den Horizont"

—  Warum nächtigen Sie auch heute noch in Hostels? Sind Sie dort die Älteste?

Gitti Müller: Ich habe schon einige 50- oder 60-Jährige getroffen – auch einen 70-Jährigen mit Rucksack. Ich bin auch gerne in Airbnbs, da wohnt man ja bei Einheimischen. In Hostels habe ich immer ein Einzelzimmer. Das Besondere dort ist, dass man schnell Kontakt hat, zum Beispiel miteinander kocht. Leute aus ganz unterschiedlichen Nationen treffen aufeinander – weltweit. Was ich spannend finde, sind die Gespräche an dem langen Esstisch. Egal ob über die Heimat, die Politik oder über den nächsten Ausflug. Man gibt einander Tipps und tauscht sich aus. 

Leute mit völlig unterschiedlichen Hintergründen treffen im Hostel aufeinander. Das ist auf so einer Reise ganz anders als auf einer organisierten Rundreise, bei der die Teilnehmer meistens aus dem selben Land kommen. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu einer freien Backpack-Reise. Wenn man alleine reist, ist man viel empfänglicher für die Kommunikation, man ist neugieriger, offener. Das erweitert den Horizont.

Wenn ich mit meinem Sohn unterwegs bin, unterhalten wir uns in unserer Muttersprache und kriegen gar nicht so mit, was um uns herum passiert. Alleine zu reisen kann für den ein oder anderen gewöhnungsbedürftig sein. Ich bin gerne mit Leuten zusammen, aber auch gerne alleine. Es kann am Anfang etwas komisch sein, aber ich rate es jedem. Probiert es aus! Das ist eine unheimliche Bereicherung, weil man so auch viel mehr Leute kennenlernt. Man ist viel offener für Kontakte und Kommunikation.

"Früher war nicht alles besser, sondern anders"

— Sie haben auf Ihrer letzten Südamerika-Reise einige Orte wieder aufgesucht, an denen Sie vor 35 Jahren auch waren. Wie war das?

Gitti Müller: Ich kann nicht sagen, dass früher alles besser war. Dinge verändern sich, aber das weiß ich ja. Ich bin neugierig auf die Veränderungen und nicht enttäuscht. Manchmal bin ich traurig, z.B. wenn ich Plastikmüll herumliegen sehe. Das gab's damals nicht. Als Beispiel möchte ich meinen Lieblingsort nehmen: der Titicacasee auf der bolivianischen Seite. 1980 sind die Reichen zum Schifahren auf den ehemaligen Gletscher Chacaltaya geflogen, heute gibt es dort keinen Schnee mehr auf rund 5.000 Meter Höhe.

Es gibt aber auch positive Veränderungen: Die indigenen Völker trugen schon damals ihre selbstgewebten bunten Ponchos, alles wirkte wunderschön, aber die Menschen wurden diskriminiert. Und heute? Heute ist der indigene Präsident Evo Morales an der Spitze in Bolivien.

Generell bin ich natürlich froh, dass ich damals noch die Chance hatte, die Welt zu entdecken. Die Natur war ökologisch intakt. Man muss aber auch bedenken, dass damals in Südamerika Militärdiktaturen herrschten, Menschenrechte wurden missachtet, Menschen wurden gefoltert und erschossen. Es gibt für alles zwei Seiten. Deswegen finde ich es auch schwierig zu sagen, es war früher schlechter oder besser – früher war es anders.

— Das Reisen an sich hat sich ja auch enorm verändert. Heute bekommt man über verschiedenste Apps die Reise am Silbertablett serviert. Im Internet findet man zu jeder Frage die passende Antwort. Wie geht es Ihnen damit?

Gitti Müller: 1980 reiste ich mit einem Notizbuch und einer Füllfeder. Wenn das Heft voll war, kaufte ich unterwegs ein neues. Heute begleitet mich mein Laptop. Ob analog oder digital, meine Erlebnisse halte ich immer fest.

Heute habe ich nichts gegen ein bisschen Komfort (lacht). Ich bin froh, dass ich die abenteuerlichen Sachen vor über 35 Jahren gemacht habe, als ich noch jung war. Damals bin ich auf klapprigen Lastwägen mitgefahren – sogar auf der sogenannten Todesstraße von La Paz in Bolivien. In meinem Buch habe ich diesem Erlebnis samt der Gelbfieber-Impfung, die ich mitten auf der Straße bekommen habe, ein Kapitel gewidmet.

Aber zurück zum digitalen Reisen: Ich finde es super praktisch, dass ich mir mein Hostel auf einer App aussuchen und auch buchen kann, anstatt mit meinem Rucksack stundenlang durch die Stadt von Tür zu Tür zu gehen. Das ist eine große Erleichterung und für mich in meinem Alter finde ich das natürlich viel besser als das, was ich vor 35 Jahren gemacht habe. Ich genieße das Reisen heutzutage. Und alles kann man doch nicht voraussehen. Manchmal ist die Bewertung für ein Hostel sehr gut, und dann muffelt es trotzdem. Aber dann kann man ja immer die Unterkunft wechseln.

Video: Gitti und ihre Rucksackreise


"Es ist nie zu spät, seine Träume zu verwirklichen"

— Sie hatten nie Bedenken, als Frau alleine unterwegs zu sein?

Gitti Müller: Ich erkundige mich immer vor Ort bei den Einheimischen, worauf ich achten muss. Ich folge aber auch meiner Intuition. Wenn ich kein gutes Gefühl habe – auch in der Unterkunft –, dann gehe ich gleich wieder. Das Bauchgefühl ist immer das i-Tüpfelchen. Und was ich immer mache: Ich lasse entweder bei meiner Freundin oder bei meinem Sohn eine Nachricht, wo ich gerade bin. Also sollte etwas passieren, dann wissen sie, wo ich mich zuletzt aufgehalten habe. Das finde ich schon wichtig, wenn man alleine unterwegs ist.

Ich kann das Reisen nur jedem empfehlen! Egal, ob jung oder alt. Zu Hause zu hocken und sich nur Gedanken zu machen, was alles passieren kann – das ist Unsinn. Ich würde nicht sagen, dass eine Reise gefährlicher ist als daheim zu bleiben. Und wenn es einem in einem Land nicht gefällt, kann man sich ja jederzeit ins Flugzeug setzen und zurückfliegen. Das ist heutzutage unser Privileg.

— Eine schnelle Whatsapp-Nachricht an die Familie – das ging aber im Jahre 1980 nicht.

Gitti Müller: Stimmt (lacht). Das ist der große Vorteil, wenn man heute unterwegs ist.

— Sie hatten Ihren Sohn erwähnt, reist der heute auch mit Rucksack? Wie ist das für Sie?

Gitti Müller: Ich habe mich einerseits gefreut, andererseits war ich besorgt. Aber ich weiß ja, wie bereichernd das ist und wie sehr eine Reise einen weiterbringt. Jetzt weiß ich, was meine Eltern damals ertragen mussten (lacht). Das war vor über 35 Jahren ja noch schlimmer, weil sie diese Ungewissheit hatten, sie wussten ja nie, wo ich war. Die Armen. Hie und da haben sie eine Postkarte bekommen. Aber das ist die Kriegsgeneration. Die sind nicht so überfürsorglich, weil sie selber auch nicht so viel Fürsorge erfahren haben. Und damals kannte man es ja auch nicht anders. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Mittlerweile kennt mein Sohn fast mehr von der Welt als ich (lacht). Er hat auch in Taiwan und Mittelamerika studiert. Er ist Ingenieur für nachhaltige Energie und zur Zeit wieder auf Reisen. Im November besuche ich ihn – ich weiß nur noch nicht wo (lacht). 

Auf meiner letzten Südamerika-Reise habe ich im Durchschnitt 60 US-Dollar am Tag ausgegeben.

Gitti Müller, Reisebloggerin

Minimalistisch packen!

— Sie erzählen in Ihrem Buch, dass Sie mit nur 9 Kilo Gepäck auskommen. Wie schaffen Sie das?

Gitti Müller: Genau! Mein Tipp ist, wenig mitzunehmen. Das macht das Reisen viel einfacher. Daheim glaubt man noch, dass man noch diesen Gürtel oder jene Schuhe brauchen wird, aber das stimmt nicht. Man vermisst auch nichts, wenn man wenig mit hat. Minimalistisch zu reisen ist so unendlich viel einfacher, weil man in fünf Minuten seine Kleidung wieder in den Rucksack gepackt hat und man die Unterkunft schnell wieder verlassen kann. Was für 3 Tage reicht, reicht auch für 3 Wochen und das wiederum reicht auch für 3 Monate (lacht).

— In Südamerika reist man ja durch viele unterschiedliche Klimazonen, befindet sich auch oft über 4.000 Metern Höhe. Wie schaffen Sie es, nur so wenig Kleidung mitzunehmen?

Gitti Müller: Eine leichte Daunenjacke habe ich natürlich mit und die kann man leicht zusammenrollen und wiegt nicht viel. Ich schaue immer, dass ich Dinge einpacke, die nicht viel wiegen – etwa ein Fleece-Pulli oder ein dünner Schi-Pulli. Ich habe auch immer ein Tuch oder einen Schal mit. Ich habe sogar immer eine Mütze mit, weil die Busse oft so stark klimatisiert sind (lacht). Mein Tipp: Von jedem Kleidungsstück nur eines mitnehmen, weil man kann vor Ort ja immer waschen. Meistens bekommt man die saubere Kleidung noch am selben Tag von den Waschstellen zurück. Das geht schnell.

Wenn man nicht alleine sein will als Alleinreisender, dann ist man es auch nicht ;-). Im Einzelzimmer gibt es sogar im Hostel immer einen Rückzugsraum.

Gitti Müller, Reisebloggerin

"Die medizinische Versorgung in Privat-Kliniken im Ausland ist top"

— Sie reisen in Südamerika immer mit den öffentlichen Bussen? Wie sind Sie in Europa mobil?

Gitti Müller: In Südamerika fahre ich mit dem Bus oder mit der Bahn. 1980 war das Fliegen ja auch sehr, sehr teuer. Wenn es nicht sein muss, dann fliege ich generell nicht. Ich wohne in Bonn und fahre mittlerweile alles mit dem Fahrrad, vor zwei Jahren habe ich mein Auto verkauft. Wenn ich in ländliche Gegenden fahre, dann nehme ich mir ein Carsharing-Auto. Ansonsten fahre ich auch gerne mit dem Zug.

— Wie halten Sie sich fit?






Eine gute Reiseversicherung kostet nicht viel und zahlt sich im Notfall aus.






Gitti Müller, Reisebloggerin


Gitti Müller: Ich mache morgens täglich Yoga – das hält jung. Meine Yoga-Matte habe ich immer mit, auch auf Reisen. Ich mache übrigens auch Face-Yoga. Das sind Gesichtsmuskel-Übungen. Das kann man überall machen und man braucht keine Matte. In Thailand und Mexiko habe ich auch gelernt, Face-Yoga zu unterrichten, auch einen Online-Kurs aufgesetzt.

Den kompletten Face-Yoga-Onlinekurs gibt es für auto touring-Leser um 15,99 Euro (statt 29,99 Euro) hier.

— Und wenn doch mal was passiert auf einer Reise?

Gitti Müller: (lacht) Soweit denke ich nicht. Aber wenn man eine gute Auslandskrankenversicherung hat – das ist nicht teuer – dann kann man auf Reisen in jedes private Spital gehen. Ich war in Chiang Mai in Nordthailand in einer Privat-Klinik und muss sagen, dass ich mir diese Behandlung daheim in Deutschland nicht leisten hätte können. In diesen Ländern geht man ja in kein öffentliches Spital. In den Privat-Kliniken ist man echt sehr gut aufgehoben.

Face-Yoga mit Gitti Müller


Gitti Müller – Autorin, Journalistin und Reisebloggerin

Steckbrief


Geboren im November 1956 in Köln  
Lebt in Bonn und Mexiko  
Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau (1976)  
Reist 1980 für ein Jahr durch Südamerika  
Auslandstudium in Peru, Universidad del Altiplano (1988)  
Ethnologische Feldforschung in Bolivien (1991)  
Freie Journalistin für TV, ­Radio und Print  
Reist 2015 erneut für 2,5 Monate mit dem Rucksack durch Südamerika
Buch: "Comeback mit Backpack. Eine Zeitreise durch Südamerika" (2017). Ab Oktober 2019 auch als Taschenbuch erhältlich. 272 Seiten, 14,40 Euro, ISBN 978-3-492-40501-0, Malik-Verlag.
Reiseblog: www.comebackmitbackpack.com
Spricht 7 Sprachen (auch 2 Indianersprachen: Aymara, Quechua)