Bahnbrecherinnen

Die Geschichte der Mobilität ist seit jeher männlich dominiert – ein historisch eklatanter Fehler. Wir stellen Frauen vor, die Bewegung in unsere Welt gebracht haben. Ihre Namen sollte man kennen.

Es ist leider eine Tatsache: Geht es nach den Geschichtsbüchern, wird die Historie unserer Mobilität fast ausschließlich von Männern geschrieben. Egal, in welcher der zahlreichen Sparten der Fortbewegung: Große Namen wie Neil Armstrong, Charles Lindbergh, Michael Schumacher oder Elon Musk sind den meisten Menschen ein Begriff, das Schaffen dieser Herren wird (zu Recht) bewundert, ihr strahlender Heldenmythos seit jeher zelebriert.

Worüber man hingegen nur selten etwas erfährt, sind die grandiosen Errungenschaften von Frauen, die jenen der genannten männlichen Kollegen um nichts nachstehen. Der einzige Unterschied: Deren Namen werden meist vergessen, ihre Gesichter sind auf Kinderzimmer-Postern kaum zu finden, Blockbuster-Verfilmungen ihrer Unternehmungen rar. Problematisch auch, dass ihr "Frau-Sein" oft als Selbstzweck missverstanden wird, der vom eigentlichen Kern ablenkt.

Der Fahrer hat von mir etwas verlangt, dem ich nicht nachkommen wollte. Außerdem war ich nach einem harten Arbeitstag einfach auch schon sehr müde.  

Rosa Parks, Bus-Passagierin (1913-2005)

Viel Feind, wenig Ehr'

Wir präsentieren: zehn Geschichten von Frauen, die zur Zeit ihres Wirkens neue Wege in Sachen Mobilität beschritten haben – im Weltraum und der Fliegerei, dem Motorsport und Automobilbau, der technischen Forschung, in punkto Politik, Umwelt und Menschenrechte oder einfach "nur" im Zuge einsamer Abenteuer.

Manche dieser Frauen werden Sie vielleicht kennen, andere vielleicht nicht. Wichtig erscheint uns: In dieser Geschichte soll es ausdrücklich nicht darum gehen, dass diese Persönlichkeiten irgendetwas besser oder früher gemacht hätten als ihre männlichen Kollegen, bloß weil sie Frauen waren. Vielmehr haben sie einfach auch etwas ganz Besonderes vollbracht. Wir möchten dennoch, oder gerade deshalb, wieder einmal vor Augen führen, dass es auf der Welt nichts, wirklich nichts gibt, das Frauen nicht genauso gut können.

Klar ist, dass unsere Auswahl natürlich nur einen Bruchteil einer langen Liste weiblicher Koryphäen auf dem Gebiet der Mobilität abbilden kann. Allen hier vorgestellten Frauen ist aber gemeinsam: Die Menschheit hat von ihren Erkundungen, Erlebnissen und Innovationen profitiert.

Was sie getan haben, war buchstäblich bahnbrechend.

Hedy Lamarr, Schauspielerin/Erfinderin

Ohne Hedwig Kiesler, so der bürgerliche Name der 1914 geborenen Wienerin, würden wir heute wohl kaum so selbstverständliche Technologien wie GPS, WLAN oder Bluetooth nutzen. Kiesler, die in ihrer ersten Karriere nach der Auswanderung in die USA in den 1930er- und 1940er-Jahren als Hollywood-Star Hedy Lamarr Furore machte (Filmausschnitt "Ekstase"), begann nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten, sich im Kampf gegen die Nazis zu engagieren und als Erfinderin Patente zu entwickeln – darunter auch das sogenannte Frequenzsprung-Verfahren, ein störungssicheres Steuersystem für Torpedos, das heute als Grundlage moderner drahtloser Datenübertragungs-Systeme gilt, ohne die unsere Mobilität nicht funktionieren würde.

Lamarr starb im Jahr 2000 in den USA und ist in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Seit 2018 verleiht die Stadt Wien den Hedy-Lamarr-Preis an innovative Wissenschaftlerinnen; momentan ist im Jüdischen Museum Wien die Ausstellung "Lady Bluetooth" zu sehen.

Amelia Earhart, Flugpionierin

Die 1897 geborene US-Amerikanerin machte mit 24 Jahren den Flugschein und erregte 1928 erstmals internationales Aufsehen, weil sie im Zuge eines 20-stündigen Nonstop-Flugs als erste Passagierin den Atlantik überquerte. Ihre überlieferte Wortmeldung nach der Landung: "Vielleicht werde ich es eines Tages alleine versuchen."

Nur vier Jahre später war es soweit: Earhart flog mit einer umgebauten Lockheed Vega 5B als erste Frau im Alleinflug über den Atlantik – von Neufundland nach Nordirland. Es folgten zahlreiche weitere Rekordflüge. Als Frauen­rechtlerin betonte sie zudem stets, mit ihren wagemutigen Unternehmungen auch zu beweisen, dass Frauen zu technischen Höchstleistungen imstande sind.

Am 2. Juli 1937 verschwanden Amelia Earhart und ihr Navigator Fred Noonan beim Versuch, die Erde am Äquator zu umrunden, spurlos im Pazifik. Als Ursache vermutet man einen Rechenfehler Noonans. Was Earhart wohl dazu sagen würde, dass heute – wie hier zu sehen – jeden Tag rein weibliche Cockpit-Crews ganz selbstverständlich in riesigen Großraum-Jets um den Erdball düsen?

Michèle Mouton, Rallyefahrerin

Dem peinlichen Klischee feuchtfröhlicher Männer-Stammtische, dass Frauen nicht einparken können, kann sie wohl nicht dienen: Die heute 69-jährige Französin Michèle Mouton gilt als erfolgreichste Rallyefahrerin der Motorsport-Historie, hat in den 1980er-Jahren mehrere WM-Läufe gewonnen, zudem als bislang einzige Frau das berüchtigte Pikes-Peak-Bergrennen in den USA – hier können wir ihr nach einem halbminütigen Männer-Geplänkel bei der spektakulären Arbeit damals zusehen.

Krönung ihrer Karriere: das Jahr 1982, als sie den Fahrer-WM-Titel nur knapp gegen die übermächtige Rallye-Legende Walter Röhrl verlor, an der damals im Prinzip jeder scheiterte.

1986 zog sich Mouton aus dem Spitzensport zurück, initiierte später das jährliche "Race of Champions"-Spektakel – bei dem sie 2010, im Alter von 69 Jahren in ihrem Original-Audi-quattro noch einmal für Staunen sorgte. Heute ist sie Präsidentin der FIA-Kommission für Frauen im Motorsport – und damit Förderin von jungen Fahrerinnen im Rennsport.

Laura Dekker, Weltumseglerin

Mit 14 Jahren hat die Neuseeländerin bewiesen, dass Teenager nicht immer Unsinn im Sinn haben. Trotz anfänglicher Bedenken der Behörden dufte Dekker nämlich am 21. August 2010 in Gibraltar ihren großen Traum starten: eine Solo-Welt-Umseglung. Der Hype um das Vorhaben des Mädchens war immens, die Kritik auch: Wie man so verantwortungslos sein kann, so der Tenor.

Die Eltern haben ihrer Tochter – die, welch Ironie, während einer Weltreise geboren wurde – aber vertraut: Nach 17 Monaten, in denen sie über die Weltmeere gesegelt war, kam Dekker am 21. Jänner 2012 wohlbehalten auf der Karibik-Insel St. Maarten an – und wurde zur jüngsten Solo-Weltumseglerin.

Heute ist sie 24 und will bald wieder starten – nicht allein, sondern mit Teenagern an Bord, die wie sie damals bereit sind, Träume einfach zu realisieren. Ihr Abenteuer hat sie damals mitgefilmt: Das ist nur der erste Teil, wo es von den Kanarischen Inseln auf den offenen Atlantik ging. Den Rest des unglaublichen Trips gibt's auf Lauras YouTube-Kanal natürlich auch zu sehen – nehmen Sie sich Zeit dafür… 

Special: "Hidden Figures"

Katherine Johnson, Mary Jackson und Dorothy Vaughan waren Mitte der 1960er-Jahre NASA-Angestellte und geniale Mathematikerinnen. 1964 wurde die Rassentrennung zwischen "Schwarzen" und "Weißen" in den USA per Civil Rights Act zwar offiziell aufgehoben – was Arbeitgeber wie zum Beispiel die Weltraumbehörde NASA aber nicht davon abgehalten hat, die Ungerechtigkeit fortzuführen.

Johnson, Jackson und Vaughan haben mit ihrem penibel-akkuraten Wissen über die damals völlig neue Computer-Technologie im Hintergrund trotzdem maßgeblich zum Erfolg der prestigeträchtigen "Mercury"- und "Apollo"-Raumprogramme beigetragen. Nicht zuletzt dank ihnen konnten weiße Astronauten wie etwa Buzz Aldrin, der zweite Mann am Mond (hier im auto touring-Exklusiv-Interview) – und damals die Helden einer ganzen Nation – vor einem Millionenpublikum im Live-TV sicher zur Erde zurückkehren.

Die Arbeitssituation der drei afroamerikanischen Mitarbeiterinnen wurde ihrer Systemrelevanz freilich nicht gerecht: Ihre Büros und Toiletten waren von denen der "weißen" Kolleginnen abgetrennt und fensterlos. Zudem konnten sie, ohne Einspruchsmöglichkeit, an andere Abteilungen "ausgeliehen" werden. Ihre damals gängige, zutiefst abfällige Berufsbezeichnung lautete: "colored computers".

Beeindruckend, dass das Trio ihren aus heutiger Sicht wegweisenden Job trotzdem durchgezogen hat. Ihre Geschichte wurde 2016 übrigens ganz toll verfilmt ("Hidden Figures") – hier der deutsche Trailer.

Eileen Collins, Space-Shuttle-Pilotin

1976 war das erste Jahr, in dem die US-Luftwaffe weibliche Piloten-Aspirantinnen erlaubte. Collins, 1956 im Bundesstaat New York geboren, war eine von vier Flugschülerinnen unter 320 männlichen Kollegen. Die studierte Mathematikerin stieg in der Hierarchie schnell auf, avancierte mit knapp 30 Jahren zur Jet-Ausbilderin.

1986 bewarb sie sich bei der NASA, wurde aber zuerst abgelehnt, worauf sie einen Abschluss in Raumfahrtmanagement erwarb. Im Februar 1995 kommandierte Collins schließlich die historisch doppelt bedeutende Mission STS-63: Sie war nicht nur die erste Pilotin eines Space Shuttle (hier das Video ihres Starts), sondern dockte erstmals auch an die russische Raumstation "Mir" (übersetzt: "Frieden") an. Heute lebt sie zurückgezogen in Texas und ist Mutter von zwei Kindern. Ihr Piloten-Rufname zur aktiven Zeit? "Mom".

Bertha Benz, Fern-Fahrerin

Dass sie die Welt bewegen wird wie keine Zweite, ist Bertha Benz gar nicht richtig bewusst, als sie 1888 nahe Heidelberg einen Apotheker in Staunen versetzt. Zehn Liter Waschbenzin über die Gasse verkauft der nicht alle Tage, schon gar nicht an eine Frau.

Was er nicht ahnt: Bertha will damit nicht ihre verschmutzte Kleidung reinigen, sondern den Patent-Motorwagen ihres Mannes Carl betanken. Dass der diesen überhaupt bauen konnte, war nicht zuletzt auch ihrer Mitgift zu verdanken, die sie 17 Jahre zuvor in die Ehe mitgebracht hatte. Bertha war schon als junges Mädchen an Technik interessiert. Doch Technik war noch reine Männersache. Klar, dass es um sie geschehen war, als Carl in ihr Leben trat, ein Mann mit der Vision einer pferdelosen Kutsche.

Nun hatte Carl Benz, der genau diese 1886 zum Patent angemeldet hatte, schon seinen dritten Motorwagen gebaut. Bloß will niemand einen kaufen. Bertha möchte etwas Werbung machen, beweisen, dass so ein Automobil weiter kommt als bis zur nächsten Ecke. Heimlich fährt sie mit ihren beiden Söhnen morgens in Mannheim los, muss unterwegs verstopfte Ventile reinigen und – so wie jetzt – den Wagen mit leerem Tank zur nächsten Apotheke schieben, denn Benzin gibt es nur dort. Ihre Fernfahrt über 194 km nach Pforzheim und zurück bringt den Durchbruch für das Auto. Jetzt wollen plötzlich viele eines haben.

Loujain al-Hathloul, Politik-Aktvistin

In unserer Auswahl hat sie im Glauben an ihre Überzeugung aktuell das schwierigste Los gezogen: Loujain al-Hathloul ist 30 Jahre alt, kommt aus Saudi-Arabien und sitzt dort seit Mai 2018 im Gefängnis. Man wirft ihr vor, den sozialen Frieden im Königreich zu gefährden, weil sie sich in dem streng patriarchalischen Land für ein Ende der männlichen Vormundschaft enga­giert.

Frauen benötigen in Saudi-Arabien etwa die Zustimmung eines männlichen Verwandten, um zu reisen oder zu arbeiten. Dennoch fuhr al-Hathloul bis zu ihrer Verhaftung stur selbst mit dem Auto, wurde 2015 von der britischen BBC deshalb sogar zur drittmächtigsten Frau Arabiens gekürt. Nicht zuletzt ihrem unermüdlichen Einsatz ist es zu verdanken, dass es Frauen in ihrer Heimat – als letztem Land der Welt – seit Juni 2018 erlaubt ist, allein Auto zu fahren. Eine echte Mobilitäts-Revolution.

DerUS-amerikanische TV-Sender HBO hat zu diesemThema eine beeindruckende Dokumentation produziert – "Saudi Women's Driving School". Hier der Gänsehaut-Trailer.

Rosa Parks, Bus-Passagierin

Vielleicht kann man sich den 1. Dezember 1955 im Leben der Rosa Parks ganz ungeplant vorstellen. Wahr ist: Bis zu diesem Tag war in den USA klar, dass "Schwarze"in öffentlichen Bussen gefälligst hinten zu sitzen haben.

Nur: An diesem Donnerstag hat es der damals 42-Jährigen wohl einfach gereicht. Sie hat sich nach vorne gesetzt, auf einen für die "Weißen"reservierten Plätze. Und wurde, nachdem sie sich geweigert hatte, diesen zu räumen, verhaftet. Die folgenden Demonstrationen der Bürgerrechtsbewegung dauerten 381 Tage und resultierten unter der Federführung von Martin Luther King unter anderem in einen Bus-Boykott – hier kommentierte TV-Aufnahmen von damals.

Resultat von Mrs. Parks' zivilem Ungehorsam: Der Oberste Gerichtshof der USA erklärte die Rassentrennung in Bussen für illegal. Fazit: nicht nur ein Meilenstein im Kampf gegen den Rassismus, sondern auch einer für das Recht auf uneingeschränkte Mobilität.

Greta Thunberg, Klimaschutz-Aktivistin

Ob die heute 17-jährige Schwedin unsere Mobilität tatsächlich nachhaltig geprägt hat, wird erst die Zukunft weisen. Fest steht, dass Thunberg in den letzten Jahren die Denkweise von Millionen (vor allem junger) Menschen verändert hat: Die von ihr ins Leben gerufenen Klima-Schulstreiks sind zur globalen "Fridays for Future“-Bewegung angewachsen und für viele Jugendliche zählt etwa das Auto längst nicht mehr als alternativloses Symbol der individuellen Fortbewegung, wie es für die Genera­tion vor ihnen noch selbstverständlich war.

Thunberg fordert eine drastische Verbesserung weltweiter Klimaschutz-Bemühungen und gilt als Lieblings-Reibebaum von Klimawandel-Leugnern. Zur Vermeidung von CO2-Emissionen reist sie selbst zu weit entfernten Veranstaltungen per Zug oder Elektroauto an – notfalls sogar mit dem Segelboot über den Atlantik.