Die dunkle Seite der Nacht

Unfälle kennen keine Sperrstund’, ist so. Deswegen kommt in Notfällen der Rettungs-Hubschrauber jetzt auch in der Nacht. Gut so! Wir waren dabei, passiv.

Ich könnte ihnen an dieser Stelle eine chronologische Auflistung jener Nacht darbieten, in der ich dem Team des Christophorus 2 in Krems über die Schulter schauen durfte. Ich könnte Ihnen, liebe Leser, kurz das Nachtsichtgerät erklären, das die Nachtflüge überhaupt erst möglich macht. Ich könnte ­Ihnen berichten, welche Einsätze die Crew flog und was vor Ort passierte.

Das könnte ich. Doch das möchte ich nicht – nicht nur. Stattdessen will ich Sie zunächst gerne zu einer anderen Perspektive einladen – und weil Bilder sprichwörtlich mehr zu sagen vermögen als tausend Worte, hat unser Videograph David hat zu diesem Behufe diesen herrlich fein pulsierenden Image-Clip geschaffen – Prädikat "Sehenswert". Wir wünschen viel Vergnügen. Filmchen ab!



Sie merken schon: Viel lieber will ich Ihnen also aus dem Hintergrund berichten, aus einer Art Meta-Perspektive. Ich möchte Sie teilhaben lassen an den Gedanken der Crew und biete Ihnen eine Partizipation an der Perfektion vor Ort an.

Denn das ist es, was mich in diesen lauen Nachtstunden im Juni so enorm beeindruckt hat: Diese unglaublich geschmeidige Perfektion. In jenen Stunden war ich daher mehr denn je zuvor in meinem journalistischen Dasein einfach nur stiller Beobachter. Lautes Fragestellen war gar nicht notwendig, irgendwie schien beinahe alles selbsterklärend bzw. selbstverständlich zu sein.

Um Fehler von vornherein zu vermeiden, gehört es dazu, die Routine mit Routine zu brechen.

Christian Reimelt, Flugretter

Freilich, die Perfektion kommt nicht von ungefähr, sie passiert gewissermaßen mit Ansage. Crew, Ausrüstung und Hubschrauber müssen stets ready to rescue sein. Das klappt, weil alles an Bord seinen fixen Platz hat, jeder seinen Bereich und seine Funktion bestens kennt, jeder Handgriff aus dem Effeff beherrscht wird. Für Fehler darf in einem so hoch verdichteten, räumlich und zeitlich begrenzten Umfeld kein Platz sein.

Christian Reimelt, der Flugretter: "Um Fehler von vornherein zu vermeiden, gehört es dazu, die Routine mit Routine zu brechen." Und das geht so: "Bei einem Landeanflug etwa benennen wir auch jene Hindernisse, die schon ewig da sind, so wie die gut sichtbaren Baukräne unweit des UK St. Pölten-Landeplatzes beispielsweise."

Mir dünkt, diese Routine zur Vermeidung von Routine ist auch für das normale Leben ein ganz brauchbarer Tipp.

So, Zeit für einen kurzen Einschnitt, damit hier nicht der Eindruck der Unhöflichkeit entsteht. Es wird Zeit, ihnen jene Crew vorzustellen, an deren Fersen wir uns heften durften. Wohlan: Vorhang auf, Bühne frei für…

Die Drei vom C2

Die erste Alarmierung…

… kommt unmittelbar nach dem Schichtwechsel und führt die Crew im Dämmerlicht ins Waldviertel. Damit die Christophorus-Crew in der Nacht unterwegs sein kann, bedarf es primär der Nachtsichtgeräte für Pilot und Flugretter sowie einiger weniger technischer Add-ons für den Hubschrauber – an dieser Stelle darf ich auf den packenden Artikel (Augen der Nacht) meines Kollegen Manfred Pfnier hinweisen, der die Vorgaben und Testphasen bereits andernorts in diesem Online-Magazin genauestens geschildert hat.

Exkurs: über das Sehen bei Nacht

Einen Steinwurf von der tschechischen Grenze entfernt geht es mittlerweile um Leben und Tod. Zwar sind Sanitäter schon vor Ort, angesichts der sich zuletzt dramatisch verschlechternden Lage wird jedoch ein Arzt benötigt. Hurtig, aber ohne Hektik macht sich die Crew auf den Weg, ich erlebe die Perfektion im Ablauf zum ersten Mal live.

Doch trotz der nahtlos ablaufenden Rettungskette, trotz aller Versuche und Rettungsmaßnahmen, stirbt der Patient. Auch das kommt vor. Mit der Trauer der Angehörigen hält auch die Nacht Einzug ins Waldviertel. Dunkelheit allerorts.

Arzt, Flugretter und Pilot nehmen diesen Umstand zumindest für den Rückflug mit an Bord. Zurück am Stützpunkt wird der Einsatz dokumentiert, die Ausrüstung wieder komplettiert, der Hubschrauber aufgetankt.

Es mag auf den ersten Blick vielleicht wenig mitfühlend wirken, aber mit der Dokumentation des Einsatzes wird meist auch der Tod zu den Akten gelegt. Und das ist vermutlich ganz gut so. Wirklich unangenehm ist der Tod nur dann, so sagt man uns, wenn es ein Kind betrifft oder eine persönliche Komponente hinzu kommt, wenn der Patient ein Bekannter oder Verwandter ist. 

Sicht auf eine Schicht

Nach einer weiteren Alarmierung, die uns brutal der ersten Schlafphase entreißt, das Herz zum Rasen bringt und das Hirn zum Schnellstart zwingt, müssen wir der Crew ­eine Frage doch ganz gezielt stellen: "Wie geht ihr mit den nächtlichen Alarmierungen um?" – "Man gewöhnt sich daran", meinen alle drei. Der Arzt, weil er im Krankenhaus sowieso Schichtdienst hat, bei Pilot und Sanitäter ­waren es die nächtlichen Ruhestörungen des eigenen Nachwuchses, die der Gewohnheit mehr Gewöhnlichkeit verschafften.

Das Ende der Nachtschicht endet in Krems mit dem schönen Ritual des gemeinsamen Frühstücks von Tag- und Nacht-Crew. Danach werde ich verabschiedet. "Ich hoffe, wir sehen uns wieder, aber nicht beruflich", ruft man mir zu. Dito, liebe Crew. Bleibt so geschmeidig, wie ihr seid.