Honda NSX: Shigeru lässt grüßen

Shigeru Uehara hat den ersten NSX entwickelt. Den gab es von 1990 bis 2005. Elf Jahre hat Honda verstreichen lassen – jetzt gibt es wieder einen Sportwagen, der den Geist des Originals in sich trägt.

Achtung, es kommt ein ziemlich schräger Vergleich, der Autokenner schocken wird: 1956 hat Fiat eine geräumige Variante des Heckmotor-Kleinwagens 600 auf den Markt gebracht, die nicht schön war, aber praktisch. Man nannte sie Multipla. Sie hatte vier Türen und bot sechs Insassen Platz. Als Fiat 1999 wieder einen kompakten Sechssitzer lancierte, trug er den gleichen Namen.

Mit dem Multipla der Fünfzigerjahre hatte er nichts zu tun, die einzigen Gemeinsamkeiten waren: sechs Sitze, seltsames Karosseriedesign. Und der Name.

Merke: Modellbezeichnungen werden gern wieder ausgegraben, wenn dem Publikum ihr ursprünglicher Träger, wenigstens ungefähr, wieder einfallen soll. Insofern ist es falsch, den neuen Honda NSX als Nachfolger des ersten NSX von 1990 zu sehen; er soll nur an diesen erinnern. Beide heißen gleich, beide sind Mittelmotor-Sportwagen. Das war's auch schon mit den faktischen Gemeinsamkeiten. Es ist die Konzeptidee, die beide verbindet.

NSX sollte damals übrigens "New Sports eXperience" bedeuten.

Der Sportwagen mit den vier Motoren

Der erste NSX von 1990 hatte einen V6-Motor, der vergleichsweise bescheidene 270 PS abgab. Doch er war das erste Serienauto mit Voll-Aluminium-Karosserie. Den Honda-Entwicklern war es wichtig zu zeigen, dass intelligenter Leichtbau auch mit einer geringeren Motorleistung auskommt, als damals von Sportwagen dieser Liga erwartet wurde, um dennoch Top-Fahrleistungen zu ermöglichen. Um dieser These hoheGlaubwürdigkeit zu verleihen, drehte man ein Filmchen, in dem McLaren-Honda-Pilot Ayrton Senna den NSX um den Kurs von Suzuka fliegen ließ.

Ähnliche Gedanken lagen auch dem neuen NSX zugrunde: technisch aufwändig konstruiert, leicht gebaut, leicht zu fahren. Doch bald, so erzählt es Jason Bilotta, verantwortlicher Entwicklungsingenieur für das Projekt, setzte sich die Erkenntnis durch, dass der NSX des 21. Jahrhunderts ausreichend Power haben müsse, um gegen andere Supersportwagen seines Kalibers bestehen zu können – der Leichtbauschmäh allein zieht heute nicht mehr.

Unter ausreichend Power sind nicht 300 bis 400 PS zu verstehen, sondern deutlich über 500, eher 600 PS. Nun hätte man bei Honda über Acht-, Zehn- oder Zwölfzylinder nachzudenken beginnen können, doch ein reiner Hochleistungsmotor allein kam für die technikverliebten Japaner nicht infrage. Auch wirtschaftliche und ökologische Aspekte wollten bedacht werden – der neue NSX musste ein Hybrid werden.

Das steckt jetzt im NSX

— V6-Doppelturbo-Mittelmotor, längs eingebaut,

— über ein 9-Gang-Doppelkupplungsgetriebe direkt verbunden mit einem Elektromotor mit Direktantrieb,

— außerdem zwei Front-Elektromotoren, die einzeln die beiden Vorderräder antreiben.

Der Sechszylinder leistet 507 PS, die zwischen 6.500 und 7.500 Umdrehungen pro Minute bereitstehen; der Elektromotor steuert weitere 48 PS bei. Die beiden E-Motoren an der Vorderachse liefern je 37 PS. Diese Motorleistungen würden sich theoretisch zu 629 PS addieren, sind aber niemals gleichzeitig zu hundert Prozent abrufbar. Durch das komplexe Zusammenspiel der vier Antriebsquellen – ein Benzinverbrenner, drei elektrisch – ergibt sich eine maximale Gesamtleistung von 581 PS und ein höchstes Drehmoment von 646 Newtonmeter.

Das System heißt bei Honda "Sport Hybrid SH-AWD", das steht für Sport Hybrid Super Handling All Wheel Drive. Sage keiner, die Japaner hätten keinen Humor.

Los geht's!

Besonders viel Aufwand hat Honda in die Aerodynamik-Entwicklung des NSX gesteckt. Es musste nämlich sicher gestellt werden, dass alle Elektromotoren (und natürlich auch der V6-Benzinmotor) ausreichend Frischluft zur Kühlung erhalten. Gleichzeitig wird die anströmende Luft so durch das Auto hindurch und an ihm entlang geführt, dass ausreichend Abtrieb entsteht, um den NSX bei hohen Geschwindigkeiten auf die Fahrbahn zu pressen. Unterluft kann bei 308 km/h Spitze niemand gebrauchen.

Fährt sich easy

Das Überraschende, Erfreuliche, Wunderbare am NSX ist die Erkenntnis, zwar in einem 308 km/h schnellen 581-PS-Geschoß zu sitzen, also einem veritablen Supersportwagen – aber dennoch nicht mit dem Auto kämpfen zu müssen wie mit einem Raubtier, das erst gezähmt werden muss, ehe es seine Fähigkeiten preisgibt. Der Honda fährt sich – je nach eingestelltem Fahrmodus – friedlich bis sehr schnell, aber nie wie ein brutales Rennwerkzeug.

Ist der "Quiet"-Modus aktiviert, lässt er sich sogar wie jedes Hybridauto allein mit elektrischer Energie (an-)fahren. Honda hat nämlich fürsorglich an die Nachbarn gedacht: Wenn der NSX-Fahrer zu nachtschlafener Zeit aufzubrechen gedenkt, bewegt in dieser Einstellung nur die vordere Twin Motor Unit den Wagen, der V6 im Heck bleibt mucksmäuschenstill; so wird der Mittelmotor-Sportler kurzzeitig zum elektrischen Fronttriebler.

Der normale Modus heißt Sport, darüber hinaus stehen noch die Einstellungen Sport+ und Track zur Verfügung, mit jeweils schärferer Leistungsabgabe im Vergleich zum "niedrigeren" Modus, späterem Eingreifen der Assistenzsysteme und dynamischer agierendem Fahrwerk.

Der Trick mit der Twin Motor Unit

So neutral wie der NSX umrundet kein anderer Mittelmotor-Sportwagen schnelle Kurven. Das ist der Twin Motor Unit (TMU) zu verdanken, die zwischen den Vorderrädern sitzt. Die beiden E-Motoren können kontinuierlich zwei unterschiedliche Drehmomente auf das linke und das rechte Vorderrad übertragen, und zwar sowohl positiv als auch negativ. Soll heißen: Jeder der beiden kann "sein" Rad je nach Fahrsituation beschleunigen oder abbremsen, und das unabhängig von seinem "Zwilling", der das gleiche mit dem anderen Vorderrad bewerkstelligt.

Der dadurch mögliche Effekt heißt Torque Vectoring und erlaubt sagenhafte Kurvengeschwindigkeiten. Es kommt mir zwar nur schwer über die Tastatur, weil es eine der schlimmsten Klischeevorstellungen der Motorjournalistensprache darstellt, doch der eine oder andere sprach es bei den ersten Probefahrten auf der Rennstrecke in Estoril laut aus: Der NSX fahre "wie auf Schienen" um die Ecken.

Ganz so habe ich es nicht empfunden, doch das Ausbleiben des starken Untersteuerns, das hoch motorisierte Mittel- oder Heckmotor-Sportwagen in zu flott angegangenen Kurveneingängen aufzuweisen pflegen, ist schon sehr angenehm. Schont nebenbei die vorderen Reifen.

Auch den Leichtbau hat Honda nicht verlernt. Wieder setzt der Hersteller auf pures Aluminium, das in Form von so genannten Strangpressprofilen das Gerippe (Spaceframe) des NSX bildet. Außerdem kommen Kohlefaser und ultrafester Stahl zum Einsatz.

Falls der voraussichtliche Listenpreis von 225.000 Euro noch nicht abschreckend auf Sie wirkt – eine präzise Preisangabe ist noch nicht verfügbar, der Betrag errechnet sich aus dem bereits bekannten offiziellen Basispreis in Deutschland (€ 180.000,–) nebst österreichischen Steuern –, können Sie trotzdem nicht gleich zum nächsten Honda-Händler marschieren und sich einen NSX einpacken lassen.

Noch 2016 sollen rund 110 Exemplare nach Europa kommen, sie werden in homöopathischer Dosis in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Monaco, Schweiz und Italien verteilt. 2017 darf mit ca. 170 NSX gerechnet werden, die ihren Weg aus dem Honda-Werk in Marysville, Ohio, nach Europa finden. Honda-Freunde mit dem nötigen Kleingeld werden sich also gedulden müssen, und auch bis zur Sichtung eines ersten NSX auf Österreichs Straßen wird noch einige Zeit vergehen.

Großes Bild