Zweites Leben

Wie Renault die Lebensdauer von Autos verlängern und damit gleichzeitig Industriearbeitsplätze retten will. Von Maria Brandl

Die Sparwelle traf das Renault-Werk Flins in der Nähe von Paris voll. 2024 sollte die legendäre Produktionsstätte von Renault-Modellen wie Dauphine, R5 oder Clio mit einst mehr als 20.000 Mitarbeitern geschlossen werden.

Doch Flins erhielt eine zweite Chance: Es wird zu einem Zentrum für Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft, der sogenannten "Refactory", umgebaut.

Um seine Zukunft zu sichern, will Renault, so Konzernchef Luca de Meo, nicht länger immer mehr Autos produzieren, sondern Autos nachhaltiger machen – zum Beispiel, indem sie länger genützt werden können.

Um dies für Kunden leistbar und attraktiv sowie für die Autoindustrie profitabel zu gestalten, will Renault die Überholung von Gebrauchtwagen revolutionieren. Ein Vorbild dafür gibt es laut Renault weltweit nicht. Insgesamt sieht de Meo den Kreislaufgedanken unter den Autoherstellern noch wenig verbreitet.

Die Motivation in Flins ist jedenfalls spürbar, wie ein Besuch zeigte. Auf einer Fläche von 11.000 Quadratmetern werden in umgebauten Werkshallen, in der Abteilung "Retrofit", von umgeschulten Fließbandarbeitern derzeit rund 180 Gebrauchtautos pro Tag aufbereitet. Ab 2023 sollen es doppelt so viele sein.

Es handelt sich dabei um nur leicht beschädigte und bis zu sechs Jahre alte Gebrauchtwagen mit maximal 40.000 km aus dem Pariser Raum. Eine interessante Zielgruppe stellen für Renault Carsharing-Fahrzeuge dar, die sehr wartungsintensiv sind.

Die beschädigten Gebrauchtwagen werden von Händlern ins Renault-Werk gebracht, wo die Überholung im Schnitt sechs Tage dauert. Danach werden die aufbereiteten Autos professionell fotografiert und gefilmt und können sofort online angeboten werden.

Insgesamt können sie so nach acht Tagen bereits wieder verkauft werden – bisher dauerte dies im Schnitt 21 Tage. Die Autos sind im Besitz der Händler. Sie bezahlen auch die Erneuerung, die rund 600 bis 900 Euro pro Wagen kostet.

Das Projekt ist laut Renault schon jetzt profitabel. Künftig will der Konzern in Flins auch größere Karosseriereparaturen durchführen. Wobei Renault etwa für Firmenflotten auch günstige und ressourcenschonende Lösungen mit Gebrauchtteilen anbieten will. Dennoch gebe es keine Konkurrenz zu den Händler-Werkstätten, denn teure Reparaturen würden weiterhin dort erledigt.

Dieses Prinzip des "Retrofit", der industriellen Aufbereitung von Gebrauchtautos, soll nach Flins schrittweise auf andere europäische Produktionsstandorte von Renault ausgedehnt werden. Ob später auch Privatkunden ihr Auto zur Überholung in diese Werke bringen können, ist noch nicht entschieden.

Ich bin überzeugt, dass man mit Nachhaltigkeit auch Geld verdienen kann.

Luca de Meo, CEO von Renault S.A.

Die nächste Ausbauphase von "Retrofit" betrifft die industrielle Umrüstung von Verbrennungs- auf E-Motor. Derzeit wird dies in Europa laut Renault praktisch nur von kleinen Betrieben für Pkw angeboten und erfordert eine Einzeltypisierung, für Busse und Lkw gibt es bereits kostengünstigere Lösungen (siehe auto touring mai/21).

In zwei Jahren will Renault in der Refactory in Flins auch für Pkw standardisierte Umrüstungen anbieten. Besonderes Interesse dafür erwartet Renault vor allem für kleine Lieferfahrzeuge mit Verbrennungsmotor, wenn Innenstädte auch für sie gesperrt werden und nur mehr elektrifizierte Autos ins Zentrum dürfen. Die Umrüstung soll hier eine kostengünstige Alternative zum Kauf eines neuen Lieferwagens bieten.

Kann Renault die Lebensdauer der Batterien von E-Autos verdoppeln?

In Flins soll aber nicht nur von Gebrauchtwagen die Lebensdauer verlängert werden, sondern auch von Batterien der E-Autos. Dafür wurde die Abteilung "Reenergy" geschaffen.

Die Lithium-Ionen-Batterie macht laut Konzernchef Luca de Meo 40 Prozent der Kosten eines E-Fahrzeugs aus und verursacht bei der Produktion zudem enorme Mengen an CO2. Die Verdoppelung der Lebensdauer der Batterie auf 20 Jahre kann laut Renault ihren CO2-Fußabdruck um bis zu 20 Prozent senken.




Verdoppeln wir die Lebensdauer der Batterien eines E-Fahrzeugs, können wir ihren CO2-Fußabdruck um bis zu 20 Prozent reduzieren.






Luca de Meo, Renault-Konzernchef


In Flins werden ausgemusterte Autobatterien zu Akku-Packs mit Wechselrichter und Ladegerät umgebaut. Sie können übliche Stromaggregate ersetzen und dank ihres emissionslosen Betriebs auch in Innenräumen verwendet werden. Seit Mai sind diese Power-Packs, die unterschiedlich hohe Speicherkapazitäten vorweisen, offiziell zertifiziert.

Eine zertifizierte Secondhand-Batterie kostet laut Renault rund 60 bis 70 Prozent einer neuen Batterie. Derzeit sei aber die Nachfrage danach größer als das Angebot, da erst wenige gebrauchte Autobatterien aus Kundenhand zurückgeliefert werden. Mit einem höheren Rückfluss rechnen die Experten ab 2025.

Renault erwartet, dass rund 30 bis 40 Prozent der ausgemusterten Autobatterien für ein zweites Leben als Akku-Pack in Frage kommen.

Die ersten Power-Packs mit ausgemusterten Autobatterien sind unter anderem in Food Trucks sowie in Seine-Schiffen für die Klimatisierung und Beleuchtung im Einsatz. Verkauft werden sie über das deutsche Start-up "Betteries". 2023 will Renault in Flins bis zu 6.000 solcher Akku-Packs herstellen.

Beträgt die Speicherkapazität der Altbatterien weniger als 40 Prozent, werden sie recycelt. Renault versucht, durch neue Methoden möglichst viel vom recycelten Material wieder für Batterien einzusetzen.

Bei Nickel und Kupfer gelinge dies bereits, beide Stoffe ließen sich in hoher Reinheit zurückgewinnen. Ein Geschäft sei das Recycling derzeit aber nur bei großen Autobatterien mit etwa 100 kWh.

Renaults Schritt ins Wasserstoff-Zeitalter

Große Chancen sieht Renault auch für den Wasserstoffantrieb, vor allem für leichte Lkw wie den Master Van. Er ist das Vorzeigemodell des Projekts Hyvia.

Hyvia ist eine Kooperation von Renault und dem Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Spezialisten Plug Power. Der Van fährt mit der Kombination einer 33-kWh-Batterie und einer 30-kW-Brennstoffzelle, in der aus den insgesamt 6 kg Wasserstoff fassenden Tanks Strom für den E-Motor mit 57 kW und eine Reichweite von bis zu 500 km erzeugt wird.

Umgebaut wird der Master Van im Renault-Werk Batilly, die Brennstoffzelle wird in der Refactory in Flins montiert.

Der Master Van bietet mit 12 Kubikmetern das gleiche Ladevolumen wie die Version mit Verbrennungsmotor. Das Zusatzgewicht des Brennstoffzellenantriebs samt Wasserstofftanks beträgt laut Renault 300 kg.

Ebenfalls mit Wasserstoffantrieb bietet Renault den Master City Bus sowie das Chassis-Cab an. Insgesamt will Renault bis 2030 bei den leichten Nutzfahrzeugen mit Wasserstoffantrieb in Europa einen Marktanteil von 30 Prozent erreichen. Den Durchbruch sieht de Meo ab einem Preis von fünf Euro pro kg grünem Wasserstoff. Ein Kilogramm reicht für rund 100 km Reichweite mit einem Pkw. Derzeit kostet er rund das Doppelte.

Renault versucht Unternehmen den Einstieg in die Wasserstofftechnologie dadurch zu erleichtern, dass ihnen Gesamtpakete verkauft werden, die neben den Fahrzeugen auch einen kompakten Elektrolyseur für die Gewinnung von grünem Wasserstoff vor Ort – ähnlich wie sie der österreichische Hersteller Fronius anbietet – sowie die entsprechenden Zapfstellen umfassen. Genaue Preise verrät Renault noch nicht, aber für einen Elektrolyseur ist mit mehr als 1 Million Euro ohne Förderung an Kosten zu rechnen, für eine Wasserstoff-Zapfstelle mit mehr als 100.000 Euro.

Renault hält den Wasserstoffantrieb besonders für den Lieferverkehr in Städten für sehr attraktiv, denn er erlaubt deutlich höhere Reichweiten als batterieelektrische Antriebe, das Nachtanken ist in wenigen Minuten erledigt. Das bedeute, dass die Nutzungsdauer nicht durch langes Batterieladen beschränkt werde und somit Betriebe mit weniger Fahrzeugen auskämen. Auch für Taxibetriebe könne daher der Wasserstoffantrieb attraktiv sein.              

Renault Scénic Vision: Nachhaltig von der Wiege bis zur Bahre

Renault will sich nicht länger auf die Emissionen aus dem Auspuff beschränken, sondern den CO2-Ausstoß über das gesamte Fahrzeugleben senken. Bei der heutigen Sichtweise der Gesetzgeber bleiben theoretisch 100 Prozent der CO2-Emissionen eines E-Autos unberücksichtigt, so Renault-Konzernchef Luca de Meo, denn die Abgasnormen beachten den CO2-Ausstoß während der Produktion sowie des Recyclings eines Fahrzeug nicht.

Bloß weil die CO2-Emissionen nicht gemessen werden, würden sie jedoch nicht verschwinden. Sie bleiben eine Belastung für die Umwelt.

Renault will als Konzern bis 2040 in Europa und bis 2050 weltweit CO2-neutral sein, allerdings nicht nur, was die Auspuffgase der verkauften Modelle betrifft. Die Dekarbonisierung, also der Ausstieg aus fossilen Ressourcen, soll auch die Produktion und das Recycling betreffen. Schon bei der Entwicklung eines neuen Modells will Renault auf dessen Recyclefähigkeit achten. Dies gelingt offenbar im Anfangsstadium nicht generell. Bei der Entwicklung von Batterien herrscht noch viel Unsicherheit, wie eine Nachfrage vor Ort ergab.

Ein erstes Beispiel für die Transformation Richtung Nachhaltigkeit bei Renault ist die Studie Scénic Vision, die auf dem Umweltgipfel Change Now in Paris im Mai Weltpremiere feierte. Sie erzeugt laut Renault in der Gesamtbilanz um 75 Prozent weniger CO2-Emissionen als ein herkömmliches vergleichbares E-Auto. Rund 70 Prozent der Konstruktion entfallen auf recyceltes oder erneuerbares Material. Das Design der heckgetriebenen Studie mit den gegengleich öffnenden Türen wird laut Renault in einem kompakten E-SUV 2024 in Produktion umgesetzt werden.

Statt eines reinen batterieelektrischen Antriebs verfügt die Studie über einen Hybridantrieb mit zusätzlichen Brennstoffzellen mit 16 kW, die aus Wasserstoff Strom erzeugen. Damit kann trotz höherer Reichweite die Batterie (40 kWh) kleiner ausfallen, das spart in der Herstellung viel CO2.

Die Lithium-Batterie liefert bei Bedarf auch Strom zurück ins Netz, kann also als Stromspeicher etwa für das Eigenheim dienen. Die Antriebsleistung beträgt 160 kW. Sowohl Elektronik, Batterie und E-Motor kommen ohne seltene Erden aus. Der innovative Hybridantrieb soll nach 2030 in einem Serienmodell verwirklicht werden.

Selbst für die energieaufwendigen Kohlenstofffasern hat Renault eine nachhaltigere Lösung gefunden: Karosserieteile und Türschweller bestehen zu 100 Prozent aus recycelten Kohlenstofffasern aus Abfällen der Flugzeugindustrie. Aus diesen Abfällen entstehen auch die schwarzen Pigmente für den Autolack.

Die Dachfarbe wird aus Feinstaubpartikeln aus dem Verkehr hergestellt. Die Kohlenstofffasern für die Wasserstofftanks dagegen werden zur Gänze aus Abfällen der Papierindustrie erzeugt. Aus Nachhaltigkeitsgründen setzt Renault im Innenraum kein Leder ein. Jede dieser Innovationen verringert den Öko-Fußabdruck.

Die Ideen für den Innenraum des Scénic Vision sollen nach 2024 umgesetzt werden. Innen fällt neben dem reduziert gestalteten Cockpit vor allem die Bodenteppichgestaltung auf. Die Teppiche bestehen zu 100 Prozent aus Abfällen wie alten Plastikflaschen und Plastikrohren und werden aus Nachhaltigkeitsgründen in schuhschachtelgroße Stücke geschnitten. Anders als heute, wo die Bodenteppiche im Ganzen angeliefert werden, können laut Renault dank dieses „Stückwerks“ deutlich mehr Bodenteppiche pro Lkw geliefert und sind somit viel weniger Lkw-Fahrten nötig. Zudem erhält jeder Kunde praktisch einen individuell gestalteten Bodenteppich, denn die Teppichstücke werden von den Robotern angeordnet und ergeben praktisch nie das gleiche Muster.

Was die Erneuerung des Innenraums nach einer gewissen Zeit angeht, denkt Renault vor allem an den Austausch der Bildschirme während der Laufzeit, sollte der Kunde danach verlangen. Die Software soll drahtlos auf dem neuesten Stand gehalten werden. Der französische Musiker und Techniker Jean-Michel Jarre soll zudem E-Autos wie den Scénic Vision mit einem ansprechenden Außengeräusch versehen und im Innenraum für die Passagiere das Hörerlebnis steigern.




Die Hersteller sollen aufhören, Autos wie Christbäume mit Technologien vollzuhängen.






Luca de Meo, Renault-Chef


Sehr am Herzen liegt Renault nach eigenen Angaben die Erhöhung der Sicherheit für die Passagiere und anderen Verkehrsteilnehmer. Der sogenannte "Safety Coach" im Scénic Vision soll die Unfälle auf Straßen um bis zu 70 Prozent senken.

Konzernchef Luca de Meo geht es dabei jedoch nicht um eine Erhöhung der ohnehin schon zahlreichen Fahrassistenzsysteme. Sie machen seiner Meinung nach die Autos ständig schwerer und teurer, viele Systeme werden teilweise aber von den Kunden nie genutzt, weil sie sie gar nicht kennen.

Der heute von den NCAP-Crashtest-Normen vorgegebene und für gute Benotungen unerlässliche Trend zu immer mehr Assistenzsystemen ist laut de Meo das "Disneyland für Zulieferer". Die Branche solle aufhören, "Autos wie Christbäume mit Technologien vollzuhängen", und sich auf notwendige Hilfen konzentrieren. Derzeit ortet er diesbezüglich "einen Mangel an Hausverstand".

Auch beim Wettrüsten um autonom fahrende Autos macht Renault nicht mit. Man konzentriert sich auf die Stufen 2 und 2a der fünfteiligen Skala auf dem Weg zum vollautonom fahrenden Auto. Damit wird der Lenker zwar durch elektronische Hilfen bei der Fahraufgabe entlastet, bleibt aber immer in der Verantwortung.