Darling, wir fahren essen

Ausflug ins Tessin, eine der schönsten Ecken der Schweiz, mit dem mächtigen Bentley Bentayga.

Wenn ein Mann eine Vision hat, dann kommt dabei sehr oft gar nichts heraus und manchmal etwas sehr Schönes. Dany Stauffacher, 63, Schweizer Verkaufs- und Marketingprofi, sah 2007 einen Zusammenschluss renommierter Hotels und Restaurants vor seinem geistigen Auge, sah deren geballtes Know-how in Sachen Gastronomie und Gastfreundschaft und sah eine jährliche Veranstaltung, die zahlreiche Gäste ins Tessin locken würde.

Sapori Ticino, die Aromen des Tessins. So nannte Stauffacher seine Veranstaltung, die heuer ihr zehnjähriges Jubiläum beging. Ihr Konzept war ganz einfach: Die besten Köche des Tessins empfangen Spitzenköche aus der ganzen Welt, und gemeinsam kreieren sie neue, einzigartige Geschmackswelten. Dann fahren alle wieder nach Hause und freuen sich aufs nächste Jahr. Schon im ersten Jahr war Roland Trettl dabei, der damalige Chef des Restaurant Ikarus im berühmten Hangar 7 am Flughafen Salzburg.

Seit 2009 tritt San Pellegrino als Hauptsponsor von Sapori Ticino auf, und weil auch der Bentley-Händler in Lugano mit von der Partie ist, wurde auto touring eingeladen, auf einer Ausfahrt durch das Tessin sowohl den neuen Bentley Bentayga kennenzulernen als auch einen Abend im Rahmen von Sapori Ticino 2016 zu erleben. 

Wieviel SUV braucht der Mensch?

Bentley ist die erste unter den Top-Nobelmarken, die das fruchtbare Feld der Sport Utility Vehicles betritt. Kurz zuvor, ebenfalls britisch, allerdings eine Preisklasse unterhalb Bentleys angesiedelt, ist Jaguar mit dem F-Pace erschienen. Auch italienische Sportwagenhersteller folgen dem Trend: Der Maserati Levante ist schon auf der Welt, der Lamborghini Urus wird 2018 auf den Markt kommen. Für das selbe Jahr ist auch der funkelndste Edelstein dieses Genres angekündigt: der Rolls-Royce Cullinan, ein voraussichtlich riesenhaftes SUV für die Reichsten der Welt oder Flottenfahrzeug für das eine oder andere Sieben-Stern-Hotel.

Cullinan ist der Name des größten je gefundenen Diamanten, er wurde 1905 in Südafrika ausgebuddelt und wog im Rohzustand über 600 Gramm, was 3.106,75 Karat entsprach. Das gleichnamige Auto der britischen Nobelschmiede Rolls-Royce wird ungefähr so eng mit einem (noch nicht offiziell bestätigten) BMW X7 oder X9 verwandt sein wie der Bentley Bentayga mit dem Audi Q7.

Diese Verwandtschaft merkt man. Nicht negativ: Der Bentayga fährt sich hervorragend. Souverän, stabil, komfortabel – nicht allzu handlich, however. Kein Wunder bei diesen Ausmaßen: 5,14 Meter lang, 3,25 Tonnen schwer.

Das Besondere am Bentayga ist aber sein mächtiger 6,0-l-Zwölfzylindermotor, nach Volkswagen-Nomenklatur W12 TSI genannt. Von zwei Turboladern beatmet, 608 PS und 900 Newtonmeter stark, beschleunigt er den Bentley  in 4,1 Sekunden aus dem Stillstand auf 100 km/h. Wenn nicht beschleunigt wird und der Wagen entspannt dahinrollt, werden sechs der zwölf Zylinder trocken gelegt: Die Kraftstoffzufuhr zum halben Motor wird abgeschaltet, ohne dass man im Inneren etwas davon bemerkt. Bei der kleinsten Bewegung des Gaspedals jedoch wird aus dem virtuellen Sechs- wieder ein Zwölfzylinder.

Auf dem Weg vom Zürcher Flughafen, wo wir den Bentley übernommen hatten, ins Tessin halten wir beim vielfach preisgekrönten Hotel Chedi Andermatt. Die moderne Architektur des großen Gebäudes würde auch wunderbar nach Manhattan oder Hongkong passen, in den Schweizer Bergen überrascht sie.

Noch weniger hätten wir hier ein Restaurant erwartet, in dem in vier Atelierküchen vor den Augen der Gäste asiatische und europäische Gerichte zubereitet werden. Wir sind jedenfalls mit dem richtigen Auto da, denn ohne das nötige Kleingeld ist hier nichts zu wollen: Das Hotel Chedi Andermatt zählt sich zur Fünf-Sterne-Luxuskategorie mit allem Drum und Dran.

Weiter geht's über den Gotthardpass in Richtung Tessin. Der Bentayga ist ein tadelloses Reiseauto, was ihm allerdings fehlt, ist das Flair, das Bentleys früher hatten – diese Atmosphäre eines Clubs in London mit schweren Ledermöbeln, diskreten Butlern und knackend glosendem Holz im Kamin. Ja, der Innenraum ist in Leder und poliertem Holz gehalten, doch das große Display für Navigation und Entertainment beispielsweise wirkt wie Einheitsware aus dem VW-Konzern, was es ja auch ist. Der Zwölfzylinder schnurrt leise und packt unvermittelt zu, wenn sofortige Beschleunigung gefordert wird. Mühelos trägt er uns bergauf, aber ehrlich: Nicht weniger als das ist zu erwarten.

Kulinarischer Höhepunkt: Jonnie Boer kocht

In Lugano schließlich treffen wir Dany Stauffacher. Er heißt uns im Swiss Diamond Hotel Lugano willkommen, wo an diesem Abend einer der Stars der niederländischen Haute Cuisine aufkocht: Jonnie Boer. Der 51-Jährige hatte 1999 als damals jüngster holländischer Küchenchef einen zweiten Michelin-Stern erhalten. Sein heute mit drei Sternen ausgezeichnetes Restaurant Librije in Zwolle, etwas über 100 Kilometer außerhalb von Amsterdam, gilt als eines der besten des Landes.

Das Dinner im Swiss Diamond ist ausgezeichnet, von höchster Qualität, handwerklich solide, wenn auch nicht sonderlich kreativ. In einer fremden Küche geht ein Profi wie Boer wohl nicht allzu große Risiken ein. Er arbeitet mit regionalen Zutaten aus dem Tessin, hat aber auch einen Lkw-Zug mit seinen eigenen Spezialitäten aus den Niederlanden hierher nach Lugano vorausgeschickt.

Insgesamt hat Dany Stauffacher in diesem 10. Jahr seiner kulinarischen Veranstaltung internationale Spitzenköche im Tessin versammelt, die zusammengezählt mit über 60 Michelin-Sternen ausgezeichnet wurden. Man spürt, mit welcher Leidenschaft der Mann bei der Sache ist; seine Vision ist es, das Tessin zu einem der weltweit führenden Tourismuszielen zu machen. "Wir haben das große Glück, Italien so nah zu sein – Italien hat die beste Küche der Welt." 

Mehr über das Festival im dreisprachigen Sapori Ticino Magazin.

Anderntags geht es zurück nach Zürich. Die Tour führt von Lugano zunächst ins angrenzende Italien und den Como-See entlang, bevor wir über den Splügenpass wieder zurück in die Schweiz gelangen. Der Grenzübertritt ist beide Male mit einem lässigen Durchwinken der Grenzbeamten erledigt, dem Schengen-Abkommen sei Dank.

Noch einen letzten Stopp legen wir ein: zum Mittagessen ins Guarda Val im schweizerischen Lenzerheide. Diese Herberge auf 1.600 Meter Seehöhe (Bild unten) nennt sich Maiensässhotel, und wir mussten selbst erst nachschlagen, was das heißt. Die liebevoll hergerichteten Zimmer in fünf verschiedenen Kategorien verteilen sich auf elf bis zu 300 Jahre alte Hütten und ehemalige Ställe. Von außen urig, innen sehr gemütlich. Das Restaurant hat 16 Gault-Millau-Punkte und damit zwei Hauben.

Nach zwei Tagen der Reise im Bentley Bentayga entwickelt sich so etwas wie beginnendes Verständnis dafür, dass Leute, für die Geld keine Rolle spielt, einen Trip in die Schweizer Alpen – in Orte wie Andermatt, Lenzerheide oder Davos – in Zukunft möglicherweise lieber mit dem neuen Bentayga (ab 270.240 Euro) unternehmen und dafür ihren Bentley Continental zu Hause in der Garage lassen. Allradantrieb haben zwar beide, aber so ein Schlammspritzer hinterm Radkasten oder ein vereister Matrix-Kühlergrill passen ja doch eine Spur besser zu einem g'standenen SUV als zu einem Grand-Tourism-Coupé, n'est-ce pas?