Was wäre, wenn…?

Autoliebhaber und mehrfacher Porsche-Besitzer trifft Bentley Continental GT Speed. Wäre der etwas für ihn?

Es gibt keinen Grund, so ein Auto zu testen, deswegen machen wir's auch nicht. Wer einen Bentley Continental GT Speed um 490.168 Euro kaufen möchte – und es auch kann –, dem werden Testberichte herzlich egal sein. Er macht's einfach.

Bei allen anderen ist das Interesse an Testergebnissen eher theoretischer Natur.

Deshalb sind wir die Sache einmal anders angegangen und haben jemanden gebeten, dieses Auto aus seiner Sicht zu beurteilen, der es sich auch leisten könnte, es zu kaufen.

Alexander Praschek, 54, Unternehmer aus Niederösterreich, ist einer jener Menschen, die gerne Auto fahren, mehrere besitzen und Autos auch so sehr mögen, dass sie manchmal unter fachkundiger Anleitung eine Rennstrecke aufsuchen, ohne wirkliche Motorsportambitionen zu haben. Nur so zum Spaß. Von solchen Leuten soll es einige geben in unserem durchaus noch autoaffinen Land.

Praschek hat eine lange Porsche-Historie und nennt aktuell einen 911er und einen Cayenne sein Eigen, außerdem ein BMW 6er-Cabrio und ein Tesla Model 3. Weitere Porsche, die er zuvor besaß – u.a. zwei Cabrios der Baureihe 996, ein F-Modell als Targa, ein 911 Turbo Coupé und einen 911 SC (1981) –, hat er wieder hergegeben.

Auch einen Panamera Hybrid Sport Turismo – "mein billigster Porsche von allen", sagt er. Ein Alltagsauto, mit dem Praschek in zwei Jahren 80.000 Kilometer zurücklegte.

Sein Lieblingsauto ist momentan ein knallgrüner 997: "Ich hab gern Farben. Wenn Autos bunt sind, das gefällt mir."

Somit ist auch das erste, das ihm am Bentley auffällt, die Lackierung: Sie heißt Dragon Red II und ist ein dunkles, intensives Rot, das auch Weinkenner ansprechen könnte.

Glänzendes Chrom findet sich – bis auf die Bentley-Badges – nirgends am Wagenkörper: Nicht nur der Frontgrill ist schwarz ("Black Gloss"), auch die Umrandung der Scheinwerfer und Blinker, die Fensterrahmen, die Auspuff-Endrohre und die 22-Zoll-Felgen.

Für Alexander Praschek ist der Bentley im ersten Moment des Kennenlernens "das schönste Auto der Welt".

Was für ein Auto ist das eigentlich? Die offizielle Bezeichnung lautet 2022 Continental GT 634 Speed. Ein zweitüriges, viersitziges Coupé von Bentley, dem traditionellen britischen Automobilhersteller, der seit 1998 zu hundert Prozent zum Volkswagen-Konzern gehört.

Die Zahl steht für den Entwicklungscode BY634 der aktuellen Continental-Baureihe (seit 2018). Dieser Continental GT ist vier Zentimeter länger und zwei Zentimeter breiter als sein Vorgängermodell, doch sieht von vorne und von hinten aus, als wäre er einen halben Meter breiter.

"Speed" hieß schon beim Vorgänger die leistungsstärkste Variante, damals mit 635 PS. So viel leistet nun schon das "Basis"-Modell, die Motorleistung des neuen Speed wurde auf 659 PS hochgeschraubt.

Wir haben es also mit einem 4,85 Meter langen Fahrzeug zu tun, dessen 6,0-Liter-W12-Motor von zwei Turboladern zwangsbeatmet wird, 485 kW, also 659 PS leistet und ab 1.500/min ein höchstes Drehmoment von 900 Newtonmeter produziert. Die Kraft wird auf alle vier Räder verteilt.

Das Gefährt besitzt ein geschmeidiges Acht-Gang-Doppelkupplungsgetriebe, Allradlenkung und Zylinderabschaltung, die aus dem Zwölfzylinder bei gemütlicher Fahrt einen Sechszylinder macht, während die übrigen sechs eine Pause einlegen und sich nur mitschleppen lassen, ohne selbst zur Entfaltung der Motorleistung beizutragen. Das würde eine prächtige Metapher auf das britische Gewerkschaftswesen abgeben, aber die sind heute sicher nicht mehr so. Zu spüren ist von diesem technisch komplexen Sparsamkeits-Trick übrigens nichts.

Drei Zahlen noch: 2,25 Tonnen Leergewicht. 3,6 Sekunden für den 0-auf-100-Sprint. Und 335 km/h Höchstgeschwindigkeit. Wir haben's nicht getestet, wie gesagt, sondern entnehmen diese Zahlen den Werksangaben.

Alexander Praschek setzt sich auf den Fahrersitz. Leder. Nimmt das Dreispeichen-Lenkrad in die Hand. Leder. Streicht über die Polsterung der Fahrertür, die Oberseite des Armaturenbretts. Leder überall.

Die Instrumente und Lüftungsdüsen sind in einer Wand aus Walnussholz eingelassen, die mit glänzend schwarzem Klavierlack überzogen ist. Das Element in der Mitte hat drei Seiten, es rotiert um die Querachse und wechselt so von einer reinen Abdeckung zum Träger von drei Rundinstrumenten oder, wenn man möchte, auch dem Navi-Bildschirm. Die Mittelkonsole ist mit Aluminium verkleidet.

Praschek startet den Motor, rückt den Wählhebel auf Drive und rollt an. Nach einigen zunehmend flotten Runden im ÖAMTC-Fahrtechnikzentrum Teesdorf schildert er seine Eindrücke: "Faszinierend. Das Auto ist wuchtig, fährt sich aber leichtfüßig. An sich ist so ein großes Coupé ja sinnlos, weil es so wenig Platz hat. In meinen Panamera-Kombi hat viel mehr reingepasst. Aber der war härter, der Bentley ist komfortabler. Und der Motor – einfach seidig. Aus jeder Lebenslage schiebt der an!" Er kann seine Begeisterung nur schwer verbergen.

Nun, wie ist es, Herr Praschek – wär so ein Bentley nichts für Sie? Ein neuer Schritt nach oben in der automobilen Hierarchie, nach all den Porsches?

Der autobegeisterte Unternehmer schüttelt den Kopf. "Nein. Das ist mir zu teuer. Wirklich toll, ein Universal-Tool, perfekt zum Reisen. Aber zu teuer. Gebraucht, vielleicht…"

Vielleicht ist ja doch was dran an der Weisheit: Von Reichen lernen heißt sparen lernen. Nur weil man etwas begehrenswert findet und es sich sogar leisten könnte, heißt das noch lange nicht, dass man's auch haben muss.