Auto, fahre selbst!

Autonomes Fahren: Wo stehen wir heute? Wie geht es weiter? Wann können (oder müssen) wir dem Auto die Kontrolle überlassen? Eine Standortbestimmung von Maria Brandl.

Die Euphorie früherer Jahre ist der Ernüchterung gewichen. Bereits für 2020 sahen US-Anbieter das große Geld mit autonomen Serienfahrzeugen voraus. Tatsächlich hat Google-Tochter Waymo, eine der Pionierinnen, mit selbstfahrenden Autos bereits 32 Millionen Kilometer abgespult. In Serie gibt es sie aber nicht.

Die Einführung solcher Systeme "hat sich als komplexer und zeitintensiver erwiesen, als viele dies erwartet hatten", so ein Audi-Sprecher. Der Staupilot von Audi, der 1997 als Weltpremiere vorgestellt wurde, ging bislang nicht in Serie. Der von Mercedes in der S-Klasse für das zweite Halbjahr 2021 angekündigte "Drive Pilot" (Autobahnpilot) verzögert sich.

Die große Angst europäischer Autohersteller, von US-Neueinsteigern wie Waymo oder Tesla beim autonomen Fahren überholt zu werden und ein ähnliches Schicksal wie Nokia bei den Smartphones zu erleben, wurde bislang nicht Realität. Selbst Goldman Sachs erwartet nun erst für 2025 einen weltweiten Markt für autonome Fahrzeuge in der Höhe von 96 Milliarden Dollar.

Einen Boom erleben dagegen elektronische Assistenzsysteme, die Level 2 auf der sechsteiligen Automatisierungsskala darstellen (siehe Grafik). Gefördert wird dieser Trend durch den Euro­NCAP-Crashtest, der für eine Top-Benotung immer mehr Assistenzsysteme verlangt.

Noch zu viele Fehler

Sicherheit stelle eine der größten Herausforderungen für hochautomatisiertes Fahren dar, ist auch Stefan Poledna überzeugt. Er hat mit Georg Kopetz das Unternehmen TTTech in Wien gegründet und ist Technischer Vorstand von TTTech Auto, einer der international renommiertesten Softwarefirmen im Bereich des automatisierten Fahrens.

Poledna ist Mit-Initiator der Tagung „The Autonomous“ in der Wiener Hofburg, die zuletzt im September 2021 stattfand. 500 Expertinnen und Experten von 170 führenden Unternehmen von Audi bis Waymo diskutierten über Fragen der Sicherheit, Technologie und Recht.

— Hat man die Anforderungen an die technische Ausfallsicherheit autonomer Fahrzeuge unterschätzt?

Stefan Poledna: Ja. Die kalifornischen Statistiken zeigen, dass dort heute autonome Testfahrzeuge im Schnitt alle 50.000 Kilometer einen Ausfall haben. Natürlich bedeutet nicht jeder Ausfall einen tödlichen Unfall, er kann aber dazu führen. Ein österreichischer Autofahrer dagegen produziert – rein statistisch – alle 1,8 Millionen Kilometer einen Unfall und rund alle 120 Millionen Kilometer einen Unfall mit Todesfolge.




Autonome Fahrsysteme müssen statistisch deutlich sicherer sein als der durchschnittliche Autofahrer.






Stefan Poledna, TTTech Auto


 — Woran liegt diese Fehlerhäufigkeit?

Stefan Poledna: Sicherheit ist immer eine Systemeigenschaft. Das System besteht aus einer Gesamtarchitektur, aus Software- und Hardwareteilen, die alle richtig zusammenspielen müssen. Im Bereich der Objekterkennung und auch der Umfeldinterpretation glaubte man, schneller vorwärtszukommen. Die künstliche Intelligenz ist da prinzipiell sehr gut für die Mustererkennung, aber sie entwickelt keinen Hausverstand, den ein erfahrener Lenker hat.

Das autonome Fahrsystem muss aber statistisch deutlich sicherer sein als der durchschnittliche menschliche Fahrer. Es dürfte also maximal alle zehn Millionen Kilometer ausfallen. Das heißt, es darf nur rund alle 150.000 Stunden einen Fehler machen. Dafür muss ich das System auch auslegen, es redundant machen.

— Das macht das System viel komplexer als erwartet?

Stefan Poledna: Ja. Vor ein paar Jahren hieß es noch, US-Firmen wie Waymo werden die Technologie vorantreiben, während die klassischen Fahrzeughersteller viel zu langsam und zu schwach unterwegs seien Jetzt wendet sich das Blatt. Diese Firmen sehen, wie komplex Robo-Taxis, Shuttle-Services, also autonome Fahrzeuge, sind. Sie haben rund 80 Milliarden Dollar in die Technologie investiert und noch immer nichts verkauft.

Es stellt sich somit die Frage, ob nicht die traditionelle schrittweise Einführung von automatisierten Fahraufgaben – wie ein Autobahn- oder Staupilot – der profitablere, aber auch schnellere Weg ist.

— Wie groß ist die Gefahr, dass Hacker autonome Fahrzeuge angreifen und stilllegen oder als Waffe im Verkehr einsetzen?

Stefan Poledna:Hacker können heute schon in die Elektronik von Fahrzeugen eingreifen. In dieser Hinsicht ist für mich der Sprung von einem modernen Fahrzeug, das over the air updatebar ist, zu einem Fahrzeug mit automatisierter Fahraufgabe nicht mehr groß. Im Grunde ist das ein ständiges Wettrennen zwischen Industrie und Hackern.

Die Industrie beschäftigt auch selbst Hacker, die nach Sicherheitslücken im System suchen. Ein Auto ist aber schon schwieriger zu hacken als ein Heimcomputer, weil ein Auto keine PC-Architektur hat. Da reicht es nicht, einen Laptop anzuschließen, ich brauche einen Zugriff zum Auto. Das ist eine natürliche Schutzschwelle, wenn auch keine unendlich hohe.

— Hochautomatisierte Fahrzeuge erfordern ungleich höheren Testaufwand als aktuelle Fahrzeuge. Wie wird da die Sicherheit bei gleichzeitig vertretbaren Kosten gewährleistet?

Stefan Poledna:Alle sind sich einig, dass ein großer Teil des Testaufwands virtuell, in der Cloud, stattfindet. Die Szenarien sind zwar real, etwa die Bergstraße, die Licht- und Sonnenstände. Die werden bei realen Testfahrten aufgezeichnet und dann virtuell nachgefahren, wo ich dann die Bedingungen flexibel variieren kann.

Wenn ich etwa ein Problem in der Software entdecke, werde ich nicht einen Fahrer losschicken, um das neue System auf 100.000 Kilometern zu testen, sondern ich werde das virtuell machen. Wichtig ist, dass die virtuellen Testannahmen absolut mit den Daten des realen Fahrzeugs in der realen Umgebung übereinstimmen.

Stefan Poledna, TTTech Auto

— Könnten Normen helfen, die Komplexität der autonomen Systeme besser in Griff zu kriegen und so die Sicherheit zu erhöhen? Viele Experten kritisieren, dass die Normierungsgremien viel zu langsam agieren und den Fortschritt behindern.

Stefan Poledna:Ich glaube, dass Normierungen im Bereich der autonomen Fahrzeuge eine sehr, sehr geringe Rolle spielen werden. Sie dauern viel zu lange und bremsen die Innovation. Aber es gibt Standardisierungen, die nicht zur Norm erhoben werden und die Innovation nicht behindern.

Es gibt zudem Beispiele wie die ARM-Architektur, die in Europa entwickelt wurde und sich etwa bei den Smartphones weltweit durchgesetzt hat. Sie ist nicht standardisiert, aber eine gute Lösung, die für alle verfügbar ist. Solche Ansätze werden sich auch für autonome Fahrzeuge durchsetzen, weil sie gut sind, breit eingesetzt werden können und nicht von einem Anbieter monopolisiert werden können, was zur Abhängigkeit führen würde.

— Welche Rolle spielt die unterschiedliche Rechtskultur in den großen Märkten? Können die Anbieter in den USA nicht deutlich mehr Erfahrungen sammeln als die Europäer?

Stefan Poledna:Das muss man differenziert sehen. In Deutschland erlaubt die Gesetzgebung seit 2020 vollautomatisiertes Fahren auf Level 4. Damit ist Deutschland aus meiner Sicht weiter als die USA, weil es dadurch eine gesetzliche Sicherheit gibt, was erlaubt ist und was nicht. Noch pragmatischer und viel schneller sind die Chinesen. Sie entwickeln nicht nur autonome Systeme, sondern auch die Infrastrukturräume dafür, etwa für autonome Fahrzeuge reservierte Fahrspuren auf Straßen. Das erleichtert vieles.

— Apropos Netz. Welchen Notfallplan gibt es für autonome Fahrzeuge ohne Pedale oder Lenkrad, bei denen der Mensch nicht mehr eingreifen kann, für den Fall eines Netzausfalls oder größerer Funklöcher ?

Stefan Poledna:Bei einem Netzausfall wird das autonome Fahrzeug, wie schon jetzt, gemäß den im Auto gespeicherten Navigationsdaten weiterfahren. Taucht etwa eine Baustelle auf, die darin nicht enthalten ist, muss sich das Fahrzeug in einen sicheren Zustand bringen: an den rechten Rand fahren, stehenbleiben, Notblinker aktivieren. In der Fachsprache heißt dies „Minimum Risk Manoeuvre“. Das ist eine eigene Funktion, die mit eigener Rechenleistung und eigenen Komponenten hinterlegt werden muss. Es steht außer Diskussion, dass ein Auto in allen kritischen Situationen auch ohne Vernetzung autonom zu sein hat.

— Wann und in welchen Bereichen sind in Europa hoch automatisierte Fahrzeuge zu erwarten?

Stefan Poledna:Bis 2025 sehe ich automatisierte Fahrfunktionen für Pkw und Lkw etwa auf der Autobahn. Daimler-Benz hat seinen Autobahnpiloten „Drive Pilot“ als erste Serienproduktion auf Level-3-Niveau ab Frühjahr 2022 angekündigt.

Auch das hochautomatisierte Parken in speziellen Etagen in Parkhäusern ist ein Thema. Im Pkw-Bereich werden die Kosten für solche Funktionen vergleichbar sein mit jenen einer Topausstattung eines Fahrzeugs.

Zudem werden aktuell Funktionen für das automatisierte Rangieren, Beladen und Entladen von Lkw auf Privatgrund und abgesperrten Arealen wie Logistikzentren in Betrieb genommen. Im Land- und Baumaschinenbereich gibt es ebenfalls großes Potenzial.

Völlig autonom fahrende Fahrzeuge des Levels 5 wird es erst gegen 2030 geben. Sie brauchen viel mehr Rechenleistung als Level-4-Fahrzeuge und auch eine Flottenmanagement-Infrastruktur im Hintergrund. Wenn etwa irgendwas im System nicht funktioniert, braucht es eine Lösung per Fernsteuerung. Ich sehe Level-5-Fahrzeuge nicht als Privatauto, sondern vor allem im Shuttle-, Taxi-, Nutzfahrzeug- und Lieferdienstbereich. Und auch diese vor allem in Stadtgebieten, in einfachen Anwendungen, sicher nicht bei Nebel oder Schnee in den Alpen.

— Wie trägt TTTech Auto zur Sicherheit hoch automatisierten oder autonomen Fahrens bei?

Stefan Poledna:Unser Beitrag besteht in sicheren Software- und Hardware-Plattformen für automatisiertes Fahren. Wir entwickeln keine Funktionen wie etwa Bremsen oder Beschleunigen, gewährleisten aber mit Systemen wie unserer serienerprobten Sicherheitssoftware-Plattform „MotionWise“, dass die gewünschten Funktionen sicher ablaufen.

— Wie sehr bremsen Corona und Chipkrise den Fortschritt auf dem Weg zum autonomen Fahren?

Stefan Poledna:In sehr geringem Ausmaß. Viele Investitionen wurden von den Firmen zwar auf den Prüfstand gestellt, aber jene in Kerntechnologiebereiche wie dem autonomen Fahren waren nicht so stark davon betroffen.


Langer Anlauf

Vorgeschichte. Das erste autonome Auto namens "American Wonder" fuhr 1925 in den USA. In Frankreich zog 1960 ein Citroën DS 19 autonom seine Runden, Japan folgte 1977. In Deutschland raste Ernst Dickmanns um 1990 mit einem umgebauten Mercedes mit rund 180 km/h autonom über die Autobahn.

Eine große Wirkung zeigte die Initiative des Pentagon in den USA, der eigene Wettrennen ("Darpa-Rennen") für autonome Fahrzeuge ab 2005 veranstaltete. Solche Fahrzeuge waren etwa für die Minensuche gefragt. Bereits beim ersten Siegerauto war ein System der Wiener Firma TTTech eingebaut.

Auch im zivilen Bereich entstand ein Hype: Die Aussicht, auf der gleichen Verkehrsfläche 25 Prozent mehr Fahrzeuge unterzubringen und hunderttausende Taxi- und Lkw-Fahrer mit autonomen Vehikeln einsparen zu können, elektrisierte vor allem US-Giganten wie Google oder Uber. In den vergangenen Jahren wurden auch in Österreich, etwa in Salzburg und Wien, autonome Busse im öffentlichen Verkehr getestet. Der Versuch in Wien wurde frühzeitig beendet. Das System erwies sich als zu wenig ausgereift.

Und das sagt der ÖAMTC

Ausblick. Friedrich Eppel, Experte für automatisierte und vernetzte Mobilität beim ÖAMTC, sieht die Kundenakzeptanz als wichtige Voraussetzung für den Markterfolg. Auch das Miteinander von autonomen und von Menschen gelenkten Fahrzeugen dürfte sich in der Praxis als schwieriger als dem Gesetz nach erweisen, wie das Beispiel Auffahrt Wiener Südosttangente während der Stoßzeit vermuten lässt.

Für den ÖAMTC-Pannendienst wird es laut Eppel weiter genug Arbeit geben, auch autonome Fahrzeuge werden etwa Reifenplatzer haben. Autonome Fahrzeuge könnten vom ÖAMTC auch als Pannenfahrzeuge eingesetzt werden, entweder um den Pannenfahrer zu entlasten oder um dem Autofahrer in fernerer Zukunft selbsttätig ein Clubmobil zum gewünschten Ort zu schicken.

Automatisiertes Fahren – die Voraussetzungen

Einteilung. Laut einer von EuroNCAP in Auftrag gegebenen Studie glauben heute schon mehr als 70 Prozent der befragten Autofahrer, dass selbstfahrende Autos bereits zu kaufen sind. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Laut Experten auf der Tagung "The Autonomous" in Wien gibt es derzeit weltweit kein einziges autonomes Serienfahrzeug auf der Straße, auch nicht von Tesla oder Waymo oder Baidu (China). Jedenfalls nicht nach der Einteilung der Automatisierungsstufen (Level) der SAE, der Society of Automotive Engineers. Diese Einteilung (SAE J3016 TM) wurde 2014 entwickelt und hat sich weltweit durchgesetzt, nur Tesla orientiert sich nicht danach. Die SAE arbeitet mit der ISO, der internationalen Normungsorganisation, zusammen.

Rechtliche Voraussetzungen. 1968 wurden Straßenverkehrsregeln (etwa Verkehrsschilder) in der "Wiener Konvention" der UNO inter­national vereinheitlicht. Für autonomes Fahren müssen sie nun weltweit angepasst werden. Ein wichtiger Schritt war die neue Zulassungsvorschrift UN-R157, die Anfang 2021 in Kraft getreten ist und nun von den EU-Staaten umgesetzt werden kann. Die USA und China haben die Wiener Konvention nie unterzeichnet und müssen sich somit nicht daran halten.

Auch die Straßenverkehrsordnung im jeweiligen Staat muss adaptiert werden. Deutschland war 2017 diesbezüglich laut Mercedes-Benz weltweit Vorreiter. Deshalb will Mercedes auch die S-Klasse mit dem Drive Pilot (Autobahnpilot) als Erstes dort einführen.

Technische Voraussetzungen. Neben Sensoren und ausreichend kompetenten Rechnern im Auto sind für hochautomatisiertes Fahren entsprechende Navigations­daten für die jeweiligen Länder (HD Maps) nötig. Der Testaufwand vervielfacht sich: Benötigt ein Auto heute bis zur Serienreife einen Testaufwand von rund fünf Millionen Kilometern, so sind für ein autonomes Fahrzeug 240 Millionen Kilometer nötig, die zu 95 Prozent virtuell abgefahren werden sollen. Die restlichen fünf Prozent, so ein grober Richtwert, sind auf der Straße zu erledigen: 12 Millionen Kilometer.

Haftung. Ab Level 3 übernimmt bei eingeschaltetem Automatisierungssystem der Bordrechner voll die Fahraufgabe, damit soll bei ­einem Unfall der Autohersteller haften. Wie dies in der Praxis zu regeln ist, etwa einwandfrei bewiesen werden kann, ob der Mensch oder die Technik den Unfall verursachte, ist noch zu klären.

Kosten. Derzeit werden Automatisierungspakete um rund 7.500 Euro angeboten. VW will für automatisiertes Fahren (nach 2025 geplant) Stundentarife von rund sieben bis neun Euro pro Stunde einführen. 

Energiebedarf. Während ein Mensch im Schnitt für die Fahraufgabe rund 100 bis 300 Wattstunden Energie benötigt, sind für voll­automatisierte Fahrsysteme (Level 4 und 5) derzeit mehr als 10 Kilowattstunden fällig.