50 Shades of Black – Reifentest im Wandel der Zeit

Seit 50 Jahren helfen die Reifentests des ÖAMTC, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Alle Reifen sind rund und schwarz, sonst unterscheiden sie sich nicht sonderlich. Das war wirklich einmal die gängige Meinung vor etwa 50 Jahren. Um dem ent­gegenzutreten und vor allem zu zeigen, dass Winterreifen in der kalten Jahreszeit einen ­echten ­Sicherheitsgewinn bringen, ­führte der ÖAMTC 1973 seinen ersten Reifentest durch – eben mit Winterreifen.

50 Jahre später zählen die Sommer- und Winterreifentests des ÖAMTC und seiner europäischen Partnerclubs zu den an­erkanntesten Tests von Konsumentenschutz-Organisationen.

Auch aktuell zeigen die Ergebnisse, dass es noch immer eine sehr große Bandbreite von guten bis hin zu sehr schlechten Reifen gibt, die im Extremfall – etwa bei einer Notbremsung – ein echtes Sicherheitsrisiko darstellen.

Zum Jubiläum hat der ÖAMTC 50 Sommerreifenmodelle in der Dimension 205/55 R16 getestet. Die Ergebnisse finden Sie hier.

Hier geht es um die historische Betrachtung – wie waren die Anfänge, was waren die wichtigsten Entwicklungen und Eckpunkte?

1973

Erster Reifentest des ÖAMTC. Im gleichen Jahr startet auch der deutsche Club ADAC gemeinsam mit dem Schweizer TCS, sie nutzen dafür die Pirelli-Teststrecke im italienischen Vizzola. Die Wintertests wurden in der Schweiz auf dem zugefrorenen Lac de Campex durchgeführt.

Jeweiliger Fixpunkt: Bremsen aus 100 km/h, natürlich noch ohne ABS. Damit das Fahrzeug dabei stabil in der Spur blieb, wurden ganz einfach die Bremskreise der Hinterachse deaktiviert. Nach einer Vollbremsung waren die Reifen "hinüber", die abgebremste Stelle am Reifen (der Bremsplatten) ließ eine weitere Verwendung nicht mehr zu.

Die Messtechnik: Stoppuhr, Maßband und das fünfte Rad am Wagen – das "Peiselerrad" zur präzisen Erfassung der Fahrgeschwindigkeit.

1975

Das Verbot von Winterreifen mit Spikes in Deutschland erzeugt Druck auf die Reifenbranche, mehr Aufwand bei den Gummimischungen der Winterreifen und deren Profilgestaltung zu betreiben. Im Test können nicht alle Alternativen überzeugen. Dunlop versucht mit dem "Winterwinner" erfolglos, mit einer bürstenähnlichen Oberfläche zu punkten. Immerhin entsteht so die Idee, mit Lamellen im Profil zu mehr Grip zu kommen.

Erstmals wird eine Schnelllauf-Überprüfung durchgeführt. Nicht wenige Reifen zeigen hier Schwächen, der potenzielle Testsieger platzt bei 180 km/h. Die Automobilclubs erhöhen den Druck auf die Hersteller, die Reifen robuster zu machen.

Typischer Bremsweg auf trockener Fahrbahn damals: 55 Meter aus 100 km/h.

1976–1977

Der Pirelli P7 für den VW Golf GTI löst einen Sportreifen-Hype aus. Sportliches Fahren geht jetzt nur noch mit Breitreifen. Ab dem Winterreifentest 1977 (der im Zillertal durchgeführt wurde) schließen sich ÖAMTC, ADAC und TCS zur Testpartnerschaft zusammen. Auch die deutsche Stiftung Warentest wird für drei Jahrzehnte Testpartner sein.

Die Winterreifentests finden im Zillertal statt, der Eistest in der Eishalle Grefrath im Rheinland. Messtechnisch bleibt es bei zwar verbesserten, aber immer noch analogen Mess-Systemen. Gebremst wird weiterhin ohne ABS und Begriffe wie "Antischlupfregelung" existieren noch nicht einmal.

1980

Goodyear bringt mit dem "AllWeather" den ersten Ganzjahresreifen mit "M&S"-Kennzeichnung in Europa auf den Markt und ist damit Trendsetter einer Reifengattung, die erst in den letzten Jahren Marktbedeutung gewinnt.

Sommerreifen werden erstmals auf dem Contidrom, dem Testgelände des Reifenherstellers Continental bei Hannover, getestet. Bis heute werden dort die wesentlichen messtechnischen Versuche sowie die Nasshandlingtests durchgeführt.

1982

Michelin stellt mit dem XM+S100 den ersten ernstzunehmenden Lamellen-Winterreifen vor. Durch viele bewegliche Gummilippen verkrallt sich der Reifen gut mit der Schneeoberfläche – im Test macht sich das positiv bemerkbar. Von nun an wird jeder Hersteller, der gute Winterreifen bauen will, diese Lamellentechnologie verwenden.

Dennoch schwören in Österreich viele ÖAMTC Mitglieder auf die bewährten Spikereifen, obwohl sie damit langsamer und unkomfortabler unterwegs sind.

Seitenblick

Dieses Unikum hat zwar nichts mit den Reifentests des ÖAMTC zu tun, trotzdem möchte ich es Ihnen nicht vorenthalten.

Der "Mille Pattes" (Tausendfüssler) wurde 1972 von Citroën für Michelin auf Basis einer DS gebaut, um Lkw- und Busreifen bei Höchstgeschwindigkeit testen zu können. Von den insgesamt fünf Achsen sind die beiden vorderen lenkbar. Im Heck befinden sich zwei Chevrolet-V8-Motoren mit jeweils 5,7 Liter Hubraum und 250 PS aus der Corvette. Ein Motor diente dem Antrieb des Fahrzeugs, der zweite für den Antrieb des in der Mitte angebrachten Test-Reifens. Der konnte in verschiedenen Winkeln hydraulisch mit einem Druck von bis zu 3.500 kg auf die Fahrbahn abgesenkt werden.

Technische Eckdaten:


7,27 Meter lang, 2,45 Meter breit, 1,56 Meter hoch
Gewicht: 9.150 Kilogramm (mit zusätzlichen Bleiplatten)
Höchstgeschwindigkeit 180 km/h
Heckantrieb mit drei Hinterachsen aus dem Peugeot 504, GM-Automatikgetriebe mit drei Schaltstufen

1983–1986

Dunlop, Michelin und Continental entwickeln Reifen mit Notlaufeigenschaften. In den Jahren zuvor gab es viele Unfälle, weil Reifen nach Luftverlust von der Felge sprangen. Keine der Entwicklungen konnte sich zu dem Zeitpunkt durchsetzen.

1988–1990

Zusätzliche Geschwindigkeits-Indizes werden eingeführt: V bis 240, W bis 270 und Y bis 300 km/h. Die meist sehr breiten Reifen dieser Klassen weisen keine optimalen Nässeeigenschaften auf, weshalb Continental und Goodyear mit zweigeteilten Laufflächen experimentieren. Die Konstruktionen setzen sich aber auch nicht durch, es werden durch Umgestaltung der Profile bessere Lösungen gefunden.

Die ersten Autos mit ABS kommen auf den Markt.

1994–1996

Kraftstoffsparen wird zum Thema, Michelin bringt rollwiderstandsoptimierte Reifen, die bis 5% weniger Kraftstoff brauchen.

Bei den Tests werden die Bremswege nun mit ABS-Fahrzeugen gemessen, jetzt können auch mehrere Versuche mit einem Reifensatz durchgeführt werden, da es jetzt keine "Bremsplatten" mehr gibt.

Die Bremswege verkürzen sich bei den guten Reifen auf 40 Meter aus 100 km/h.

1998

Kieselgel, besser bekannt als Silica, ersetzt bei den Premiummarken Ruß als Binde- und Verstärkungsmaterial. Der Zielkonflikt von Grip bei Nässe und Schnee versus Haltbarkeit wird damit geringer, der Bremsweg verkürzt sich auf nasser Fahrbahn um mehr als zehn Meter.

Michelin versucht, farbige Reifen zu vermarkten. Die setzen sich aber nicht durch, schwarz bleibt die Modefarbe bei Reifen und Ruß weiterhin ein Teil der Laufflächenmischung.

1999–2005

Die ersten Marken (Bridgestone, Dunlop und Goodyear) setzen auf Runflat-Reifen, also Reifen, die auch ohne Luft noch sichere Fahreigenschaften aufweisen und dabei nicht gleich defekt werden.

Die Clubs testen auch diese Reifen, finden aber keine einheitliche Position, ob dieser Konstruktionspfad zu begrüßen und zukunftsfähig ist. Wären die Reifen zu gut, könnte es sein, dass LenkerInnen den Luftdruck gar nicht mehr beachten oder Fremdkörper im Reifen nicht mehr registriert werden. Für Offroad-Fahrzeuge oder Fahrzeuge in dünn besiedelten Regionen haben Runflat-Reifen aber eine große Bedeutung. BMW führt für einen kurzen Zeitraum Runflat-Reifen sogar in der Erstausrüstung ein, da so die Reserveradwanne für andere Zwecke genutzt werden kann.

2006–2008

Deutschland führt zwei Jahre vor Österreich eine situative Winterreifenpflicht ein, Österreich folgt mit einer situative Winterausrüstungspflicht. Zur Not dürfen in Österreich auch Sommerreifen mit Schneeketten an der Antriebsachse (jedoch nur schneebedeckter Fahrbahn) verwendet werden. Spätestens ab jetzt wird der Wichtigkeit von Winterreifen Nachdruck verliehen.

2012

Die Einführung des EU-Reifenlabels legt erstmals Mindestanforderungen für Reifen hinsichtlich Grip und Verbrauch fest. Alle Infos darüber finden Sie hier.

2014

Der Winterreifen-Test 2014 stellte die Crew in Ulrichen in der Schweiz auf eine harte Probe: Erst kein Schnee, dann zu viel Schnee, dann wieder zu warm. 877 Winterreifen getestet, 550.000 Testkilometer. 13 Tage Wetterpannen begleiten den Test, drei Testabbrüche im Schnee, zwei Autoreparaturen, 144 Liter Kaffee.

Erstmals wird überlegt, aufgrund des Klimawandels die Tests weiter nach Norden zu verlegen. 2016 finden die ersten Versuche in Finnland ("Testworld") und Schweden statt, seit 2017 werden alle Schnee-Tests in Finnland durchgeführt.

2020

Das Reifenlabel wird überarbeitet und auch um Anforderungen für Winterreifen erweitert.

2023

50 Reifen im direkten Vergleich zeigen die gesamte Bandbreite des Marktes. Selbst früher als unlösbar geltende Zielkonflikte wie etwa "Nassgrip versus Verschleiß" werden zunehmend von den Reifenkonstrukteuren in Angriff genommen und gelöst. Mit dem Jubiläumstest 2023 (für den übrigens 1.650 Reifen angekauft wurden) wird ein komplett überarbeitetes Testprogramm vorgestellt. Von nun an stellen die Umwelteigenschaften ein eigenes Kriterium im Test dar. Die Konsument:innen können auf den ersten Blick sehen, ob ein Reifen sicher und umweltfreundlich oder eben nur sicher ist.

Die ÖAMTC-Reifentests der vergangenen Jahre finden Sie hier:


Sommerreifen
Winterreifen
Ganzjahresreifen