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Upside down

Um das Leben eines Coronapatienten zu retten, ist ein Überstellungsflug in Bauchlage die letzte Chance. Drei Monate später kommt es zum Wiedersehen.

Wenn SARS-CoV-2 in voller Härte zuschlägt, zählen jede Sekunde und jeder Handgriff. Das zeigt ein ÖAMTC-Christophorus-Einsatz im Frühjahr in Niederösterreich. Anfang März wird der Jurist ­Thomas Schellander wegen einer rapiden Verschlechterung seiner Covid-19-Erkrankung im Landesklinikum Baden (NÖ) aufgenommen. Trotz intensivem Kampf der Mediziner schreitet die Infektion weiter voran und gefährdet das Leben des 55-Jährigen. Es gibt nur eine Rettung: ­einen Intensivtransport ins Wiener AKH. Eine Herz-Lungen-Maschine als ­letzte Chance.

Thomas Schellander dürfte sich bei seiner Frau Julia angesteckt haben. „Meine Frau hatte einen leichten bis mittleren Verlauf mit Kopfschmerzen, totaler Müdigkeit und Schlafstörungen“, erklärt der in Niederösterreich lebende Steirer. Bei ihm kennt das Virus kein Erbarmen.

Vor seiner Covid-19-Erkrankung stand Schellander voll im Leben, war sportlich aktiv und lebte gesund. „Allerdings habe ich vor zwei Jahren zwei Stents bekommen, habe aber keinen Herzschaden davongetragen. Zudem wurde mir im Vorjahr ein Melanom entfernt und im AKH Wien hatte ich zu dem Zeitpunkt an einer Arzneimittelstudie teilgenommen.“

Er bekommt hohes Fieber. Dazu kommen Symptome wie Schüttelfrost und Muskelschmerzen. Atemnot verspürt er zu diesem Zeitpunkt noch keine. „Ich habe erst den Notarzt gerufen und wurde dann ins LK Baden eingewiesen.“ Im Krankenhaus wird eine beidseitige Lungenentzündung diagnostiziert. „Ich hatte einen hohen CRP-Wert, die Medikamente haben nicht gegriffen. Das Fieber sank zwar, aber die Entzündung wurde nicht besser“, schildert der studierte Jurist. 

Im LK Baden ist er zwar fünf Tage bei Bewusstsein, kann sich aber an nichts mehr erinnern. Als Schellander auf die Intensivstation verlegt wird, kommt er in Bauchlage. Innerklinisch werden Patienten mit akutem Lungenversagen häufig als zusätzliche Therapie bis zu 16 Stunden am Bauch gelagert. Dadurch wird die Belastung der Lunge reduziert, noch nicht von der Krankheit betroffene Lungenareale werden genutzt und letztlich der Gasaustausch und die Atemmechanik verbessert. Als seine Lunge allerdings auf keine Beatmung mehr reagiert, ist klar, er muss an eine externe Herz-Lungen-Maschine (ECMO).

So startet der ÖAMTC-Intensivtransporthubschrauber (ITH), Christophorus 33, am 10. März um 13:57 Uhr Richtung LK Baden. Die Einsatzcrew an diesem Tag: Flugrettungsarzt und Intensivmediziner Lukasz Leszczyk, leitender C33-Flugretter Thomas Wagner und Pilot Hermann Schardax. „Wir wurden in Wiener Neustadt alarmiert, dass der Zustand eines Coronapatienten maximal kritisch ist und er dringend eine künstliche Lunge benötigt. Ich habe dann mit der Intensivstation im LK Baden telefoniert und von der Bauchlage erfahren“, berichtet Leszczyk.

Unter strengen Hygienemaßnahmen wird der Corona-Intensivpatient von der C33-Crew auf der Intensivstation übernommen. „Der Patient war sehr instabil, die Lungenfunktion nahezu komplett ausgefallen“, schildert Flugretter ­Wagner. Im Bewusstsein des aufwendigen Handlings und einiger Risiken dadurch, den Patienten in Bauchlage im Hubschrauber zu transportieren, sind sich die Crew und das Krankenhausbehandlungsteam dennoch einig, dass der Nutzen der Bauchlage wesentlich höher ist als jener beim Eingehen des Risikos, den Patienten auf den Rücken zu drehen. „In dieser Position war er wenigstens zu dem Zeitpunkt stabil“, sagt Intensivmediziner Leszczyk.

Nach der Umlagerung in Bauchlage mittels Rollboard wird der Patient mit Hilfe der Vakuummatratze und Lagerungsbehelfen transportfähig gemacht. Das heißt, unter anderem wird das Monitoring optimiert, Zugänge gesichert, Extremitäten in physiologischer Haltung positioniert sowie die medikamentöse Therapie angepasst. „In keiner Phase des Intensivtransports durfte es dazu kommen, dass sich der Zustand des Patienten weiter verschlechtert. Er hatte absolut keine Ressourcen mehr“, schildert der leitende Flugretter Wagner.

Nach Herstellung der Transportfähigkeit auf der Intensivstation bringen Flugrettungsarzt und Flugretter den Corona-Intensivpatienten Thomas Schellander zum C33. Der Pilot wartet einsatzbereit bei der Maschine. 

Der Intensivtransportflug verläuft komplikationslos und ist wahrlich eine Notverlegung in letzter Sekunde. „Wir sind mit der Bauchlage auf volles ­Risiko gegangen und haben gewonnen. Die Entscheidung war richtig“, freut sich ­Leszczyk. „Solche schwer erkrankten SARS-CoV-2-Intensivpatienten befinden sich absolut an der Grenze und sind lebensbedroht. Ohne die Überstellung per Hubschrauber würden diese nicht mehr leben“, ist sich Wagner sicher. 

Nach kurzer Flugzeit landet die fliegende Intensivstation auf dem Dach des AKH Wien. Schellander wird von der Christophorus-Crew auf die Intensivstation gebracht, wo bereits kurz nach Eintreffen mit der lebensrettenden Anlage der Herz-Lungen-Maschine begonnen wird. Es ist eine der letzten verfügbaren Maschinen.

Zwölf Tage liegt Schellander auf der Intensivstation des Wiener AKH im Tiefschlaf. Dann wird der Rückholprozess gestartet. Das ECMO-Gerät wird abgehängt und die Lunge erholt sich schnell. „Meine Frau durfte mich erst am elften Tag im AKH besuchen. Ich war geistig rasch wieder fit, aber körperlich ein Wrack. Ich verlor zwölf Kilogramm Muskelmasse. Um einen Teebeutel zu entfernen, benötigte ich beide Arme“, schildert er seinen körperlichen Verfall. 

Knapp einen Monat nach seiner Erkrankung wird er vom Wiener AKH in das LK Hochegg (NÖ) überstellt. Nach weiteren 14 Tagen wird er entlassen und startet seine Reha zu Hause. „Ich bin zwar noch nicht 100 Prozent fit, aber für das, was ich hinter mir habe, geht es mir ausgezeichnet. Meine Lunge ist fast wieder jungfräulich“, sagt der Jurist und Ökonom, der bereits seit über 25 Jahren im Pharmagroßhandel tätig ist. „Meine Firma ist unter anderem für die Covid-19-Impfstoffverteilung in Öster­reich zuständig“, beschreibt ­Schellander die paradoxe Situation. Mittlerweile hat auch er die erste Dosis seiner ­Covid-19-Impfung erhalten.

ITH/C33 ÖAMTC-Flugrettung © ÖAMTC-Flugrettung
ITH / C33
Thomas Schellander beim Wiedersehen gemeinsam mit der Crew.

Und schon drei Monate nach seinem lebensrettenden Überstellungsflug stattet Thomas Schellander der Crew des ÖAMTC-ITH einen Besuch ab. „Es war mir eine Herzensangelegenheit, mich persönlich bei der Crew für den unschätzbaren Beitrag in meiner Lebens­rettungskette zu bedanken. Trotz fehlender Erinnerung war ich bei der Besichtigung des Hubschraubers sehr berührt. Ich bin sehr froh und ­unendlich dankbar für den Einsatz.“

AutorinAntonia Lang

Intensivtransporthubschrauber / C33

Seit 20 Jahren fliegt der ÖAMTC-Intensivtransporthubschrauber. 2019 wurde er auf neue Beine gestellt und ist seither an 365 Tagen von acht bis 21 Uhr im dualen Einsatz. „Das Einsatzspektrum und die Einsatzmöglichkeiten des Christophorus 33 haben sich sehr verbreitert. Es reicht von Auslandsrückholungen, dringlichen Sekundär- und Intensivtransporten, Inkubator- und Organtransporten bis hin zu primären Notfalleinsätzen bei Tag und Nacht“, sagt der leitende Flugretter des C33, Thomas Wagner.

Der Intensivtransporthubschrauber flog bisher die meisten Coronaüber­stellungen, da der C33 über das nötige zusätzliche intensivmedizinische Equipment an Bord verfügt. Dazu zählen ein turbinenbetriebenes Intensivbeatmungsgerät, bis zu acht Motorspritzen sowie ein System zur Verabreichung von NO-Atemgas.

Geflogen wird unter Einhaltung eines strengen Hygienekonzepts, das zu Beginn der Coronapandemie vom Christophorus Flugrettungsverein entwickelt wurde. Dieses wird laufend evaluiert und angepasst. Seit Ausbruch der SARS-CoV-2-Pandemie gab es ­keine einzige bekannte Infektion der Crew aus einem Einsatz.
 

Thomas Wagner, Leitender Flugretter C33

„Das konsequente Einhalten der Hygienemaßnahmen aller drei Crewmitglieder ist 
entscheidend.“