ML-Africana_April06_HE_32_CMS.jpg Helmut Eckler
© Helmut Eckler
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August 2015

Zurück nach Hause

Beim Baden in Kroatien von Schiffsschraube erfasst, vom ÖAMTC nach Hause gebracht. Ein Blick hinter die Kulissen einer Schutzbrief-Rückholung.

Es hätte ein unbeschwerter Ausflug mit einem Bananenboot im kroatischen Teil der Adria werden sollen. Eine Woche Sonne, Meer und Party, davon träumen die Maturanten einer Linzer Schule. Bei einem Segeltörn wollen die Schüler ihre bestandene Matura gebührend feiern. Doch für drei Schüler endet der Spaß in der Nečujam-Bucht nahe der Hafenstadt Split mit einer Tragödie: Bei einer Bananenbootsfahrt verlieren die drei den Halt, fallen ins Meer und werden von einem Boot überfahren. 

Zwei Mädchen erleiden schwere Verletzungen, ein Schüler aus Vorarlberg wird leicht verletzt. Die Erstversorgung am Unfallort funktioniert. Ein Hubschrauber bringt die beiden Mädchen ins Krankenhaus. Der Grazer Veranstalter der Maturareise verständigt die Eltern. Der Vater eines der Mädchen ruft noch am Montag um 18.16 Uhr den ÖAMTC an.

Dienstag morgen, 6 Uhr früh: Alexandra Bartolic beginnt in der Schutzbrief-Nothilfe-Zentrale in der Wiener Donaustadt ihren Dienst. Sie ist ein Vollprofi. Seit 22 Jahren hilft sie Clubmitgliedern, die in Not geraten sind, organisiert Krankenrückholungen aus dem In- und Ausland, betreut Angehörige und schult neue Mitarbeiter. 

„Da dürfte vermutlich eine Rückholung per Ambulanzflieger fällig werden.“ Marijo Marjanovic, ein Nachtdienstmitarbeiter, übergibt die aktuellen Notfälle an Alex, wie die Kollegen die 49-jährige Wienerin nennen. 

Unmittelbar nach dem gestrigen Anruf des besorgten Vaters hat Marijo den Innsbrucker Vertrauensarzt Michael Wirnsperger um die medizinische Abklärung des Notfalls gebeten. 

Beim ersten Anruf im Krankenhaus Split wurde der Schutzbriefarzt auf 22 Uhr vertröstet: „Der Doktor ist im OP.“ Auch um 22 Uhr konnte Wirnsperger nicht direkt mit dem Arzt sprechen – „noch immer bei einer Operation“ –, er bekam aber die vorerst beruhigende Auskunft, dass die Schülerin stabil sei und jetzt schlafe. Der nächste Kontaktversuch mit dem behandelnden Arzt wird für Dienstag morgen vereinbart.

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20 mehrsprachige Ärzte stehen der Schutzbrief-Nothilfe-Zentrale im In- und Ausland zu medizinischen Abklärungen der Notrufe zur Verfügung. Sie treten in der jeweiligen Landessprache direkt mit dem Krankenhaus am Unfallort in Kontakt. Aufgrund ihrer Empfehlungen entscheidet die Schutzbrief-Nothilfe in Wien, mit welchem Transportmittel das verunglückte Clubmitglied nach Hause geholt wird.

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Alex ist betroffen, als sie die Falldaten studiert. Auch ihr Sohn ist gerade auf Maturareise. Doch die Betroffenheit weicht schnell der Professionalität.

Manchmal bin ich zu Tränen gerührt, aber Mitleid allein hilft den Anrufern nicht.

Alexandra Bartolic, ÖAMTC Schutzbrief Nothilfe-Zentrale

Um 7:20 Uhr endlich kommt das Protokoll des Gesprächs von Dr. Wirnsperger mit dem behandelnden kroatischen Arzt. Obwohl die Patientin derzeit kreislaufstabil ist, befürchtet der Schutzbriefarzt wegen der schweren Verletzungen Komplikationen und empfiehlt eine rasche und schonende Repatriierung per Ambulanzflug.

Jetzt ist Alex gefragt. Sofort schickt sie eine entsprechende Anfrage an fünf Partnerfirmen des Clubs. Um 9:30 Uhr wird die Ambulanzjetfirma Red Air mit der Rückholung beauftragt. Während sich Red Air um Flug- und Landegenehmigungen kümmert, klärt Alex die übrigen administrativen Dinge – von der Übernahme der Krankenhauskosten in Kroatien über die Organisation des Transportes vom Krankenhaus zum Flughafen Split und vom Flughafen Linz ins UKH, das Vorhandensein der Pässe und der E-Card und um die Mitflugmöglichkeit für die Mutter. Dazwischen informiert die erfahrene Schutzbrief-Mitarbeiterin immer wieder den Vater der Verunglückten – er sitzt mittlerweile am Krankenbett seiner Tochter – über den aktuellen Status quo.

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Alexandra Bartolic an ihrem Arbeitsplatz in Wien-Donaustadt.
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Alex und ihr Chef Arjan Buurman organisieren die Rückholung der Patientin per Ambulanzflugzeug.
Schutzbrief_Nothilfe_MP_7321_CMS.jpg Manfred Pfnier © Manfred Pfnier
Bei allen Notfällen wird jeder Arbeitsschritt genau dokumentiert.

Um 15:30 Uhr hebt das Flugzeug mit der verunglückten Maturantin vom Flughafen Split ab.

16 Uhr: Dienstschluss für Alex. Sie übergibt den Fall an ihren Kollegen vom Abenddienst. Die zwei Krankenverlegungen im Inland und die Organisation eines Lotsendienstes, die Alex nebenbei im Laufe des Tages erledigte, sind abgeschlossen. Wieder ist ein Arbeitstag vorbei. Als Medizinstudentin ist sie vor 22 Jahren zur Schutzbrief-Nothilfe gekommen. Mittlerweile hat sie schon rund 20.000 Clubmitgliedern geholfen. Alex ist zufrieden.

Zufrieden ist auch die Familie der verunglückten Maturantin. Gegen 18 Uhr landet der Ambulanz-Flieger am Flughafen Linz, wo schon ein Krankenwagen für den Weitertransport wartet. 25 Stunden nach dem ersten Anruf bei der ÖAMTC-Nothilfe liegt die Tochter im Linzer Unfallkrankenhaus. Vor allem die permanente Betreuung während der Rückholaktion wurde als wohltuend empfunden: „Wir haben immer gewusst, was gerade passiert. Dieses ständige Kontakthalten und natürlich die Übernahme der Kosten in Höhe von fast 10.000 Euro vermitteln uns wirklich das gute Gefühl, beim Club zu sein.“

Halbjahresbilanz medizinische Hilfeleistungen

1.214 Erkrankte oder Verletzte wurden in den ersten sechs Monaten vom Club nach Hause geholt, 56 davon mit dem Ambulanzjet. Die anderen kamen mit Linienflügen in Begleitung eines Arztes oder Sanitäters, mit Krankenwagen oder mit einem Lotsenfahrer in die Heimat zurück. Im Schnitt kostet eine Rückholung per Ambulanz-Flieger innerhalb Europas rund 11.000 Euro.

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