MS2 Europa_HE_05_CMS.jpg Helmut Eckler
© Helmut Eckler
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September 2015

Schiff ist nicht gleich Schiff

Jedes Jahr laufen viele neue Kreuzfahrtschiffe weltweit vom Stapel – heuer waren es sechs, für 2016 sind elf geplant. Kreuzfahrten sind beliebter denn je – und leistbarer. Aber welcher Ozeandampfer ist für Sie der richtige?

Milch: 22.700 Liter. Dazu noch 86.400 Eier, 7,7 Tonnen Mehl, 8,2 Tonnen Kartoffeln, 9 Tonnen Rindfleisch, 8,2 Tonnen Hühnerfleisch, 33,7 Tonnen Gemüse und 21,8 Tonnen Obst – das alles wird gerade an Bord geschleppt. Kein Durchschnitts-Schiff. Wir sprechen hier vom größten Kreuzfahrtschiff der Welt, der Allure of the Seas: Bis zu 6.410 Passagiere und 2.383 Mannschaftsmitglieder werden damit sieben Tage lang verköstigt.

Erstmalig ist heuer dieses Schiff von Royal Caribbean International in Europa – genau genommen im Mittelmeer – unterwegs (noch bis November). Jeden Sonntag werden die Kühlräume erneut aufgefüllt, denn dann heißt es in Barcelona: Passagierwechsel. "Heutzutage funktioniert das Ein- und Ausschiffen dank computerunterstützter Vorbereitung zum Glück sehr schnell", weiß Thomas Oppenheim vom ÖAMTC-Reisebüro. "Bei Costa Kreuzfahrten dauert es nur 15 Minuten, die Reederei hat in Barcelona ihr eigenes Terminal", erklärt der Experte.

Eine Kreuzfahrt ist für die gesamte Crew eine logistische Herausforderung. Auch bei den täglichen Landausflügen darf man nicht vergessen, dass die Passagiere ja von Bord müssen und ein paar Stunden später gemeinsam wieder aufs Schiff. Der Einstieg kann schon mal 30 oder 45 Minuten dauern, schließlich muss jeder Passagier – samt Handgepäck – durch die Sicherheitskontrolle. "Wer einen Ausflug über das Schiff gebucht hat, hat meist Vortritt", erklärt Oppenheim. "Überhaupt wenn getendert wird." Getendert? Ein Tender-Service wird benötigt, wenn das Kreuzfahrtschiff nicht im Hafen anlegt, sondern in einiger Entfernung zur Küste vor Anker liegt. Dann müssen die Passagiere mit Beibooten oder Taxischiffen an Land gebracht werden.

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Landausflüge über die Reederei buchen?

Ob es immer eine gute Idee ist, einen Ausflug über die Reederei zu buchen? "Wer Angst davor hat, verloren zu gehen oder zu spät zurückzukommen, sollte auf jeden Fall eine geführte Tour buchen", rät ÖAMTC-Experte Oppenheim. "Das Schiff wartet nicht." Vielen Passagieren ist die Sicherheit vor Ort enorm wichtig. Ein Beispiel dafür ist der 66-jährige Kreuzfahrt-Liebhaber Heinz B., der sich an seinen Landgang in Alexandria erinnert: "40 Reise-Busse haben bereits auf uns gewartet. Der Konvoi nach Kairo wurde sogar von der Polizei begleitet – so wurde bei Kreuzungen und Kreisverkehren eine schnelle Durchfahrt ermöglicht."

Der Nachteil organisierter Ausflüge der Reedereien: Sie sind überteuert. Mit rund 50 Euro muss man für eine mehrstündige Stadtrundfahrt rechnen, rund 120 Euro für eine ganztägige Tour, etwa eine Wüsten-Safari in den Emiraten. Das Angebot an Landausflügen ist bunt: Von Mountainbike- und Segway-Touren über Fischen und Pizzabacken bis zu Segelturns. Generell stehen im Hafen viele Taxis bereit. Wer jedoch die Gegend lieber zu zweit erkunden möchte, kann dies problemlos tun. Dies bestätigt auch der der 33-jährige Marco H., der über seine erste Kreuzfahrt berichtet: "Ich habe vor ein paar Jahren eine Alaska-Kreuzfahrt gemacht und zum Glück keine Tour im Vorhinein gebucht." Das Schiff stand meist den ganzen Tag im Hafen, so hatte Marco genügend Zeit für Wanderungen. "Touren haben wir bei kleinen Veranstaltern spontan vor Ort gebucht."

Vorsicht vor versteckten Nebenkosten

Eine Kreuzfahrt galt einst als die exklusivste Form des Urlaubs. Heute ist sie für jeden leistbar. "In der Nebensaison reist man bereits ab 35 Euro pro Nacht und Person", weiß Thomas Oppenheim vom ÖAMTC-Reisebüro.

Geschenkt bekommt man Kreuzfahrten natürlich nicht. Deswegen müssen Reisende ihre Nebenkosten genau im Auge behalten. Denn Getränke, Trinkgelder oder eben Landausflüge sind im Angebotspreis meist noch nicht enthalten. Aber auch die neue 4D-Kinowelt, die im Angebotsfolder so schön angepriesen wird, der Spa-Bereich, die Eisbar oder Spezialitäten-Restaurants sind im Preis meist nicht enthalten. Oft zahlt es sich aus, ein Getränke-Paket gleich mitzubuchen: Bei Costa Kreuzfahrten kostet die Flatrate für Getränke „Brindiamo“ zum Beispiel 24,99 Euro pro Person am Tag – inkludiert sind Soft Drinks, Aperitifs und diverse Spirituosen.

Trinkgelder werden meist extra berechnet und bei manchen Reedereien wird sogar das Bordkonto damit belastet. Im Durchschnitt ist mit 8 bis 10 Euro pro Tag pro Person rechnen. Bei Tui Cruises ist zum Beispiel das Trinkgeld bereits im Reisepreis enthalten.

Für eine Hochsee-Kreuzfahrt wird laut Daten des Österreichischen Reiseverbandes im Durchschnitt etwa 1.250 Euro pro Person veranschlagt, sie dauert im Schnitt knapp neun Tage. Bei einer Flusskreuzfahrt zahlt man durchschnittlich etwa 990 Euro und ist sieben Tage unterwegs.

Schiff-Neuzugänge für 46.500 Passagiere

Heuer sind bereits fünf Schiffe – Britannia, Viking Star, Mein Schiff 4, Anthem of the Seas und Le Lyral – vom Stapel gelaufen, im Oktober folgt die Norwegian Escape mit einem Investitionsvolumen von fast einer Million US-Dollar. Nächstes Jahr werden elf (!) Schiffe getauft werden – das summiert sich auf neue Kapazitäten für etwa 46.500 Passagiere in nur zwei Jahren! Auch für die darauffolgenden Jahre sind ebenfalls jährlich etwa acht Neubauten geplant.

Wo führt das hin? "Der Markt wird noch mehr Druck ausüben und Kreuzfahrten werden noch günstiger werden", vermutet Thomas Oppenheim vom ÖAMTC-Reisebüro. Neue zusätzliche Märkte werden dazukommen. "Schiffe stehen bereits für den chinesischen Markt bereit, Indien wird folgen." 

Kreuzfahrten boomen

Kreuzfahrten verzeichnen die höchsten Wachstumsraten auf dem österreichischen Tourismusmarkt. Rund 150.000 Österreicher werden heuer eine Kreuzfahrt unternehmen. "Zu den beliebtesten Zielen gehören dabei das Mittelmeer, die Nord- und Ostsee und die Karibik – aber auch exotischere Ziele wie Arktis und Antarktis sowie Weltreisen werden immer häufiger gebucht", weiß ÖAMTC-Touristikerin Kristina Tauer.

Das Reisen auf dem Wasserweg scheint Suchtpotenzial zu haben – die weltweite Wiederholerquote liegt laut Cruise Line International Association bei 62 Prozent.

Aber warum gerade eine Kreuzfahrt? Ist es das unkonventionelle Reisen? Jeden Morgen wachen Passagiere in einem neuen Hafen auf und erkunden eine andere Stadt oder ein Fleckchen Erde, das sie noch nicht kennen. Der Koffer bleibt ausgepackt in der Kabine. Eine entschleunigende Rundreise ohne Stress und Hektik.

Darüber hinaus wird den Menschen eine Scheinwelt verkauft: Oft wird das Schiff selbst zur Destination. Dazu gehört auch ein Central Park an Bord mit 12.000 echten Pflanzen und Bäumen. Das Unterhaltungs-Angebot ist schier unendlich: Passagiere können einer 25 Meter langen Zipline-Seilrutsche entlang gleiten, sich auf einem Surfsimulator beweisen, eine Runde eislaufen oder eine 13 Meter hohe Kletterwand erklimmen. Abends stehen zwölf Restaurants zur Wahl und zur späten Stunde genießen Gäste eine fulminante Show – sogar die weltbekannte Blue Man Group wird an Bord geholt. Die Queen Mary 2 ist sogar mit einem Planetarium ausgestattet. Geht nicht gibt’s nicht. Alles was es an Land gibt, bietet heutzutage auch ein 5.000-Seelen-Dampfer. Mit dem einzigen Unterschied: Täglich grüßt früh morgens eine neue Destination.

Welches Schiff passt zu mir?

Schiff ist nicht gleich Schiff. Es sei gut überlegt, welche Reederei und welches Schiff man sich aussucht. Ein paar Fragen helfen bei der Auswahl: Welche Kategorie? Familien- oder Paarurlaub? Oder Alleinreisender? Soll das Schiff selbst die Destination sein oder "nur" schwimmendes Hotel? All-Inclusive? Möchte ich einen Segelturn, eine Hochsee-, eine Fluss- oder eine Expeditionskreuzfahrt machen?

Hier einige Tipps als Entscheidungshilfe:

— "Mein Schiff" von Tui Cruises ist der Klassiker für All-Inclusive-Fans. Neben Tischweinen ist auch das Trinkgeld im Reisepreis inkludiert. Außerdem ist das Schiff nicht so bunt eingerichtet wie Ozeandampfer von Aida oder Carnival Cruise Line. Der Kinderclub ist deutschsprachig, betreut von bestens ausgebildeten Pädagogen.

— Die Norwegian Epic von Norwegian Cruise Lines ist etwas für Unterhaltungshungrige. Das Angebot reicht von einer Kletterwand über Wasserrutschen bis zu einer Ice Bar. Ganz nach dem Motto "Freestyle Cruising" gibt es weder Kleidungsvorschriften noch feste Essenszeiten, der Einzelbelegungsaufschlag entfällt. Der Kinderclub ist nicht speziell auf deutschsprachige Kinder ausgelegt.

— Aida zählt zu den Clubschiffen. Je südlicher gereist wird, desto jünger wird auch das Publikum. Wer auf Spitzbergen oder zum Nordkap fährt, findet noch immer einen Altersdurchschnitt von 65 Jahren vor. Doch wer zum Beispiel im Mittelmeer kreuzt, urlaubt mit vielen Familien und auch Paaren Mitte 30. Es wird in Selbstbedienungsrestaurants gespeist und Tischgetränke sind im Preis inkludiert. In der Vorsaison reisen Kinder bis im Alter von 18 Jahren sogar gratis (übrigens auch bei MSC Kreuzfahrten). Deutschsprachige Pädagogen kümmern sich um die Youngsters im Kinderclub.

— Klein, aber oho: Die 2013 in Dienst gestellte MS Europa 2 hat ausschließlich Balkon-Suiten mit einer Mindestgröße von 28 Quadratmetern und ist genau das Richtige für Design-Verliebte. Kleidervorschrift, feste Plätze im Restaurant mit vorgegebenen Zeiten sowie das Captain’s Dinner wurden, im Vergleich zum Schwesterschiff MS Europa, abgeschafft. Das Luxusschiff von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten bietet Platz für maximal 500 Passagiere.

— Paare, die entschleunigt und preiswert reisen möchten, fahren am besten mit der Costa neoRomantica. Das Schiff bleibt länger in Häfen und verzichtet auf laute Animation.

— Für Nachtschwärmer: Wer es schade findet, auf einer Kreuzfahrt die Abendstimmung in den Städten zu versäumen – meist legt das Schiff gegen 18 Uhr wieder ab –, der ist bei Azamara Club Cruises richtig. Die Schiffe Azamara Journey und Azamara Quest bieten Platz für bis zu 694 Passagiere und punkten mit langen Hafenaufenthalten bis in den späten Abend oder sogar über Nacht. Gäste habe so die Möglichkeit, auch abends in der Stadt zu dinieren – wie etwa in Singapur im Sky on 57. Beide Schiffe erhalten 2016 ein Facelifting.

— Experten-Vorträge statt Unterhaltungsshows: die MS Bremen und die MS Hanseatic für Entdecker. Die Expeditionsschiffe von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten steuern unzugängliche Flüsse des Amazonas oder arktische und antarktische Gewässer an. Mit den Zodiaks – robusten Schlauchbooten – erkunden Passagiere gemeinsam mit Lektoren versteckte, schwer zugängliche Naturparadiese.

Hilfreiche Tipps im Netz

Heuer cruisen etwa 250 Kreuzfahrtschiffe über die Meere. Möchten Sie wissen, wo gerade welches Schiff unterwegs ist? Nämlich genau jetzt! Dann gehen Sie auf CruiseMapper (www.cruisemapper.com). Die vielen bunten Pfeile sind Schiffe, die gerade in Echtzeit herumschippern. Klicken Sie einen Pfeil an, dann sehen Sie in der linken Spalte das Schiff, die Route und alle Details zur Reederei.

ÖAMTC-Tipps zu den unterschiedlichen Kreuzfahrt-Typen und ein Leitfaden, der die Planung unterstützt, finden Sie unter www.oeamtc.at/reiseundfreizeit.

Wer sich über Schiffsbau, Routenänderungen, neue Serviceleistungen informieren möchte, kann in den eigenen News-Channel des Clubs schauen, zu finden unter www.oeamtc.at/kreuzfahrtennews. Für eine persönliche Beratung stehen die Mitarbeiter der österreichweit 19 Filialen des ÖAMTC-Reisebüro gern zur Verfügung.

Und wenn etwas nicht ganz so gut läuft? "Bei jedem Mangel gilt generell: Umgehend den Reiseveranstalter informieren und Verbesserung verlangen. Außerdem sollten Beweise gesichert werden – in Form von Fotos oder Videos beispielsweise", empfiehlt ÖAMTC-Juristin Verena Pronebner. Nach der Rückkehr aus dem Urlaub muss der Anspruch auf Reisepreisminderung schnellstmöglich beim Reiseveranstalter reklamiert werden. Clubmitglieder, die Ansprüche geltend machen wollen, können sich gern an die kostenlose ÖAMTC-Rechtsberatung wenden – Kontakt unter www.oeamtc.at/rechtsberatung

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